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Grüne GewaltpolitikDer Krieg der NATO gegen Jugoslawien vor fünf Jahren war ein guter. Der Krieg der USA und ihrer Vasallen gegen den Irak vor einem Jahr war ein schlechter. So sieht es Reinhard Weißhuhn, außenpolitischer Berater der grünen Bundestagsfraktion. Gewaltlosigkeit sei »nicht realistisch«, erklärte der einstige DDR-Oppositionelle und Mitbegründer der »Initiative Frieden und Menschenrechte« (IFM) in einer Gesprächsrunde der Heinrich-Böll-Stiftung über Alternativen zur militärischen Interventionspolitik. Gewalt löse zwar keine Probleme, könne aber die Voraussetzungen schaffen, sie zu bewältigen. Er nannte den Krieg gegen Jugoslawien als Beispiel dafür und wiederholte die kriegsbegründenden Lügen, als wären sie nicht längst in vielen Büchern gründlich widerlegt. Der angeblich begonnene Völkermord an den Kosovo-Albanern habe den formalen Verstoß der NATO gegen das Völkerrecht und die UN-Charta gerechtfertigt. Dabei habe es »genügend Bilder von Toten« gegeben, um die Öffentlichkeit auf Kriegskurs zu bringen, meinte Weißhuhn. Er forderte, UN-Charta und Völkerrecht zu reformieren und Menschenrechte als Grund für militärisches Eingreifen aufzunehmen. Der Mitarbeiter des Außenministers Joseph Fischer hatte im Herbst 2000 ein fraktionsinternes Papier vorgelegt, in dem Rüstungsexport als Mittel der politischen Einflußnahme diskutiert wird. Die Menschenrechte taugten auf Dauer nicht als Hauptkriterium und dienten nur dazu, »möglichst viele Rüstungsexportgeschäfte zu verhindern«, zitierte die taz. Da war schon längst verdrängt oder vergessen, was 1989 in einem IFM-Papier neben einem Lob der Gewaltlosigkeit gestanden hatte: »Frieden und Menschenrechte sind voneinander nicht zu trennen. Sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.« Die Grünen wurden gebraucht, um die Bundesrepublik auf Kriegskurs zu bringen, wie die FAZ erkannte. Ostdeutsche »Bürgerrechtler« wie Weißhuhn, die nach 1989 zu den Grünen kamen, wurden gebraucht, ihnen die Gewaltlosigkeit auszutreiben. Auf dem Weg zur Macht stören Prinzipien. Tilo Gräser
Ein Hamburger StrategeHermann Gremliza, Herausgeber des in Hamburg erscheinenden Magazins konkret, macht sich Sorgen über den Ausgang der kommenden Präsidentenwahl in den USA. Er möchte nicht, so ist es seiner jüngsten Kolumne zu entnehmen, »daß die USA ab November« noch einmal vier Jahre lang so tief unter dem Niveau einer Weltmacht regiert werden«. Wie Gremliza weiß, besteht nämlich die Gefahr, daß George W. Bush in seinem Amt bestätigt wird – und zwar dann, »wenn es der deutschen Politik gelänge, bei den amerikanischen Wählern eine Stimmung zu erzeugen, die dafür sorgt«. Und das wäre dann »der Endsieg deutscher Politik«. Nur treue LeserInnen von konkret werden den eben zitierten Gedankengang ohne weiteres nachvollziehen können, und deshalb soll er kurz erklärt werden: Deutschland, »im Bündnis mit den Islamisten«, betreibt einen Krieg gegen die USA. Im Irak hat Deutschland die USA in die Falle des militiärischen Engagements locken können, weil George W. Bush zu dämlich ist, die Risiken abzuschätzen, und so konnten – angesichts des weiteren Verlaufs der irakischen Dinge – »Schröder und Fischer einen ersten deutschen Sieg über die USA feiern«. Da nun »die Amerikaner« dazu neigen könnten, sich in der Stunde der Gefahr, die erst durch deutsche Verschlagenheit geschlagen hat, um den falschen Präsidenten zu scharen, ist der nächste Fehlschlag der US-Globalpolitik zu befürchten – und damit