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Eingeladen von der Ärzte-Organisation IPPNW und anderen reputierlichen Vereinigungen referierten dort hervorragende Fachleute über das Massensterben im Irak, das der von den USA ausgehende Wirtschaftsboykott zur Folge hatte, über den von außen erzwungenen Niedergang eines eigentlich sehr reichen Landes. Eingehend befaßte sich die Konferenz mit den Behauptungen aus Washington und London, der Irak verfüge über Massenvernichtungsmittel. Der ehemalige Waffeninspekteur Scott Ritter entkräftete diese Behauptungen Punkt für Punkt. Ebenso wurden die anderen Lügen widerlegt, die damals zur Vorbereitung des Krieges Tag für Tag weltweit Verbreitung fanden. Aber obwohl auch Oppositionelle aus dem Irak zu Wort kamen und die Generalsekretärin von amnesty international die Menschenrechtsverletzungen unter Saddam Hussein anprangerte (freilich nicht um sie als Rechtfertigungsgründe für einen Regimewechsel von außen gelten zu lassen), blieben alle großen Berliner Zeitungen der Konferenz fern. Für das große Publikum fand sie nicht statt. Was US-amerikanische Untersuchungsausschüsse jetzt allmählich zutage fördern, zum Beispiel daß keinerlei Beziehung zwischen Saddam Hussein und Al Kaida bestand, hätte damals alles schon detailliert berichtet werden können. Aber so wie die NATO-Aggression gegen Jugoslawien vor fünf Jahren die »ethnischen Säuberungen« bewirkte, die sie angeblich verhindern sollte, so erlebt der Irak jetzt unter dem US-geführten Besatzungsregime wachsenden religiösen Fundamentalismus und mörderischen Terror. Auch darüber erfahren wir äußerst wenig – ähnlich wie der antiserbische Pogrom in der deutschen Besatzungszone des Kosovo im März kaum Publizität fand. Solche Erinnerungen drängten sich auf, als dieser Tage im Auditorium Maximum der Berliner Humboldt-Universität ein Hearing zur Vorbereitung eines Tribunals über die Aggression gegen den Irak stattfand. Namhafte Völkerrechtler aus etlichen Ländern nahmen daran teil, Augenzeugen schilderten grauenvolle Kriegsverbrechen, zeigten Fotos und Videos. Ausführlich wurde auch die deutsche Beteiligung an diesem Krieg dargestellt, die alles Erdenkliche umfaßte mit Ausnahme der Entsendung von Soldaten an die Front. Die Deutsche Presse-Agentur fehlte wiederum ebenso wie andere Nachrichtenagenturen, wie Radio Berlin-Brandenburg, ARD und ZDF, wie Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost, BZ und die Korrespondenten großer überregionaler Zeitungen. Ja, wenn Minister Joseph Fischer eingeladen hätte, dann wären die untertänigen deutschen Medien wohl erschienen. Aber eigenverantwortliche Fachleute inter-essieren eben nicht. Und was auf diesem Hearing zur Sprache kam, sollte sich wohl auch gar nicht weiter herumsprechen, weil es Unruhe im Volke verbreiten und der Regierung das Regieren erschweren könnte. Zum kollektiven Selbstbetrug tragen nicht nur alltäglich die tonangebenden, hochbezahlten Politiker und Journalisten des Landes bei, sondern auch diejenigen, die gemeinhin als das Gewissen der Gesellschaft gelten: die linksliberalen Intellektuellen. In einer ganzseitigen Anzeige in der freundlich von der SPD übernommenen Frankfurter Rundschau leisteten vier Tage vor der jüngsten Wahl zum Europaparlament Günter Grass, Inge und Walter Jens, Friedrich Schorlemmer, Klaus Staeck, Oskar Negt, Johano Strasser, Peter Rühmkorf und andere ihre Unterschriften unter einen Text, der nicht aufklärt, sondern verblendet. Sie warben mit schönen Worten von Frieden und Gerechtigkeit für die SPD, ohne ein Wort zu verlieren über die wachsende Gerechtigkeitslücke in diesem Lande infolge systematischer Umverteilung von unten nach oben und über die »Enttabuisierung des Militärischen«, deren sich Kanzler Schröder rühmt. Ein zentrales Argument ihrer dringlichen Wahlempfehlung lautete: »… damit die Weichen in die Zukunft gestellt werden können, setzt sich die SPD für die zügige Verabschiedung der europäischen Verfassung ein«. Ja, haben diese alten Freunde etwa alle nicht gelesen, was in dieser Verfassung steht? Sie sieht einen Binnenmarkt vor, in dem nicht das soziale und öffentliche, sondern das privat-kommerzielle Interesse die Hauptrolle spielt. Staatliche Beihilfen für öffentliche Unternehmen, etwa Subventionen für das staatliche Bildungswesen, sind wettbewerbsverzerrend und können verboten werden (Artikel III-55 ff.). Die ganze Wirtschafts- und Währungspolitik ist dem Grundsatz der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet (Art. III-69), während das Grundgesetz der