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Stoibers böhmische DörferAuf dem Sudetendeutschen Pfingsttreffen steigerte der bayerische Ministerpräsident sein Verlangen nach den verlorenen böhmischen Dörfern derart, daß in der FAZ vom 1. Juni scheinheilig bemerkt wurde: »So tapfer Edmund Stoiber den Sudetendeutschen im Kampf gegen die Benesch-Dekrete auch beispringt, so hilflos wirkt er doch angesichts der Kaltschnäuzigkeit, mit der Prag über die Interessen der Vertriebenen hinweggeht. Der Eindruck läßt sich nicht mehr vermeiden, daß bei aller Anti-Benesch-Rhetorik auf deutscher Seite die Republik der Tschechen nie mit Konsequenzen rechnen mußte ...« Das Blatt vermißt »eine wirkliche Drohung« und fährt bedauernd fort: »Berlin, Brüssel und auch München hätten längst die Möglichkeit gehabt, den sudetenfreundlichen Formeln Taten folgen zu lassen.« Wir können vor den Taten, die auf Hetzparolen folgen sollen, nur warnen. Bevor 1938/39 die Tschechoslowakei von Deutschland geschluckt wurde, warnte die von Berlin über Wien nach Prag emigrierte Neue Weltbühne vor den angedrohten deutschen Taten. Die Sudetendeutschen ignorierten die Warnungen von Brecht, Becher, Bloch und hielten sich lieber an ihre Hetzblätter, vor allem an die aus dem Deutschen Reich. Das führte zu Krieg und Vertreibung. Man könne nicht zweimal in den selben Fluß springen, lehrte der alte Grieche. Der alte Deutsche sinnt bereits darüber nach, wie er zum dritten Mal über seine Grenzen springen könne. Ihn lockt der Hradschin. Da hilft nur noch ein Fenstersturz. Gerhard Zwerenz
Das Urteil40 Jahre nach dem Auschwitz-Prozeß ist jetzt das vollständige Urteil erstmals veröffentlicht worden. Der Herausgeber des Buches, Friedrich-Martin Balzer, benennt in seinem Vorwort »Andauerndes Ringen um das Geschichtsbild« in bisher nicht gekannter Deutlichkeit die maßgeblichen Wegbereiter des »Jahrtausend-Verbrechens«: die beiden Groß-kirchen. Als wesentliche Teile im »Ensemble der ideologischen Mächte« (Gramsci) haben sie, besonders die protestantische, den Faschismus mitgebildet und mitgetragen durch die in Jahrhunderten aufgebauten Traditionen: Obrigkeitshörigkeit, Nationalismus und Kriegsbereitschaft. Der Nationalismus war versetzt mit militantem Antisemitismus, den kein Theologe fanatischer vertrat als Luther. Nicht zu Unrecht schrieb der Philosoph Karl Jaspers 1962: »Luthers Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt.« Die protestantische Kirche trug durch ihren gepredigten Antisemitismus entscheidend dazu bei, der NSDAP die Massenbasis zu verschaffen, ohne die ihr die Macht nicht übergeben worden wäre. Die große Stunde der Kirchen kam, als sie 1933 und in den Folgejahren ihren Antisemitismus auch praktisch ausüben konnten. Das geschah durch ihre »Amtshilfe« bei der Verfolgung der von dem 1933 gesetzlich eingeführten »Arierparagraphen« bedrohten deutschen Staatsbürger jüdischen Glaubens. Für die »arischen Deutschen« konnten