der »deutsche Endsieg«, vor dem Gremliza dann vergeblich gewarnt hat... Der Herausgeber von konkret, so kommt es mir vor, hat sich durch sein berechtigtes Mißtrauen gegenüber neuen weltpolitischen Ambitionen der politischen Klasse in Deutschland dazu verleiten lassen, die gegenwärtigen globalen Einflüsse der deutschen Politik zu überschätzen – und die innere Konsequenz US-amerikanischer Weltmachtpolitik zu unterschätzen. Die Regierung der USA ist nicht über den Irak hergefallen, weil Schröder und Fischer sie listig dazu verleitet hätten. Mit Hermann Gremliza kann man den Erfolg John Kerrys gegen George W. Bush wünschen, weil damit immerhin klargestellt wäre, daß eine Mehrheit des Wahlvolkes in den USA Zweifel an der Hau-drauf-Methode des derzeitigen Präsidenten hat. Aber was wird, wenn Kerry siegt, US-Regierungspolitik »auf dem Niveau einer Weltmacht« sein, die Gremliza sich wünscht? Wird dann die politische Klasse in den USA darauf verzichten, ihre globalen Interessen gewaltförmig durchzusetzen? Das ist keineswegs anzunehmen. Denn: In der Weltpolitik geht es ziemlich konkret zu, anders als in einer konkret-Kolumne. Peter Söhren
Streit um AgnoliSeit dem Tode von Johannes Agnoli im Mai letzten Jahres obliegt es seiner Familie, hauptsächlich seiner Witwe Barbara, das Erbe des Philosophen und Sozialwissenschaftlers zu ordnen und zu verwalten. Dazu gehören seine hinterlassenen Schriften. Um diese ist nun heftiger Streit entbrannt. Bisher erschienen Agnolis Gesammelte Schriften im Freiburger Ça-Ira-Verlag. Frau Agnoli hat sämtliche Verträge mit ÇaIra gekündigt, nachdem sich der Kleinverlag im letzten Jahrzehnt zu einem der intellektuellen Zentren »antideutscher« Ideologieproduktion entwickelt hat. Ihr Mann war froh, daß es überhaupt jemanden gab, der seine Schriften engagiert verlegte. Seine Einsichten in die Integrationsmechanismen bürgerlicher Demokratie waren zudem immer offen für einen Linksradikalismus, der die Möglichkeiten linker Politik nur als »Antipolitik«, als anti-institutionelle »Kraft der Negation« zu fassen vermag. Das machte ihn zu einem der wenigen Vordenker jener Szene, die nach 1989 ihren Höhenflug erlebte. Ein zynischer »Antideutscher« aber war er nie. Nachdem der Verlag ohne Wissen der Erben einen transkribierten, vom Autor nicht redigierten Vortragstext veröffentlicht hatte, eskalierte der Streit. Frau Agnoli wirft dem Verlag vor, den Text im antideutschen Sinne verzerrt zu haben, damit er in den Kontext eines Buches (»Transformation des Postnazismus«, hg. von Stephan Grigat) paßt, das gegen den »von Deutschland und Europa gesponserten Islamfaschismus der Gegenwart« wettert und vor einem Frieden in Nahost warnt, der nur »die Verewigung des perspektivlosen Mordens von Seiten der Palästinenser« bedeuten könne. Diese Auseinandersetzung wird mit eidesstattlichen Versicherungen, vielerlei »Enthüllungen« und Denunziationen geführt, zuletzt mit einer Suada der Verlagsleitung, die nur noch bezweckt, die eigene Anhängerschaft auf Linie zu halten. Die Fetzen fliegen und versinnbildlichen eine politische Niederlage der »Antideutschen«, die nur zu begrüßen ist. Christoph Jünke
