Offener Brief eines Steuerbürgers

Wolfgang Helfritsch

Sehr geehrter Herr Bundesfinanzminister, nachdrücklich begrüße ich die bereits in Kraft getretenen Praxisgebühren, Rentenkürzungen, Mieterhöhungen und Fahrpreisregulierungen. Schon vor Jahren, als der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl allen Mitbürgern dazu riet, den Gürtel enger zu schnallen, und sich Ihr verdienstvoller Vorgänger im Amt, Herr Waigel, mutig und kreativ um neue Steuerquellen bemühte, rief ich meinen Landesbrüdern und -schwestern zu: »Verwaigelt Euch nicht!«

Heute bekräftige ich meine Aufforderung an alle Glieder der freiheitlich-demagogischen Rundordnung, unserem vernetzten Sozialstaat bei der Suche nach neuen präservativen Steuerquellen solidarisch zur Pleite zu stehen. Gerade die zahllosen und unscheinbaren kleinen Eicheln, sehr geehrter Herr Chefkassierer, sind es doch, die die große Sau fettmachen! In Wahrnehmung meiner Mitverantwortung für unser Gemeinwesen unterbreite ich deshalb folgende weitgreifende Besteuerungsvorschläge:

1. Wie lange noch, frage ich mich als national gesinnter Steuerbürger, soll und darf zugelassen werden, daß die penetranten Nichtraucher von den Pflichtabgaben verschont bleiben, die dem steuerbewußten Raucher beim legalen Erwerb von Tabakprodukten aus der keuchenden Lunge gehustet werden? Durch eine »Nichtraucher-Ausgleichs-Steuer« in Höhe des aufgerundeten Pauschalpreises nichterworbener Tabakprodukte könnte dieses Defizit ein für allemal beseitigt werden.

2. Die Hundesteuer ist längst zu einer Gewohnheitsabgabe geworden, die der Liebhaber der mit Vorliebe auf Straßen, Kinderspielplätzen und vor Hauseingängen kotenden possierlichen Vierbeiner widerspruchslos in Kauf nimmt. Ja, aber ist denn nicht bekannt, daß sich zahllose Familien ihren grauen Alltag mit Katzen, Meerschweinen, Ratten, Alligatoren, Schildkröten, Schlangen und Vögeln verschönern – von Küchenschaben, Kleidermotten, Kopfläusen, Schamhaarmilben und dem zutraulichen Bandwurm ganz abgesehen? Sind das nicht Einnahmequellen neuer nationaler Dimension?

3. Wie selbstverständlich ist es doch für uns alle – ja, auch für mich – schon geworden, bundesseitig subventionierte Bürgersteige oder Brücken fußläufig zu benutzen, kommunal bezuschußte Straßen und Kreuzungen tributfrei zu überqueren oder gar leichtfüßig und unentgeltlich von einem in einen anderen Stadtteil zu wechseln! Wer denkt denn da schon an die kommunalen Mühewaltungen und Aufwendungen, die immer wieder erforderlich sind, um fußgerechte Fortbewegungsflächen zu projektieren, zu errichten und schrittgemäß zu warten? Was für die Lastkraftwagen gilt und bald auch für die PKWs Selbstverständlichkeit sein wird, müßte sich doch auch für den gemeinen Fußgänger flugs vermauten lassen!

Wie Sie, Herr Minister, bereits aus diesen wenigen Vorschlägen ersehen werden, ist die Fülle der steuerlichen Veranlagungsmöglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft. Unverständlicherweise hält sich aber die Bereitschaft der Bürger, an der Erschließung weiterer Reserven teilzunehmen, um den Lebensstandard der Besser- und Bestverdienenden zu erhalten und zu erhöhen, in engen Grenzen. Deshalb betrachten Sie auch folgende Stichworte als ausgestaltungsfähige Vorschläge: die Tageslichtabgabe, den Vollmondzuschlag, die Atemluftsteuer, Feiertagsgenußzuschläge für alle Berufs- und Altersgruppen, Stauobligationen für Kraftfahrer, Kreuzungspflichtsätze für Fußgänger, Klingelgebühren für Radfahrer, Wartestundensätze für behördliche und ärztliche Konsultationen, Körperabgaspauschalen.

Herr Minister, übernehmen Sie!

Erschienen in Ossietzky 12/2004