sie vermöge ihrer Kirchenbücher die begehrten »Ariernachweise« liefern, was zur pastoralen Haupttätigkeit während der NS-Zeit wurde (bis Anfang 1936 hatten die Pfarrer schon zehn Millionen »Nachweise« für je eine Reichsmark ausgestellt). Ohne diese Selektionspraxis wäre die schließliche Vernichtung vieler deutscher Bürger jüdischer Herkunft unmöglich gewesen. Nach dem Kriege sorgten die staatlich geförderten theologischen Fakultäten ebenso wie die Synoden dafür, daß nichts von diesem Verbrechen öffentlich wurde. Der Historiker Wolfgang Wippermann, der schon 1993 vom »Holocaust mit kirchlicher Hilfe« gesprochen hatte, erwartete zumindest ein Schuldeingeständnis, Balzer für die ganz wenigen Einzelkämpfer gegen den kirchenoffiziellen Antisemitismus (wie die Pfarrer Erwin Eckert, Emil Fuchs und Heinz Kappes, die übrigens alle Sozialisten waren) »unzweideutige Gerechtigkeit«. Ich möchte noch weitergehen: Die Kirchen sind darin geübt, mit wohlfeilen Worten Schuldbekenntnisse abzulegen, die nichts kosten, aber die Öffentlichkeit blenden können und Vorteile bringen. Ein Beispiel dafür sind die verlogenen Worte in der hochgelobten »Stuttgarter Schulderklärung« vom Oktober 1945: »Wohl haben wir lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht brennender geliebt haben.« Heute muß von den Kirchen neben ihrem Schuldeingeständnis, damit es glaubwürdig wird, auch eine für sie spürbare Geldanweisung gefordert werden. Mein Vorschlag: eine Überweisung für die Gedenkstätte »Topographie des Terrors« in Berlin. Deren Errichtung ist seit Jahren mangels politischer und damit finanzieller Unterstützung ins Stocken geraten (wie Reinhard Rürup, der Direktor der Stiftung, bei seinem Rücktritt im März 2004 bitter beklagte). Sie soll an der Stelle in Berlin entstehen, wo in der NS-Zeit der Holocaust geplant wurde wie auch die Verfolgung und Vernichtung von Kommunisten, Ernsten Bibelforschern, Homosexuellen, Behinderten – Menschengruppen, die ebenfalls von den Kirchen geächtet waren. Über die Homosexuellen hieß es zum Beispiel in der »Denkschrift der Deutschen Evangelischen Kirche zu Fragen der geschlechtlichen Sittlichkeit« vom Dezember 1932, denn das waren damals die Hauptsorgen der Kirche: »Homosexuelle Vergehen sind schwere Sünden und müssen strafrechtlich verfolgt werden« – eine Forderung, die die NS-Regierung gern aufgriff. Die Bezeichnung »minderwertiges Leben« für Behinderte kam schon 1925 bei denen auf, die in der evangelischen Kirche den großen Behindertenanstalten vorstanden. Das NS-»Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses« vom Juli 1933 fand deshalb auch sogleich ungeteilte Zustimmung innerhalb der Inneren Mission. Etwa 40 Millionen Euro sind zum Aufbau der Gedenkstätte erforderlich. 20 Millionen müßten die Großkirchen zur Verfügung stellen als Zeichen ihrer Scham und ihrer Schuld. Hartwig Hohnsbein Friedrich-Martin Balzer/ Werner Renz (Hg.): »Das Urteil im Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963- 1965)«, Pahl- Rugenstein Verlag, 624 Seiten., 39,90€