Anti-linke Ressentiments»Die deutsche Linke hat – von wenigen Ausnahmen abgesehen – den Kampf für eine Entschädigung der wenigen Überlebenden nie zu ihrer Sache gemacht.« Ein solcher pauschaler Anwurf gleich im Vorwort verstimmt den erwartungsvollen Leser. Richtiger wäre es, umgekehrt zu fragen, wer außer der Linken diesen Kampf aufgenommen hat. Das Bundesentschädigungsgesetz schloß Ansprüche von Kommunisten aus, die VVN als größte Verfolgtenorganisation wurde mit antikommunistischen Argumenten unterdrückt. Man müßte mindestens die Kommunisten, aber auch linke Sozialdemokraten aus »der deutschen Linken« herausrechnen, wenn der zitierte Satz stimmen sollte. Wer bliebe dann übrig? Die notwendige zornige Abrechnung mit deutscher Erinnerungs- und Entschädigungsabwehr wird in die Perspektivlosigkeit irregeleitet, wenn der Antisemitismus unterschiedslos, geschichtslos als deutsche Nationaleigenschaft gelten soll. Anti-deutsche Ressentiments bleiben im Nationalismus befangen – ähnlich wie alle Versuche, Kritik an zionistischen Konzepten und an der Regierungspolitik Israels als antisemitisch zu denunzieren, dem Rassismus verhaftet bleiben. Solche ideologischen Zutaten (z.B. auch wenn sich der gescheite Mitautor Lars Rensmann soweit vergißt, den Kommunisten Conrad Schuhler mit dem Neonazi Horst Mahler in eine Schublade zu werfen) mindert leider den Wert dieses Buches, in dem viel fleißige Dokumentationsarbeit steckt. Im selben verdienstvollen Verlag hat übrigens soeben Robert Kurz Aufschlußreiches über »Die antideutsche Ideologie« publiziert. E.S. Gruppe Offene Rechnungen (Hg.): »The final Insult. Das Diktat gegen die Überlebenden. Deutsche Erinnerungsabwehr und Nichtentschädigung der NS-Sklavenarbeit«, Unrast Verlag, 276 Seiten, 14 €
Auschwitz und das Leben danachDie NPD baut vor einer kleinen Boutique in Hamburg einen Werbestand auf. Die Inhaberin des Ladens beobachtet, wie die Polizei die Nazis vor einer Gruppe von Gegendemonstranten zu schützen versucht. Als sie sich einmischt, versucht einer der Polizisten, sie zu verscheuchen, und droht, sie zu verhaften. Ihre Replik: »Damit machen Sie mir keine Angst. Ich war in Auschwitz, und das war schlimmer.« Am nächsten Tag, es ist das Jahr 1978, tritt sie, Esther Bejarano, in die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten ein. Das Buch »Wir leben trotzdem« zeichnet ihren Lebensweg nach. Als Jugendliche nach Auschwitz verschleppt muß sie dort als Mitglied des Mädchen-orchesters die antransportierten Menschen, die ins Gas geschickt werden sollen, mit Musik begrüßen. Esther Bejarano überlebt die Vernichtungsmaschinerie aufgrund einer Reihe glücklicher Zufälle, geht nach der Befreiung nach Israel, wo sie versucht, das Erlebte zu verdrängen. Aber die quälenden Träume weichen nicht. Gesundheitlich angeschlagen und enttäuscht von der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern kehrt sie 1960 mit ihrem Mann nach Deutschland zurück. Als sie einige Jahre später in Hamburg eine Diskothek eröffnen, spricht sich schnell herum, daß zwei Juden sie betreiben. »Ganze Nazitruppen kamen da rein und haben Schlägereien angefangen.« Es dauert nicht lange, bis die Gäste wegbleiben und die Diskothek geschlossen werden muß. Doch erst nach dem Zusammenstoß mit der die NPD schützenden Polizei beginnt Esther Bejarano über ihre Vergangenheit zu reden – auch öffentlich – und sich politisch zu engagieren. Neben ihrem Eintritt in die VVN gründete sie mit anderen Schoa-Überlebenden das Auschwitz-Komitee, dessen Vorsitzende sie heute ist. Regelmäßig ist sie in Schulen zu Gast, wo sie aus ihrem Leben erzählt. Und noch immer steht sie mit ihrer Musikgruppe »Coincidence« auf der Bühne. Die Lieder, die sie singen, handeln von den Erfahrungen in den Ghettos und Konzentrationslagern, drehen sich aber auch um aktuelle Probleme von Rassismus, Gewalt und Krieg. Das gemeinsam von Esther Bejarano und der