Bundesrepublik, das zum Fetzen Papier zu werden droht, die Entscheidung über die Wirtschaftsform bewußt offenhält. Die Beschäftigungs- und Sozialpolitik (III-97) darf die Wettbewerbsfähigkeit der EU nicht beeinträchtigen, womit permanentes Sozialdumping vorprogrammiert ist. Die Verfassung enthält eine Verpflichtung der Mitgliedsstaaten zur Aufrüstung (I-40) und sieht eine eigene Behörde vor, die kontrollieren soll, daß diese Verpflichtung erfüllt wird. Weiter ermöglicht sie Kampfeinsätze der EU-Truppen ohne jede territoriale Begrenzung und ihre Entsendung zur »Terrorbekämpfung« auch in »Drittstaaten« (III-205). Der Ministerrat beauftragt Mitgliedstaaten mit der Kriegführung und entzieht die Militäreinsätze der Kontrolle nationaler Parlamente und des Europa-Parlaments (I-40). Über diese Inhalte war fast nirgendwo in den Zeitungen der großen Medienkonzerne zu lesen. Wissen deswegen auch die berühmten Intellektuellen des Landes nichts darüber? Ich frage hiermit jeden einzelnen von ihnen, was sie sich dabei gedacht haben, diesen Putsch von oben zu unterstützen. Oder haben sie sich gar nichts dabei gedacht? Zwei Tage nach der Wahl jubelten die Chefs von vier großen europäischen Rüstungskonzernen in einer weiteren ganzseitigen Anzeige nicht nur in der FR, sondern auch in anderen großen Zeitungen über »die historische Chance«: »Auf der bevorstehenden Sitzung des Europäischen Rates muß die europäische Verteidigungsagentur nicht nur auf den Weg gebracht werden. Sie muß auch mit Kompetenzen und Ressourcen ausgestattet werden, die ihren anspruchsvollen Aufgaben gerecht werden.« Man höre genau hin: Die Sprache des Militärisch-Industriellen Komplexes wird immer frecher. Der SPD hat die Anzeige der berühmten Intellektuellen wenig genutzt. Dem notwendigen demokratischen Engagement der Bürgerinnen und Bürger für Frieden und Gerechtigkeit aber schadet solche Vernebelung der Wahrheit. Das internationale Hearing in der Humboldt-Universität endete mit einer Deklaration, in der es heißt, daß »Präsident Bush, Premierminister Blair, führende beteiligte Militärs und andere individuell zur Verantwortung gezogen werden müssen für Verschwörung, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschheit und schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht. Hinzu kommen fortgesetzte Verstöße gegen die Genfer Konvention bei der Ausübung der Besatzungsherrschaft wie die unverhältnismäßige bzw. willkürliche Anwendung von Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, die große Zahl von Gefangenen und deren menschenrechtswidrige Behandlung einschließlich Folter. Die weitreichenden wirtschaftlichen Maßnahmen und Gesetzesänderungen durch die Besatzungsbehörde verstoßen ebenfalls gegen internationales Recht. Die Invasion des Iraks war der Endpunkt eines langen Krieges, der durch Belagerung und Bombenangriffe aus der Luft die Lebensgrundlagen von 22 Millionen Menschen bereits zuvor systematisch geschädigt hatte. Das mörderische Sanktionsregime, das für den Tod von mehr als eineinhalb Millionen Menschen verantwortlich gemacht wird, wirft gemäß UN-Menschenrechtskommission sogar Fragen in Bezug auf die Völkermordkonvention auf. Nicht zuletzt muß auch die deutsche Unterstützung des Krieges, u.a. durch die Bereitstellung seines Territoriums, untersucht werden.« Da es keine offiziellen Institutionen gibt, die diese Verbrechen verfolgen, sollen »Tribunale von unten« organisiert werden, womit auch schon in mehreren anderen Ländern begonnen wurde – in der Tradition der Russell-Tribunale, an denen einst, etwa in der Zeit des Vietnamkriegs, auch etliche der jetzt so brav und dumm gewordenen berühmten deutschen Intellektuellen mitgewirkt haben. Es wurde vereinbart, als Ergebnis solcher vorbereitenden Anhörungen wie jetzt in Berlin in internationaler Zusammenarbeit die Anklage zu erarbeiten und Beweise zu erheben, ausgehend von der Charta der Vereinten Nationen, der Charta des Nürnberger Kriegsverbrechertribunals, der Genfer Konvention von 1949 und anderer völkerrechtlicher Vorschriften. Abschließend heißt es in der Deklaration, »daß die am 8. Juni 2004 auch mit der Stimme des deutschen Vertreters vom UN-Sicherheitsrat angenommene Resolution 1546 der durch den illegalen Krieg und die folgende gleichfalls illegale Besatzung geschaffenen Situation nicht gerecht wird. Sie schweigt zu den von den Invasoren begangenen Völkerrechtsverletzungen und billigt ihnen die volle Kontrolle über das eroberte Land zu.«
Erschienen in Ossietzky 13/2004 |
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