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Danach betrachtete er prüfend sein Werk, blies die Luft durch die geschlossenen Lippen, wie er es immer getan hatte, und setzte sich zufrieden wieder ans Fenster wie nach einer fertigen Arbeit. Hinaus durfte er nicht, weil es unklar war, ob er sich dort noch zurechtfände. Ein kleiner Mann, untersetzt, resolut, brachte eine Schüssel sauren Linseneintopf herein und stellte sie auf den Holztisch, wobei er Wert darauf legte, die kleine Staffelei nicht zu zerstören. Der Mann am Fenster erhob sich erfreut und sagte, die Zeichnung könne nun in die Produktion gehen, er habe alles beendet. »Wird gemacht«, erwiderte der Essen-Austräger, in dessen Augen trauriges Wissen schimmerte. Dann verschloß er die Tür wieder von außen. Auf dem Korridor saßen einige Männer unbeweglich mit ernsten stumpfen Mienen. Einer schwenkte im Sitzen den Oberkörper hin und her, wie es Eisbären tun. Ein anderer schrie ständig »Polonaise!« und lief mit ausgestreckten Armen den Gang entlang. Die kleine Aufmachung auf dem Holztisch des Mannes im Zimmer hatte ihre Ursache. In DDR-Zeiten war er technischer Zeichner gewesen. Ein fröhlicher, bei seinen Kollegen beliebter Mitmensch. Es gab keinen Tag, wo ihm nicht ein Witz eingefallen wäre. Auch nach der Wende hatte er sich noch halten können. Dann erhielt er ein Schreiben, in dem ihm mitgeteilt wurde, daß er infolge von Verschlankung der Belegschaft nicht mehr beschäftigt werden könne. Man bedaure. Ihm stehe aber ein ausgezeichnetes Zeugnis zur Verfügung. Das verhalf ihm zu einer Tätigkeit als Bauhilfsarbeiter, die er jedoch körperlich nicht durchhielt. Er fiel zurück ins grobe Netz des Arbeitsamtes, obendrein als einer, der eine angebotene Arbeit nunmehr verweigerte. Er saß zu Hause und gewöhnte sich an, über seine Umwelt zu räsonieren. Seine Frau, die Arbeit hatte und sich ausgelastet fühlte, verstand nicht, weshalb er nicht wenigstens etwas im Garten tat. Man soll aber einen Depressiven nicht bedrängen, endlich etwas zu tun, denn zur Arbeit ist er erst wieder fähig, wenn er keine Depression mehr hat. Seine zwei Mädchen erschraken, bekamen Angst vor ihm und seinem bösen Blick. Er verlor das Interesse an allem, was die Familie betraf. Er bemerkte, daß Frau und Töchter, ungewollt vielleicht, seine Ratschläge nicht mehr ernst nahmen. Ein ihm selbst kaum begreifliches Gekränktsein quälte ihn. Dann lernte seine Frau einen Mann kennen, der sie verstand und tröstete. Er war schon so gedemütigt, daß er sie mit ihm in die Wohnung ließ. Er rasierte sich nicht mehr, vernachlässigte seine Kleidung, magerte ab. Dies vor allem, weil er nun zu Hause auswich und öfters in der Kneipe saß. Er fühlte sich nicht mehr verstanden und bestärkte sich in solchen Gefühlen, so oft er konnte. Er aß wenig, trank dafür häufiger. Es war beruhigend, mit den hochprozentigen Flüssigkeiten die Gedanken einzutrüben. Kam er wieder zu sich und begann zu grübeln, half er schnell erneut nach. Bald ging das letzte bißchen Geld hinüber, das Arbeitsamt stufte ihn zum Sozialhilfeempfänger herab. Immerhin empfing er noch. Er galt, knapp unter Fünfzig, als nicht mehr vermittelbar. Er gewöhnte sich an, Kneipen aufzusuchen, die bis in die späte Nacht geöffnet hatten. So brauchte er nicht nach Hause. Den Rest der Nacht schlief er auf Parkbänken oder in verfallenen ehemaligen volkseigenen Betrieben, durch deren eingeschlagene Fenster er kletterte. Es machte ihm nichts mehr aus, andere anzupumpen oder anzubetteln. Einige seiner Gläubiger verprügelten ihn, als sie sahen, wie er seine paar Cents für Essen ausgab. Eines Tages griff ihn ein Sozialarbeiter auf und brachte ihn in ein sogenanntes Trinkerheim, ein Asyl für Gestrandete und noch nicht ganz Gescheiterte, das früher schlicht Armenhaus geheißen hatte. Da fand er ein warmes Bett. Solches erinnerte ihn an zu Hause, an Frau und Töchter; und da man ihm hier das Trinken ausreden wollte, glaubte er, nun nichts mehr zu haben. Er litt an Sehnsucht. Die Frau lebte mit dem Mann zusammen, die Töchter gingen ihm aus dem Weg, sie schämten sich für ihn. Er begann – zuerst verzweifelt mit unkontrollierten Ausbrüchen, dann wieder sentimental und schließlich stumpfsinnig werdend – mit leeren Augen herumzusitzen, blieb öfters im Bett, seiner letzten Bastion, und grübelte ziellos im Kreis herum. Manchmal sagte er, als wollte er jemandem drohen, doch es gab ja keinen: »Ich weiß, was ich tue.« Eines Nachts verschwand er. Jugendliche grölten, als sie ihn im Schlafanzug barfuß bei ziemlicher Kälte in der Stadt herumlaufen sahen. Eine Polizeistreife brachte ihn aufs Revier. Es war schwer, seine Identität festzustellen, weil er wirres Zeug redete und zu keiner Auskunft fähig war. Als sich sein Zustand nicht besserte, wurde er in eine geschlossene Anstalt eingewiesen mit der Diagnose schwerer geistiger Verwirrung und vermutlicher Suizidgefahr. Seitdem befindet er sich dort, nunmehr rasiert und einfach, aber sauber eingekleidet. Wie ein Mensch aussehend. Es gibt nur einige Probleme, seinen Aufenthalt zu finanzieren. Seine Frau hat die Scheidung eingereicht, offenbar mit Erfolg. Denn es ist ihr nicht zuzumuten, mit einem Verrückten zusammenzuleben, der doch seinen Zustand selbst verschuldet hat. Wer in der Welt sollte sich sonst noch schuldig fühlen? Aus dem Arbeitsamt ist er ausgeklinkt. Man kann sagen, er hat dazu beigetragen, die Arbeitslosenzahl zu senken. Friedlich sitzt er nun am Fenster, wie zu einer großen Pause, oder er steht auf und zieht noch immer sehr geübt einige Linien mit der Zahnbürste. Seit einer Stunde wusch der Regen die Scheiben sauber und trübte – welcher Widerspruch – den Blick nach draußen.
Erschienen in Ossietzky 13/2004 |
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