Journalistin Birgit Gärtner verfaßte Buch geht übers Biografische hinaus und behandelt Themen, die in den Geschichtsbüchern selten vorkommen, wie den jüdischen Widerstand in Ghettos und KZs, wobei auch die Namen von Widerstandskämpferinnen genannt werden. Es reicht bis zum Januar diesen Jahres, als anläßlich der Ausstellung über die Verbrechen der Wehrmacht in Hamburg die Nazis aufmarschieren und Esther Bejarano auf der Gegenkundgebung sprechen will. Ohne Vorwarnung setzt die Polizei Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. Die verhinderte Rednerin empfindet es als eine »Katastrophe, daß die alten und neuen Faschisten wieder offen auftreten können und von der Polizei geschützt werden, während Gegendemonstrationen verboten und Protestierende kriminalisiert und von der Polizei drangsaliert werden«. Sie will sich damit nicht abfinden. Strafanzeige gegen die Verantwortlichen ist gestellt. Kirsten Hofmann
Esther Bejarano, Birgit Gärtner: »Wir leben trotzdem. Esther Bejarano – vom Mädchenorchester in Auschwitz zur Künstlerin für den Frieden«, Pahl-Rugenstein Verlag, 263 Seiten, 19,90 €
Erasmus Schöfers siebziger JahreSozialisten aus der DDR haben sich in jüngster Zeit zahlreich mit autobiographischen Texten zu Wort gemeldet – aller Funktionen ledig, auf sich selbst zurückgeworfen, freie Zeit nutzend, bemüht, anderen klarzumachen und sich selbst darüber klarzuwerden, warum alles so gekommen ist, wie es gekommen ist, und welche Rolle sie in der Ge-schichte gespielt haben. Gut so. Persönliche Erinnerungen sind wichtiges Quellenmaterial für künftige Geschichtsschreibung. Von westdeutschen Sozialisten liegt wenig Vergleichbares vor. Die Geschichte des übriggebliebenen deutschen Staates ist von dieser Seite her schlechter beleuchtet als die des untergegangenen. Schon deswegen gilt es zu würdigen, daß sich Erasmus Schöfer ans Werk gemacht hat, seine Erfahrungen literarisch zu gestalten, daß der Verleger Volker Dittrich dieses Romanwerk herausbringt und daß nach »Ein Frühling irrer Hoffnung« über das Jahr 1968 nun der zweite Band, »Zwielicht«, vorliegt. Er berichtet aus den 1970er Jahren zunächst über die nordhessische Glashütte Süßmuth, die, als ihr Besitzer sie schließen will, von den Arbeitern genossenschaftlich weiterbetrieben wird, und dann über den erfolgreichen südba dischen Aufstand gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl; außerdem thematisiert er die Schwierigkeiten realistischen Erzählens, unter anderem am Beispiel des Werkkreises »Literatur der Arbeitswelt«. Ihm gelingen durchweg realistische Personen- und Situationsschilderungen. Niemals heroisiert er, immer arbeitet er die in der Gesellschaft wie im einzelnen Menschen wirkenden Widersprüche heraus. Dem Romancier ist ein Maß an histo-rischer Genauigkeit zu bescheinigen, wie es uns sowohl im Journalismus als auch in der Geschichtsschreibung selten begegnet. Viele Akteure und Randfiguren erscheinen unter ihren richtigen Namen, beispielsweise Balthasar Ehret, Hermann Spix, Günter Wallraff und in einer wohlgelungenen Skizze Bernt Engelmann. Andere Namen sind leicht verfremdet, womit der Autor einen dünnen Schleier der Diskretion über sexuelle Beziehungen einiger Personen legt, aber auch – was mir weniger einleuchtet – über Beziehungen zur Deutschen Kommunistischen Partei. Beispielsweise sehe ich im Jahre 2004 keine Notwendigkeit mehr, aus der Deutschen Volkszeitung eine »Demokratische Zeitung« und aus Helmut Bausch einen »Helmut Rauch« zu machen. Nicht, daß der Antikommunismus