Die Deutsche Demokritische Republik

Gerhard Zwerenz

Im Jahr 2089 entdeckte der Frühgeschichtler Prof. Dr. Johannes Brendel eine insgeheim existierende Deutsche Demokritische Republik, die von allen offiziellen Instanzen des Erdkreises in Abrede gestellt, von der wissenschaftlichen und politischen Prominenz geleugnet wurde. Ihre Staatsbürger erhielten nur mit Passierschein Zugang.

Prof. Brendel unterzog sich an der Grenze einer Freiheits­ prüfung, die er als Historiker, dem nichts Unmenschliches fremd ist, glänzend bestand, und betrat klopfenden Herzens das unbekannte Untergrund-Territorium. Von diesem Zeitpunkt an wurde er nicht mehr gesehen. Eine New Yorker Presseagentur berichtete, laut US-Außenministerium sei der Professor von Asiaten oder Russen verhaftet, gefoltert und sexuell gedemütigt sowie mißbraucht worden, was den Berliner Innenminister bewog, sofort nach den Entführern fahnden zu lassen. Da aber das Außenministerium die Existenz einer Deutschen Demokritischen Republik nicht nur nicht anerkannte, sondern ausdrücklich leugnete, blieben die Haftbefehle vorwiegend folgenlos liegen. Nur die ersatzweise als Islamisten verdächtigten Araber fühlten sich beleidigt und studierten ihre Heiligen Schriften, die sie zuvor fast vergessen hatten, mit nachhaltig erwachter Inbrunst.

Drei Jahre später entdeckten die Schriftgelehrten das Buch eines gewissen Mittenzwei, der anno 2001 über »Die Intellektuellen«, eine inzwischen ausgestorbene Spezies also, geschrieben hatte, in der 1989/90 abhandengekommenen DDR sei ein resistenter Menschentypus entstanden, der sich dem Ende seines Staates mit List und Marxscher Tücke zu entziehen gewußt habe. Frage: Wohin entwichen diese widerspenstigen Genossen?

Im April des Jahre 2100 tauchte Professor Brendel urplötzlich wieder auf und gab im Berliner Hotel Adlon eine Pressekonferenz, die alle Welt in Aufregung versetzte. Er sei gegen seinen erklärten Willen aus der insgeheimen Untergrund-republik ausgewiesen worden, behauptete der Mann eigenwillig. Auf die Frage nach den Gründen lachte der Professor schallend und behauptete, er sei rückfällig geworden. »Ich wollte in den Gaststätten meine Rechnungen auf Euro und Cent begleichen, auch für die Wohnung zahlte ich pünktlich Miete, doch kein Schwein mochte das Geld annehmen«, erläuterte der verwirrte Frühgeschichtler, den man folgerichtig fürsorglich in eine Nervenheilanstalt verbrachte.

Inzwischen macht ein Gerücht die Runde. Die mehr als tausend Milliarden Euro, die Berlin für den Aufbau der angeschlossenen DDR-Gebiete blechte, seien in der drübigen Wüste nie angelangt, heißt es. Stattdessen wurden die Milliarden von islamischen und bolschewistischen Agenten in die heimliche Deutsche Demokritische Republik, diese Untergrund-DDR, geleitet, wo infolgedessen die Landschaften derart zu blühen begannen, daß es sich dort in Saus und Braus leben läßt.

Einige Reporter von Spiegel und stern wollen herausgefunden haben, dieser geheimnisvolle inoffizielle Staat befinde sich tatsächlich unterhalb Ostdeutschlands auf tiefer Bergwerksebene, doch die Gauck-Birthler-Behörde behauptet, der Nachfolgestaat, in dem es fatalerweise weder Krisen noch Kriege gebe, sei von abgetauchten Stasi-Offizieren im ewigen Eis Sibiriens errichtet worden, wo die von braven westdeutschen Steuerzahlern aufgebrachten Milliarden zweckentfremdet dem Aufbau konterrevolutionärer sozialistischer Wärmekraftwerke dienten.

Wie der vereinigte BND-Verfassungsschutz erklärt, soll es im offiziell unbekannten Land kein Militär geben, die Gefängnisse sind geschlossen, frühere Richter und Ankläger arbeiten im Sozialdienst, und Kranke werden in Polikliniken unentgeltlich behandelt. Allerdings dürfen Minister, Manager, Millionäre und Prominente über nicht mehr als das Dreifache eines normalen Arbeitseinkommens verfügen. Falls sie nicht bald, wie in der Welt der Freiheit üblich, das 150fache verdienen dürfen, wollen die USA den Schurkenstaat irakisieren. Besonderes Mißtrauen richtet sich gegen den schon immer geheimer Umtriebe verdächtigten Herrn Stolpe, der als Verkehrsminister die tausend westdeutschen Milliarden subversiv in die Kassen der unterirdischen bzw. sibirischen Republik geleitet haben soll, was dort die blühenden Landschaften ermöglichte.

Wir versichern, diesen Gerüchten nicht zu glauben und nehmen erfahrungsgemäß an, der Herr Prof. Dr. Brendel werde nie mehr gesunden. Wo kämen wir denn hin, gäbe man so einem Spinner die Möglichkeit, unter dem grundgesetzlichen Schutz der Redefreiheit von seinen Erlebnissen im illegalen demokritischen Untergrund zu berichten.

Erschienen in Ossietzky 13/2004