Die Kinder von ZehdenickVon einer Stein-Zeit-Geschichte, und zwar einer wohl »weltweit einmaligen« – wie es in einer Zeitung stand –, ist hier zu berichten, und das ist keine Übertreibung. Staunend und bewegt erfährt man von der Arbeit Elf- und Zwölf jähriger aus dem nordbrandenburgischen Dorf Zehdenick an der Havel. Sie beginnt in den neunziger Jahren: Ein Lehrer aus der Grundschule Dammhast hielt in der 5. Klasse eine Geschichtsstunde über den Nationalsozialismus, die Judenvernichtung, den zweiten Weltkrieg. Tags darauf – ein Schüler hatte seinen Großvater befragt und erfahren, es habe dort auch einen jüdischen Friedhof gegeben – sagten die Kinder spontan: Da wollen wir hin. Und dann begann das Einmalige: Mit dem Lehrer begab man sich auf die Suche. Unter vier Zentimetern Müll fand man Hinweise auf einen versunkenen »Guten Ort«, wie Juden ihre Friedhöfe nennen. Was von da an geschah, ist fast unglaublich. Zwar sind oft Jugendliche auf »Spurensuche« gegangen, zum Beispiel haben Ende der achtziger Jahre Schulkinder nahe der polnischen Grenze in Storkow einen Friedhof betreut. Hier aber mußten, weit in der Landschaft verstreut, Fundstücke erkannt und gesammelt werden. Eine archäologische Kleinstarbeit. Von Anfang an haben der Landesrabbiner und seine Frau den Kindern beratend geholfen, etwa beim Entziffern zusammengelegter Grabsteine. In Archiven fand man Hilfreiches. In den Wintermonaten lernte man ein wenig Hebräisch, lernte Riten, Symbole, Musik und koschere Speisen kennen – eine kleine Geschichte des Judentums. Inzwischen förderten Institutionen, Handwerker halfen zu Selbstkostenpreisen; die nächsten Schulklassen machten weiter. 1996 gab es eine Einladung nach Israel, 1998 fuhren Kinder in das Frauen-KZ Ravensbrück. Seit 1998 besteht ein Erinnerungsverein, und durch den nun friedvollen schönen Park führen die Kinder der ersten Stunden, heute sind sie um 18 Jahre alt. Gäste kommen zu Lesungen und Vorträgen. Lebendig und spannend berichtet der Autor – jener Lehrer – von den Such- und Bauarbeiten, den Begegnungen, den Interviews, den Helfern. Er hat Dokumente, Korrespondenzen und Zeitungsberichte beigefügt und viele Fotos auch der glücklichen Kinder. Ein Anhang gibt wichtige Informationen. Ein Lehrer, ein aufmerksamer Schüler und dessen Mitschüler haben ein wunderbares Räderwerk in Bewegung gesetzt: gegen das Vergessen. Selbst eine unsägliche Schändung »ihres« Friedhofs hat sie nicht entmutigt. Zehdenick liegt nicht im Mittelpunkt des Weltgeschehens, aber dieses schön aufgemachte Buch verdient weithin bekannt zu werden. Dank gebührt auch dem Gollenstein-Verlag – nicht allein für dieses Buch. Ingeborg Hecht Hansjürgen Werner: »Eine Stein-Zeit-Geschichte. Der ›Gute Ort‹ der Kinder von Zehdenick«, mit einem Nachwort von Paul Spiegel, Gollenstein-Verlag, Blieskastel, 189 Seiten, 19,90 Euro.