überwunden wäre, aber was 30 und mehr Jahre zurückliegt, sollte allmählich offen aufgearbeitet werden können; das würde helfen, die Wirkungsweise des Antikommunismus als Staatsdoktrin der BRD kenntlich zu machen. Sich selbst löst der Erzähler in drei Figuren auf, die einander auch gelegentlich begegnen, zum Beispiel indem er als Journalist den Schriftsteller Erasmus Schöfer interviewt. Sehr glücklich finde ich diese Idee nicht, vor allem wenn er sein Ego Nummer drei in einem inneren Monolog eine öffentliche Rede des Egos Nummer zwei kommentieren läßt, was über 30 Seiten hinweg sehr mühsam zu lesen ist. Das Persönliche, das alles Politische durchdringt, ist der stete starke Wunsch nach Zuneigung, Anerkennung, Bestätigung, Einbezogenwerden. So scheut sich der Erzähler nicht, uns ohne eine Spur von Selbstironie seinen Unmut darüber mitzuteilen, daß Uwe Friesel und Uwe Timm bei einem zufälligen Treffen auf der Frankfurter Buchmesse miteinander gesprochen haben und nicht mit ihm. Peinlichkeit ist gleichfalls nicht weit, wenn er eine Redaktionskollegin als Geliebte eines alter ego zu diesem sagen läßt, Schöfer sei »zu ehrlich, zu gutgläubig für den Jahrmarkt der Eitelkeiten«. Oder sollten wir Ehrlichkeit gerade dann schätzen, wenn sie Peinlichkeit nicht scheut? Für die folgenden Bände – auf die ich gespannt bin – ist dem Autor zu wünschen, daß er anderen Personen als der eigenen mehr anhaltende Aufmerksamkeit zuwendet, ihnen mehr Handlungs- und Entwicklungsmöglichkeiten gibt. Außerdem könnte er auf manche stilistische Mätzchen verzichten; seine allerneueste Rechtschreibung (»hastu«, »kannstu«, »willstu«, »swar«, »vleicht«, »Schampinjong«) empfinde ich nicht als Hilfe zum Lesen. Eckart Spoo Erasmus Schöfer: »Zwielicht«, Dittrich Verlag, 593 Seiten, 24,80 Euro
Wirtschaft ist doch ganz einfachIm Abteil eines Zuges von Leipzig nach Bonn vertrieb sich eine Frau die Zeit im Gespräch mit mir über die Wirtschaftswissenschaft. »Wenn wir besser leben und die Polen schlechter, werden wir doch, nachdem die EU erweitert ist, schlechter leben und die Polen vielleicht besser«, meinte sie. »Da haben wir unseren Teuro fast verkraftet, und nun wird er uns noch einmal einholen, denn es kann doch nicht wahr sein, daß die Inflation auf uns nicht überschwappt«, fuhr sie fort. Als ich einwenden wollte, von den Märkten in Polen, Tschechien und den anderen acht neuen EU-Ländern würden vielleicht Gewinne auf deutsche Konten fließen, wurde meine Gesprächspartnerin rabiat: »Auf mein Konto sicher nicht, aber daß die Schufte sich die Taschen füllen können, das kann sein.« Als Bundespräsident Rau von »Unkenrufen und Schwarzmalerei« der EU-Skeptiker sprach, dachte ich an die alte Frau. Aber da meldeten sich alle anderen zu Wort: Angela Merkel schwärmte, der Beitritt der neuen EU-Mitglieder bedeute wirtschaftliche Bereicherung für alle Beteiligten. Gerhard Schröder sprach vom »Glück«, das man feiern könne, und von Europa als einem Hort des Wohlergehens aller Menschen. Der für seine Euroeuphorie gut bezahlte EU-Erweiterungskommissar Günter Verheugen dankte überschwenglich vielen Millionen Menschen in Europa, die die »Hoffnung nie aufgegeben haben, daß sich die Mühen lohnen werden«. Deshalb wurde überall gefeiert: von Dublin, weil Irland die EU-Ratspräsidentschaft innehat, bis Zittau, wo auch Beethoven bemüht wurde. Mit »Freude schöner Götterfunken« hißten die Regierungschefs Deutschlands, Polens und Tschechiens am Grenzstein im Dreiländereck die EU-Fahne. Doch plötzlich hörte ich in diesem Trubel einfache, verständliche Worte: »Die Konsequenz ist eigentlich trivial: In den bisherigen Niedriglohnländern profitieren die Arbeiter und in den bisherigen Hochlohnländern verlieren die Arbeiter. So einfach ist das. Weil es eine Angleichungstendenz gibt.