Impressum Plattform SoPos |
Schockschwerenot! Der von Ihnen benutzte Internetbrowser stellt Cascading Style Sheets nicht oder - wie Netscape 4 - falsch dar. Unsere Seiten werden somit weder in dem von uns beabsichtigten Layout dargestellt, noch werden Sie diese zufriedenstellend lesen oder navigieren können. Wir empfehlen Ihnen nicht nur für unsere Internet-Seiten, auf einen anderen Browser umzusteigen - z.B. Netscape 6/Mozilla, Opera, konqueror. Miniaturen und mehrAnne Dessau Auf der großen Bühne des Deutschen Theaters Berlin ist seit Monaten »Tag der Gnade« von Neil LaBute erfolgreich (Ossietzky 19/03). In der Kammerbar, einer kleinen Spielstätte in den Kammerspielen des DT, sind jetzt vom selben Autor drei Miniaturen für zwei Schauspieler (Inka Friedrich, Bernd Stempel) zu sehen: »Ausflug«, »Einordnen«, »Land der Toten«. Auf Hockern und Stühlen sitzt man vor dem Breitwandband einer drögen Hügellandschaft mit Straße, Verkehrs- und Reklameschildern. Tief im Hintergrund die Twin-Towers. Die Projektion scheint wie für eine Spielzeugeisenbahn geba-s-telt (Bühne und Kostüme: Birgit Stoessel). Einheitlicher Ort für die Einakter: ein Auto. Ihr Inhalt: Katastrophen, Abgründe menschlicher Beziehungen. Sie entwickeln sich aus beiläufigen Dialogen. Zu »Eins«: Ein Vater fährt mit der halbwüchsigen Tochter in Urlaub, in die Einsamkeit. Kein Telefon, kein Nix. »Nur wir beide.« Quirlig hopst, turnt, nervt die Halbwüchsige im großräumigen Wagen. Scheinbar harmlos tröpfelt das Zwiegespräch mit dem Vater. Unbehagen schleicht sich ein. Urplötzlich zeigen beide allergische Reaktionen aufeinander. Unausgesprochen wird deutlich: Dieser Vater ist ein Monster. Er wird – wir wissen es – sein Kind mißbrauchen. Inka Friedrich spielt die Göre aufmüpfig, selbstgewiß, eine Prise püppihaft, unsicher auch. All das sehr überzeugend. Bernd Stempel, Hände am Lenkrad, hat allein sein Gesicht, um die Ambivalenz seiner Empfindungen auszudrücken. Er macht es zur Projektionsfläche. Wir sehen darauf, sehr differenziert und doch in Großaufnahme, seine Gier, die schwer verhüllte Ungeduld, vorgetäuschte Großmut, Vaterliebe. Ein Vulkan vor dem Ausbruch. Blackout. In »Zwei« gesteht eine Frau ihrem Ehemann, daß sie vergewaltigt wurde. Von zwei Männern. Vielleicht mehreren? Gewaltsam seien sie in ihr Hotelzimmer eingedrungen. »Sehr wund« sei sie davon. Er lenkt den Wagen, fragt nach, behutsam, gereizt, angstbesetzt. Sie befördert, sehr zögerlich, sich widersprechend im Detail, den Vorfall aus ihrem Gedächtnis. Er insistiert. Sie redet sich raus. Sei ohnmächtig gewesen. Zwölf Stunden. Ja! Dumpfe Ahnungen werden ihm zur Gewißheit: Sie war betrunken. Es stellt sich heraus, daß seine Frau, ist sie betrunken, ganze Kompanien über sich läßt. »Es ist doch nicht wie damals, diese Navysache?«, fragt er. Sie bedeutet ihm, daß er eine gesperrte Trasse entlangrase, die in 200 Metern ... Er: »Sag´s, Engelchen, sag´s mir.« Da enden Text und Spur. In »Drei« begegnen wir einem erfolgreichen Paar, morgens, daheim. Er vor dem Aufbruch zur Arbeit. Sie hat einen Termin im Krankenhaus. Schnell wird klar: Hier geht es um Abtreibung. Zynisch wird »das Ding« zwischen ihnen diskutiert. »Du kannst dich frei entscheiden, ob du das Baby behalten willst oder nicht. Haha! War’n Scherz!