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Man bedenke, was das bedeutet: Damit wurde die opferreiche sowjetische Industrialisierung rückgängig gemacht, der Erfolg, der zur Zeit der Weltwirtschaftskrise das Ansehen der Sowjetunion im Westen begründet hatte. Denn sie hatte sich der Krise nicht nur entziehen können, sondern in den 30er Jahren die Industrieproduktion verdreifacht. »Was war das Geheimnis des sowjetischen Sys tems? Konnte man irgendetwas von ihm lernen? Die Wörter ›Plan‹ und ›Pla-nung‹ tauchten plötzlich wie ein Echo des russischen Fünfjahrplanes als große Schlagwörter in der westlichen Politik auf.« (Hobsbawm 1995). Die neoliberalen »Reformen« haben zwar diese Wörter aus dem heutigen Sprachgebrauch verbannt und damit ideologisch gesiegt; aber dem realen Fortschritt haben sie nicht gedient, sondern nur der Restauration alter politischer Kräfteverhältnisse zwischen den Nationen. Gewiß war die russische Wirtschaft und Gesellschaft schon geschwächt, und zwar letztlich durch den utopisch-missionarischen Anspruch der Sowjetunion, der sich in wahnwitzigen Rüstungsausgaben niedergeschlagen hatte. Aber warum mußte die russische Bevölkerung nun gleich noch einmalden Versuch einer blinden Utopie erleben, sich gewaltsam gegen die geschichtliche Wirklichkeit durchzusetzen? War das die Rache für das große Vergehen der 70 Sowjet-Jahre? Leben wir in archaischen Zeiten? Man muß sich angesichts dieses »Transformationsprozesses« sehr anstrengen, ökonomisch-sachlich zu bleiben und politische Schuldzuweisungen zu vermeiden. Viele Menschen im Westen sahen einfach weg, statt zusehen zu müssen, wie einer, der schon fällt, auch noch getreten wird. Dieser Prozeß war eine Tragödie in mehreren Akten, die aber nur Mitleid mit dem Helden (der russischen Bevölkerung), keine Furcht vor der ewigen Gerechtigkeit weckt; vielmehr fragt man sich, ob es mehr die Dummheit oder mehr die Bosheit war, die da Regie führte. Die Tragödie begann 1992 mit der Freigabe der Preise, die zu einer gigantischen Inflation führte. Dadurch wurden die ohnehin nicht üppigen Ersparnisse der Masse der Bevölkerung völlig aufgezehrt. (Private Vermögensbildung war im »realen« Sozialismus bekanntlich nur in geringem Umfang möglich gewesen.) Der Inflation mußte nun mit einer Politik des knappen Geldes begegnet werden. Sie wurde so weit getrieben, daß sich der Kredit für Investitionen unmäßig verteuerte und die meisten Geschäfte ganz ohne Geld, im Naturalaustausch, abgewickelt werden mußten, wozu auch die Kapitalflucht beitrug. Die »Einführung der Marktwirtschaft« lief also auf einen Rückfall hinter eine der ersten marktwirtschaftlichen Errungenschaften, den Ware-Geld-Austausch, hinaus. Der nächste Schritt, die Privatisierung der Staatsbetriebe, sollte über eine Art Volksaktien eine breite Streuung des Vermögens herbeiführen. Ganz im Gegensatz zu dieser Absicht entstand aber eine Klasse von »Oligarchen«, weil die Mehrheit gar nicht mehr das Geld hatte, die Aktien zu kaufen. Wie immer und überall forderte der IWF die Freigabe des Devisenverkehrs und eine stabile Währung, auf daß frisches Kapital ins Land komme. Infolge der geringen Kaufkraft, der Schwierigkeiten bei Investitionen, aber auch der Rechtsunsicherheit sorgten die Oligarchen jedoch genau umgekehrt für einen Kapitalabfluß ins sichere und gewinnträchtige Ausland. So konnte sich erst recht keine neue heimische Industrie entwickeln. Der Staat wiederum, der sein Vermögen zu Schleuderpreisen privatisiert hatte, wußte nicht mehr, wie er seine Steuereinnahmen sichern sollte. Ohnehin schon hoch verschuldet, durfte er den Weisungen des IWF zufolge seinen Finanzbedarf auch nicht bei der Staatsbank decken, denn das hätte ja wieder inflatorisch gewirkt. Als nun aufgrund der Asienkrise 1997 auch noch die Ölpreise (eine Hauptquelle der Steuereinnahmen) um 40 Prozent zurückgingen, bat der russische Staat in seiner Not um kurzfristige Anleihen. Die Papiere fanden zunächst reißenden Absatz, weil sie Zinsen von bis zu 150 Prozent boten. Da er sie aber eben kurzfristig zurückzahlen mußte, und zwar samt den phantastischen Zinsen, vergrößerten sich die Löcher in der Staatskasse, die nur mit neuen, noch attraktiveren Anleihen vorübergehend geflickt werden konnten. Als im Sommer 1998 der Irrsinn überhandnahm und der Rubel abzustürzen
drohte, kamen IWF und Weltbank zwar mit einem großen Kredit zu Hilfe,
aber zu spät, denn die Spekulanten rochen die Gefahr und stiegen aus dem
Rubel aus. Daraufhin verkündete die russische Regierung die Einstellung
des Schuldendienstes gegenüber dem Ausland und die Abwertung des Rubel.
Sein Kurs fiel um 45 Prozent, im gleichen Maße stiegen die Verbraucherpreise,
Banken gingen pleite, und das Volk mußte erneut bluten. Dennoch hatte
die Abwertung auch eine erfreuliche Folge: Da die Importe endlich teurer wurden,
kam die einheimische Produktion auf dem Binnenmarkt wieder zum Zuge. Gerade
durch den Abschied von der Strategie des IWF, die Währung um jeden Preis
hochzuhalten, konnte sich die russische Wirtschaft ein wenig erholen – eine
indirekte Widerlegung jener Strategie. Edelbert Richter, der in Ossietzky regelmäßig über Globalisierungsprobleme schreibt, gehörte in der vorigen Legislaturperiode als SPD-Bundestagsabgeordneter der Enquetekommission »Globalisierung der Weltwirtschaft« an. Kontext:
Erschienen in Ossietzky 13/2004 |
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