« Inhaltlich wirkte es wie eine Fortsetzung der Rede meiner Zugbekanntschaft. Aber die Stimme war männlich. Es ging gerade um Auslagerung von Arbeit ins billige Ausland: »Sie führt dazu, daß zum Schluß deutsche Firmen nur noch die Endmontage durchführen und das Schild ›Made in Germany‹ auf die Güter draufkleben, die anderswo produziert werden. Nehmen Sie mal diesen ›Porsche Cayenne‹, auf den wir stolz sind, der angeblich in Leipzig hergestellt wird. 88 Prozent der Wertschöpfung kommt nicht aus Deutschland. Der Wagen kommt praktisch fertig aus Bratislava, und in Deutschland wird nur das Getriebe eingebaut...« Na ja, dachte ich, wenn die Deutschen von der Wertschöpfung in der Slowakei doch profitieren können, dann wäre das genau das, was wir bezweckten, als wir die EU-Osterweiterung unterstützten. Prompt kam auch die Erklärung, wer als Gewinner und wer als Verlierer der EU-Erweiterung gemeint ist: »Das ist einfach nur ein Umverteilungseffekt. Die Arbeiter werden ärmer, und die Kapitalisten werden reicher, wenn ich das mal so platt sagen darf. Die Gewinne steigen und die Löhne fallen. So. Das ist die ganze Wahrheit.« Wer ist dieser Mann, der dem einfachen Volk nach dem Mund spricht? Hat er überhaupt Ahnung von dem, was er sagt, wenn solche Koryphäen (siehe oben) uns genau das Gegenteil vorgaukeln, oder plappert er einfach Unsinn ohne Sinn und Verstand? Der Redner war Hans-Werner Sinn, Chef des renommierten ifo-Istituts. Seine Worte stammen aus einem Interview, das er dem polnischen Programm des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle gegeben hat. Da das Programm in Polen und in polnischer Sprache ausgestrahlt wurde, wissen die Deutschen nicht, wie einfach die Wirtschaftswissenschaft ist und daß sie mit ihren Vermutungen aus dem Bauch heraus ganz nah an der Wahrheit liegen. Schade bloß, daß Gerhard Schröder am 1. Mai in Zittau bei den Feierlichkeiten nicht ein bißchen Polnisch gelernt hat… Viktor Timtschenko
Der Traum von EuropaZwei Äußerungen von Politikern im Fernsehen, die Erweiterung der EU betreffend, stimmten mich in letzter Zeit nachdenklich. Einmal appellierte der Mann mit dem Buratino-Gesicht, der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Merz, an den Patriotismus der Unternehmer, ihre Indus-trie hier im deutschen Land zu lassen; zum anderen schätzte der Ministerpräsident von Sachsen, Milbradt, ein, es werde Gewinner und Verlierer geben. Nun könnte man den Appell von Merz, seines buratinohaften Gesichtes wegen, für einen freundlichen Scherz halten. Merz und Scherz passen aber nicht zusammen. Er hat es ernst gemeint und bewies damit eine frappierende Lebensfremdheit. Als wären die Unternehmer, allen voran das Großkapital, schon jemals patriotisch gewesen! Wenn es um den Profit geht, verliert der Patriotismus (siehe Siemens), und abgebauten – von ihnen selber abgebauten – Arbeitsplätzen trauern sie nicht nach. Das Schachbrett, auf dem die Arbeitnehmer, die Springer, Läufer und Bauern willkürlich hin und her geschoben und zu Schachzügen verwendet oder ganz vom Brett gestoßen werden können, ist größer geworden. Damit wächst die Macht der westeuropäischen Großkonzerne, der Großbanken. Wachsende soziale Probleme sind vorprogrammiert. Aber auch die Kraft der anderen Klasse wird erstarken, wenn sich die Gewerkschaften ihrer internationalen Bedeutung bewußt werden und sich der Aufforderung von Marx an die Proletarier aller Länder erinnern: Vereinigt euch. Das könnte zu einer nützlichen Balance führen. Nur durch weitgreifendes Umdenken und Ausgleichen wird sich verhindern lassen, daß der alte europäische Traum nicht wieder in ruinierenden Konkurrenzkämpfen und politischer Kleinkrämerei, in Vorurteilen und Engstirnigkeit endet. Wolfgang Eckert