Curt Querner, DresdenMit Wolfgang Mattheuer und Werner Tübke starben in diesem Jahr zwei herausragende Vertreter der bildenden Kunst in der DDR. Ein anderer ist weniger bekannt, stand eigentlich zu Lebzeiten immer im Schatten, bedingt auch durch Jahre, die der Kunst nicht günstig waren. Jetzt erinnert an ihn zum 100. Geburtstag eine Ausstellung im Dresdner Albertinum: »Curt Querner – das malerische Werk«. Das dafür werbende Plakat zeigt einen Mann in grob gestricktem Pullover mit gefurchter Stirn über zusammengekniffenen Augen, die skeptisch in die Welt blicken. Eines von fast 180 Selbstbildnissen des Malers. Dies ist eines der frühesten, von 1930, als Querner gerade die Dresdner Kunstakademie verlassen hatte. Den zwölf Kilometer langen Weg von seinem Heimatdorf Börnchen dorthin war der Sohn eines taubstummen Schuhmachers, um Geld zu sparen, oft gelaufen. Prägend war als einer der Lehrer Otto Dix. Als Querner 1933 in der Ausstellung »Entartete Kunst« längere Zeit von dessen Kriegstryptichon steht, wird er aufgrund »protestierender Haltung« festgenommen und drei Tage im Dresdner Polizeipräsidium inhaftiert. 1930 war er in die KPD eingetreten und hatte sich der Assoziation revolutionärer Bildender Künstler Deutschlands (ASSO) angeschlossen. Porträts wie »Arbeiterkind Doris« und »Arbeiterjunge aus der Rosenstraße«, aber auch Bilder wie »Demonstration« und »Der Agitator« verraten die Sympathie für die revolutionäre Arbeiterbewegung. Nach 1933 malt er Bauern und Landschaften des Erzgebirges, die aber nichts mit der Blut-und-Boden-Mystik der neuen Machthaber zu tun haben. Zeitweise lebt er von Arbeitslosenfürsorge, wird 1940 einberufen und übersteht den Krieg in Norwegen. Beim Luftangriff auf Dresden wird Querners Atelier und Wohnung zerstört. Nach der Heimkehr aus französischer Gefangenschaft lebt er in seinem Heimatdorf Börnchen, malt nun vor allem wieder Menschen und Landschaften seiner Umgebung. Sein anfänglich der Neuen Sachlichkeit verhafteter Stil wird expressiver. Die Ausstellung zeigt ihn vor allem als Porträtist, von dem es auch viele Aktdarstellungen gibt. Die offizielle Kunstgeschichte der DDR nimmt Querner erst ab Mitte der sechziger Jahre wahr, es folgen auch Ausstellungen im Ausland. Am 10. März 1976 stirbt er. »Weder bis 1945 noch danach zählte Querner zu den Angepaßten, Erfolgreichen«, schreibt Gilbert Lupfer im Katalog der Ausstellung, die einen lohnenden, längst überfälligen Blick auf das malerische Werk eines zu Unrecht vernachlässigten Künstlers bietet. Heinz Kersten Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Galerie Neue Meister, Brühlsche Terrasse, noch bis 26. Juli 2004. Katalog im Deutschen Kunstverlag München, Berlin, 136 Seiten, 15,50 €.
Nicht ohne meinen Windfang!Die DDR, das ist bekannt, war ein Land der begrenzten Unmöglichkeiten. Ein Kapitel für sich war das Urlaubswesen. Diesbezüglich meinte es das Sozialsys-tem mit Arbeitern, Bauern und Intelligenzija sehr gut. Im Prinzip galt in der DDR nicht nur Arbeits-, sondern auch eine Art Urlaubsplatzgarantie. Wer fleißig bei der Entwicklung des Sozialismus half, der sollte seine Arbeitskraft zwischen Ostseestrand und Erzgebirge auch entsprechend reproduzieren dürfen. Der reich illustrierte, überaus informative Band »Urlaub, Klappfix, Ferienscheck – Reisen in der DDR« erinnert an die schönste Zeit eines jeden Jahres zwischen 1949 und 1989. Das Buch sonnt sich dabei in zweifachem Licht: Er ist einerseits eine um Vollständigkeit bemühte Kulturgeschichte