« Unterwegs, er ist auf dem Weg zu Arbeit (Twin-Towers, 9.11.2002), ruft er sie noch einmal an: »Wir können das auch durchziehen und das Ding behalten.« Als sie die Nachricht abhört, ist »das Bündel schon im Verbrennungsofen« und der heitere Mordgeselle in seinem Büro im World Trade Center. Zeit: acht Uhr und wenige Minuten. Lakonisch, minimalistisch präzise, werden uns Seelenlandschaften gezeigt, schaurige Pointen menschlichen Verhaltens; sie lassen den Atem stocken. Darsteller und Regie (Eike Hannemann, Absolvent des Regie-Institutes der »Busch«) zeigen uns Schnappschüsse, Blitzlichtaufnahmen unserer Gesellschaft. Verheerend. Eindringlich. Ein Abend mit Tiefgang. * »Platonow« im Gorki, dem Schauspieltheater Unter den Linden. Ich war voreingenommen. Hatte gehört und gelesen, dies sei ein zu langer, langweiliger Abend; nach der Sommerpause werde es eine gestraffte Fassung geben, sagte man. Vorhang auf. Ein faszinierendes Bühnenbild (Kaspar Glamer): vorgezogene Bühne, tief gestaffelte, verschachtelte Räume, durch Spiegelwände raffiniert verwinkelt, erweitert. Möbliert mit verblichenen, ramponierten Versatzstücken aus besseren Zeiten. Eine Kulisse, in der sich die Vielzahl der von Tschechow gezeichneten Müßiggänger, Blattläuse, Unglücklichen, Trinker, Zyniker, hoffnungslos Sinnsuchenden gelangweilt ergehen können. Regisseur Uwe Eric Laufenberg nutzt das szenische Angebot, läßt seine bemerkenswert homogene Darstellerriege darin flanieren, kokettieren, diskutieren, einander verletzen, saufen, scherzen und die »Orientierungslosen« losgelöst, hilflos in Raum und Zeit trudeln. Laufenberg ist es gelungen, aus alten und neuen Mitgliedern des Maxim-Gorki-Theaters, hervorragenden Gästen auch, ein Ensemble zu schaffen, hat sie motiviert, ihr Bestes zu geben. Das sind: Leslie Malton, Felix Rech, Regine Zimmermann, Rainer Kühn, Norman Schenk, Rosa Enskat, Manfred Borges (er bietet ein schauspielerisches Kabinettstück), Hans- Jochen Wagner, Wolfgang Hosfeld, Eckhart Strehle, Anna Kubin und Michael Wenninger als Platonow. Von Wenningers Darstellung kann ich nicht herleiten, was die Faszination dieses Mannes ausmacht, warum die Frauen ihm verfallen, warum er sie zerstören kann. Eine von ihnen wird den Amokläufer in Liebessachen aufhalten. Wird ihn töten. Tschechow: »Meiner Meinung nach ist Platonow der perfekte Vertreter der zeitgenössischen Orientierungslosigkeit.« Weiter spricht Tschechow über Sinnlosigkeit, Langeweile, Auswege, Lüge und immer wieder »Trotzdem«. Trotzdem lieben, leben, weinen, das Glück finden im schönen Augenblick. Dieses Stück, Tschechows erster dramatischer Versuch, erzählt schon sehr früh, vollständig, überbordend, was ihn bewegt, wozu er sich äußern muß; bietet bereits die gesamte Personage seiner folgenden ruhmreichen Stücke: »Kirschgarten«, »Die Möwe«, »Drei Schwestern«, »Sommergäste«. Seine Botschaft trifft. Damals. Gegenwärtig. Taschenbuchformat hat die Aufführung nicht. Format hat sie. Bedauerlich, daß im Zeitalter schnittschneller Medienüberflutung mancher Betrachter auch im Theater als Konsument reagiert, Fastfood bevorzugt. Für diese Spezies taugt die kulinarische Aufführung nicht.
Erschienen in Ossietzky 12/2004 |
This page is hosted by SoPos.org website
<http://www.sopos.org> Contents copyright © 2000-2004; all rights reserved. Impressum: Ossietzky Maintained by webmaster@sopos.org |