Hoher Kirchturm, hohe KostenZwar hat Ulm den höchsten Kirchturm der Welt, aber die Begeisterung für den Katholikentag vom 16. bis 20. Juni ist begrenzt. Im Herbst 2002 brachte eine Stadtratsmehrheit aus Grünen, Teilen der SPD und der Freien Wähler die Veranstaltung sogar ins Wanken. Aus Protest gegen undurchsichtige Finanzplanung der Veranstalter und angesichts knapper Kassen legte sie den vom sozialdemokratischen Oberbürgermeister versprochenen städtischen Zuschuß von einer Million Euro auf Eis. Der Trägerverein war entsetzt: »Das hat es noch in keiner anderen Stadt gegeben.« Er legte dann aber ein Finanzierungskonzept vor. Rund zwei Millionen Euro zahlen das Bundesinnenministerium und das Land Baden-Württemberg, die kirchlichen Zuschüsse machen weniger als ein Drittel des Sieben-Millionen-Etats aus. Der Ulmer Geschäftswelt versprach er hohe Umsätze, allerdings nur wenn der Stadtrat den Millionenzuschuß absegne – was der dann, gegen die Stimmen der Grünen, auch tat. Nicht zuletzt wegen der fehlenden Million wurden bald darauf die Kindergarten- und weitere Gebühren drastisch erhöht. Im Herbst 2003 wurde bekannt, daß 11 000 Dauerbesucher in etwa 90 Schulen übernachten werden. Dadurch fällt an mindestens zwei Tagen der Unterricht aus. Auf eine vom Ulmer Landtagsabgeordneten Oelmayer (Grüne) eingebrachte Frage nach den rechtlichen Grundlagen dieses Unterrichtsausfalls antwortete die baden-württembergische Kultusministerin Schavan: »Ein derartiges Verfahren ist bundesweit Standard bei vergleichbaren Veranstaltungen wie etwa dem evangelischen Kirchentag.« Der ausgefallene Unterricht muß laut Schavan, die zugleich Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken und Mitglied der Katholikentagsleitung ist, auch nicht nachgeholt werden, denn: »Eine Großveranstaltung wie der Katholikentag bietet im Sinne des Erziehungs- und Bildungsauftrags der Schule vielfältige Angebote und Mitwirkungsmöglichkeiten und damit Chancen für außerschulische Lernerfahrungen und Lernorte.« Mit der offenkundig weiterhin aktuellen Forderung nach Trennung von Staat und Kirche wird sich eine von den Ulmer Freidenkern organisierte überregionale Konferenz befassen, die eine Woche später, am 26./27. Juni stattfinden wird (www.freidenker.telebus.de). Peter Bräunlein
Kann denn Schlager Sünde sein?Als im Frühjahr 1933 die Nazis die politische Macht erlangten, konnten sie für ihre Zwecke ein junges Medium nutzen, das sich wirkungsvoll als Herr-schaftsins trument einsetzen ließ: den Rundfunk. Für die »Nationalsozialistische Rundfunkkammer« war schon im Oktober 1933 »Rundfunkhören keine Angelegenheit der persönlichen Unterhaltung, sondern eine staatspolitische Pflicht und Notwendigkeit«. Hans-Jörg Koch zeigt am Beispiel der populären Sendung »Wunschkonzert« Art und Umfang der Politisierung der Unterhaltungsmusik durch das Nazi-Regime. Goebbels nannte das »Wunschkonzert« eine »richtige Kulturdemonstration unseres Volkes vor sich selbst und vor der Welt«. Die Volksgemeinschaft saß vor dem Volksempfänger und ließ sich von der im »Wunschkonzert« dargebotenen anspruchslos-heiteren Musik in den Bann ziehen. Geschickt wurde Nazi-Ideologie in gefühlvolle Texte verpackt. Nach Kriegsbeginn im September 1939 kurzerhand in »Wunschkonzert der Wehrmacht« umfirmiert, wurde es zur »Wunderwaffe« im Dienst der NS-Propaganda, wozu die Chilenin Rosita Serrano, die Ungarin Marika Rökk, die Schwedin Zarah Leander und der Holländer Johannes Heesters gemeinsam mit bekannten deutschen Filmschauspielern wie Ilse Werner, Heinz Rühmann und Willy Fritsch beitrugen. Koch zeigt dies an vielen Beispielen und verschweigt auch nicht die Kontinuitätslinien bis weit in den bundesrepublikanischen Alltag hinein. Wenn Bernd Kleinhans (Ossietzky 13/2003) fürchtet, daß in der historischen Wahrnehmung »die Filme des Dritten Reiches irgendwann mächtiger werden als das Wissen über die Verbrechen dieses Regimes«, dann gilt das gleichermaßen für die Unterhaltungsmusik. Auch hier sind die Rahmenbedingungen der Erstveröffentlichung in Vergessenheit geraten. Sowohl viele Schlager als auch deren Produzenten und Interpreten haben das »Dritte Reich« unbeschadet überlebt. Sie sind zum Bestandteil unserer Alltagskultur geworden und haben in den Wunschkonzerten der bundesrepublikanischen Sender ihren festen Platz. Sie sind als gefälliges Produkt der Nazi-Jahre auch in heutigen Krisenzeiten willkommen: Sie lassen die Welt ringsum und die eigene Einsamkeit vergessen, stillen die Sehnsucht nach Ge fühlen und bieten eine Kompensation für unerfüllte Wünsche. Und wer von all dem noch nicht genug hat, kann den 1939 uraufgeführten Spielfilm »Wunschkonzert« als Video käuflich erwerben. Herbert Altenburg
Hans-Jörg Koch: »Das Wunschkonzert im NS-Rundfunk«, Böhlau Verlag, 402 Seiten, 44.90 Euro
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Press-KohlDer Tagesspiegel veröffentlichte ein Interview, das Christine Lemke-Matwey mit der Kulturstaatsministerin Christina Weiss geführt hat. Bevor man über den möglichen Unterschied zwischen einer Kulturstaatsministerin und einer Staatskulturministerin zu grübeln beginnt, kommt man darauf, daß beide vielleicht, wenn sie schon sonst nichts zu geben haben, Interviews geben beziehungsweise gewähren. In diesem Interview ohne Gewähr offenbart Frau Weiss, daß sie ein gewisses Festival braucht. »In Berlin war gerade das Festival für aktuelle Musik. Wer braucht so etwas?« – »Menschen wie ich beispielsweise... ich möchte wissen, was an neuen Klängen erfunden wird und wie Grenzüberschreitungen passieren... Grenzüberschreitungen auch... zwischen Klang und Geräusch.« Oder zwischen Lauten und Tönen, Explosionen und Implosionen und so weiter. Das Trommelfell ist ein weites Feld. »Die Bundeskulturstiftung fördert insgesamt etwa 30 Projekte Neuer Musik. Haben Sie das Gefühl, daß das Bedürfnis nach institutioneller Förderung wächst?« Eine verwirrende Frage! Eben ging`s noch um Staatskultur, und nun wird plötzlich die Grenze zur Bundeskultur überschritten. Klar, daß da das Bedürfnis nach institutioneller Förderung wächst. Und es versteht sich von selbst, was die Ministerin erwidern muß, nämlich: »Ja und nein... Mir fällt da immer eine schöne Anekdote von Wolfgang Rihm ein, dem einmal in einem Zuge ein kleiner Junge gegenüber sitzt, der ihn fragt, was er denn so mache. Ich bin Komponist, sagt Rihm. Darauf der Junge: Was, und Du lebst noch?« Wie man sieht, ist Kultur eine heikle Sache. Vor allem für Kulturminister. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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