ostdeutscher Urlaubsgewohnheiten, andererseits eine Sammlung humoristisch-satirischer Texten zum Thema Urlaub von Renate Holland-Moritz, Matthias Biskupek, Mathias Wedel und anderen Autoren. So großzügig wie mit der Versorgung von Urlaubsplätzen war man bei der Auswahl der Reiseziele nicht. Auslandsreisen beschränkten sich meist auf die sozialistischen Bruderstaaten. Und je nach politischer Großwetterlage konnte die Fahrt in eines der östlichen Länder, besonders Polen, mal einfacher und mal schwieriger sein. Um die Probleme auf ein Minimum zu reduzieren, war es oft besser, im eigenen Ländchen zu bleiben. Die Richtung war klar: Thüringen war und ist schön, aber nichts ging über einen Urlaub an der Ostsee. Den konnte der für die Vergabe von Urlaubsplätzen zuständige FDGB nicht alle Jahre garantieren. Deshalb war gesegnet, wer ein privates Quartier vorweisen und jeden Sommer aufs neue beziehen konnte. (Kleine Gastgeschenke erhielten die Herbergsfreundschaft.) Wie dankbar manch abgespannter Werktätiger war, eine temporäre Unterkunft an der Ostsee zu erhaschen, zeigt sich in der Anspruchslosigkeit: Ohne Murren bezog man ein Zimmer, das im Vorjahr noch als Kohlenbunker oder Dachboden diente, in Nach- und Vorsaison aber mit nachträglich eingesetzten Fenstern, viel Tünche und Omas durchgelegener Couch zur begehrten Ferienwohnung aufgepeppt wurde. Alles Lüge? Nein, alles genau so erlebt. Inzwischen mythisch verklärt ist die an vielen Ostseestränden gepflegte Freikörperkultur, kurz FKK. Hier war man Mensch, hier durfte man es sein: einer unter tausend Nackedeis. Es gab keine Hierarchien, keine Zwänge, keine Genossen. Mit der Kleidung konnte man getrost alle gesellschaftlichen Konventionen fallen lassen. Ich bin nackt, wer ist mehr! Und so wahr es ist, daß man einem nackten Menschen nicht in die Taschen greifen kann (obwohl ich mir da, eingedenk jüngster Entwicklungen, gar nicht mehr so ganz sicher bin), so wahr ist es auch, daß an bräunungswilligem Fleisch kein Parteiabzeichen hielt. Das eigene Stück feinen Sandstrand abzustecken, bediente man sich des sogenannten Windfangs. Der soll eine Idee findiger DDR-Textilgestalter gewesen sein. Und für diese drei Wochen an den Gestaden der Glückseligen nahm man selbst den permanenten Ausnahmezustand in Kauf, den Millionen Urlauber, die nicht von würziger Seeluft allein sich speisten, dem überforderten Einzelhandel des Bezirks Rostock zwischen Juli und August bereiteten. Man wird in diesem Band – die oben genannten Erfahrungen aus eigenem Erleben vorausgesetzt – in einer Weise schmökern, die man, bitte schön, umgehend sentimentalisch nennen darf. Denn dieses Rauschen der Ostsee kehrt nicht wieder. Kai Agthe »Urlaub, Klappfix, Ferienscheck. Reisen in der DDR«, Eulenspiegel-Verlag, 189 Seiten, 14,90 €
Gestritten wurde immerDie Kulturzeitschrift Sinn und Form, 1949 gegründet, war zu DDR-Zeiten ein imposantes Aushängeschild und anspruchsvolles Podium sehr verschiedener Meinungen über Kunst und Literatur. Kaum ein wichtiger Name aus der linken Kulturszene fehlte. Jeder DDR-Autor fühlte sich geadelt, wenn sein Text in Sinn und Form erschien. Drei Chefredakteure – Peter Huchel, Wilhelm Girnus, Max Walter Schulz – gaben dem Blatt über Jahre Profil, freilich unter dem Dach der Akademie der Künste, deren Leitung und Mitglieder gern mit- beziehungsweise reinreden wollten. Es verging kaum ein Jahr, ohne daß Sinn und Form mit wenigstens einem Artikel ganz oben Unwillen erregte, was sich in wechselndem Für und Wider von Teilen der Leserschaft niederschlug. Aber kein Abonnent kündigte, dafür war die Zeitschrift zu interessant, aufregend und rar. Natürlich wären nun, da die DDR-Sinn und Form als abgeschlossenes Sammelgebiet vorliegt, die Hintergrundinformationen interessant: Wie lief das, wer und was steckte jeweils dahinter? Zwei neue Publikationen versprechen die Neugier zu befriedigen und enttäuschen leider beide, auch wenn sie äußerst unterschiedlich sind. Armin Zeißler, einer der dienstältesten Mitarbeiter von Sinn und Form, jahrzehntelang Stellvertreter des Chefs, ob er nun Bodo Uhse (kurzzeitig), Wilhelm Girnus, Paul Wiens (kurzzeitig) oder Max Walter Schulz hieß, hat seine Erinnerungen an die Redaktionsarbeit in einem Bändchen versammelt. Er war – und die Art des Buches bestätigt es – ein kenntnisreicher, freundlicher, loyaler Mitarbeiter und Stellvertreter, peinlich genau und korrekt, mit einem Herz für Schreibende und einem Faible für Lyrik. Daß er hervorhebt, einer Entscheidung des Chefs widersprochen zu haben, weist auf die Seltenheit eines solchen Falles hin. Die Erinnerungen geraten allzu freundlich und glatt, indem sie eine miteinander verschworene Gemeinschaft von Schreibern, Redakteuren und Anhängern des Blattes vorzeigen. Das mag eine Seite des Phänomens Sinn und Form gewesen sein, aber es war gewiß nicht das ganze. Eine andere Seite zeigt Matthias Braun. Er beschreibt Sinn und Form vor allem anhand der Akten der Gauck-Behörde und ist da den Kämpfen um die Zeitschrift viel eher auf der Spur. Allein Peter Huchels Arbeit als Chefredakteur und das Gerangel seiner vielen verschiedenen Gegner haben schon Bände gefüllt, Braun fügt jeweils akribisch hinzu, wann das Ministerium für Staatssicherheit daraus welchen »Vorgang« machte, wie versucht wurde, Einfluß zu nehmen, wer dem Geheimdienst berichtete. Keine angenehme Lektüre. Sie gibt Einblick in den Hintergrund, aber die ganze Widersprüchlichkeit, die uns heute noch interessieren könnte, erschließt sich auch daraus nicht – schon deswegen nicht, weil das Mfs, wie Braun konstatiert, die »Skandale« viel zu spät mitbekam. Zudem: Für einen Autor, der die Idee (sozialistische Kunst und Literatur, ihr Verhältnis zum Erbe, zur Moderne, zu den Massen usw.), in deren Namen einst erbittert gestritten wurde, für Schnee von vorgestern hält, ist es wohl unmöglich, die Meinungskämpfe mit jeweils neu sich formierenden Anhängern angemessen zu beschreiben. Christel Berger Armin Zeißler: »Meine Weggefährten. Ein Vierteljahrhundert bei Sinn und Form«, Nora Verlag, 162 Seiten, 8,60 €) – Matthias Braun: »Die Literaturzeitschrift Sinn und Form. Ein ungeliebtes Aushängeschild der SED-Kulturpolitik«, Edition Temmen, 230 Seiten, 11,90 €
Momentaufnahmen, ganz privatAn chemische Versuchsanordnungen erinnert diese Kurzprosa. Exakt beobachtet Renate Schoof menschliche Verhaltensmuster: das Miteinander-Umgehen oder isolierte Nebeneinanderher-Vege-tieren. Salopp gesagt: Beziehungskisten, die zumeist ein erschreckendes Maß an Gefühlsarmut und Verständnislosigkeit enthalten. Der Ton, nicht ohne Sympathie, ist hanseatisch unterkühlt, der Stil lakonisch, um unverbrauchte Wendungen bemüht. Es sind Momentaufnahmen ganz privater Art, etwa wenn rivalisierende Schwestern eifersüchtig nach der Gunst der Eltern schielen, Frauen oder Männer dem Partner einen Seitensprung zugestehen und dann doch an ihrer eigenen Liberalität zu zweifeln beginnen oder wenn eine junge Frau erkennen muß, daß ihre »Gewöhnliche Liebe« – so der Titel –, ihre Hörigkeit dem verheirateten Geliebten gegenüber an Selbstverleugnung grenzt. »Die fremde Frau« bleibt dem erfolgreichen Geschäftsmann unerreichbar, weil er nicht begreifen kann oder will, daß er es mit einem Individuum aus Fleisch und Blut samt eigener Psyche zu tun hat, die er nicht nach Belieben ummodeln kann. Renate Schoofs realistische Schilderungen regen das Denken an. Was, so fragt man sich bei der Lektüre, macht Glück aus? Nach welchen Kriterien kann eine Beziehung als intakt gelten? Oder schönen wir nur immer wieder den jeweils praktikablen Kompromiß als befriedigende Lösung? Andreas Rumler Renate Schoof: »In ganz naher Ferne«, Erzählungen und Kurzgeschichten, Athena-Verlag, 145 Seiten, 12,90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Einfach friedlich zumauernWas sollen wir tun? Hilft etwa eine neue Partei? Oder wäre es nicht besser, ganz Deutschland mit Generalstreik zu überziehen. Dietrich Kittner weist gelegentlich darauf hin, daß 1989/90 ein deutscher CDU-Kanzler zum ersten Mal in seinem Leben »Revolution« gesagt hat. Gemeint war die sogenannte friedliche Revolution in der DDR. Damals, ich erinnere mich gut, wurde die MfS-Zentrale gestürmt. Vorher hatte es geheißen: Bringt Steine mit zum Zumauern! Nun denke ich, wenn das eine friedliche Revolution war, müßte man auch heute einfach ganz friedlich zum Beispiel das Bundeskanzleramt und die Parteizentralen in Berlin zumauern und so schnell wie möglich das Bundesverteidigungsministerium und auf Länderebene die Staatskanzleien. Unbedingt sollte auch an BDI und BDA gedacht werden und an die Ämter für Verfassungsschutz, über die ich jetzt gerade das hervorragende Buch von Rolf Gössner gelesen habe. Vor allem sollten auch Bundestag und Landtage zugemauert werden, weil die eine Sozialabbaupolitik treiben, für die sie nicht gewählt worden sind. Genau so wie das Neue Forum damals gesagt hat: Bringt Steine mit, damit symbolisch zugemauert wird, so können wir nun mal zeigen, wer wirklich das Volk ist und wozu das Volk imstande ist. Norbert Meineck
Press-KohlIm Theater zu Münster, so meldet Friedemann Kluge (Neues Deutschland), geschieht Seltsames! »Der Orchestergraben ist mit einer Spelunke überbaut, die im Bühnenhintergrund in ein orthodoxes Gotteshaus übergeht. Hier, also hinter der Szene, ist auch das Orchester platziert.« Ist in dem orthodoxen Gotteshaus, in welches die den Orchestergraben überbrückende Spelunke übergeht, außer dem Orchester und den visionären Sprachbildern des Herrn Kluge noch was platziert? Ja. Eine sehr interessante Ausleuchtung. »Die Ausleuchtung dieses Bühnenteils erinnert...« Wen? Herrn Kluge. »... erinnert an das Gemälde Flötenkonzert in Sanssouci.« Ehrfürchtig staune ich darüber, was man mit Licht bewirken kann. »Mehr Ausleuchtung!« sollen Schillers (oder Goethes?) letzte Worte gewesen sein. So beschwört szenaristische Kunst in einem orthodoxen Gotteshaus zu Münster unversehens Sanssouci mit dem dazugehörigen Flötenkonzert in der Darstellung des Malers Menzel, wenngleich die uraufgeführte Oper, über die Herr Kluge berichten wollte, dem König Friedrich II. noch nicht bekannt gewesen sein konnte, geschweige, daß er sie auf der Flöte hätte spielen können. Aber ein Mensch – nehmt alles nur in allem – war auch er. Und so lautet die Überschrift der Rezension: »Es menzelt und es menschelt.« Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 12/2004 |
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