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Die »Wut« führte sie schon auf der Biennale in Venedig vor. Der Regisseur Bojan Jablanovec braucht kein Bühnenbild und kaum Requisiten. Die sieben Schauspieler verwandeln sich durch ihre Hingabe an das Essen, der Bühnenboden wird zum Schlachtfeld. Das Publikum soll den Ablauf bestimmen und ein Produkt nennen. Schokolade in Herzform. Barbara Kukovec führt die Schachtel vor wie ein Nummerngirl, dann bedeckt sie ihre Augen mit Schokoherzen und füllt sich voll, vorn in die Hose, wer weiß wohin. Das Lebendigste unter den folienverschweißten Genüssen: tote Fische. Sie werden geschuppt und ausgenommen, das weiße Hemdchen bekommt echte Blutflecken. Die Abfälle, nach hinten geworfen, bleiben auf dem Boden liegen. Viel ästhetischer: »white death«, die weibliche Tätigkeit, Backen. Alles weiß, das Mehl, das Salz, der Zucker, die Milch, und auf allen Packungen ist die Zustimmung aufgedruckt: »Ja!« Sie streicht den Teig über ihren nackten Körper, stäubt Mehl darüber, legt sich verweigernd auf den Boden, wie tot, ein Foto neben sich von der Frau, die sie einst war. Grega Zorc macht aus dem Essen einen Wettkampf. Auf dem Boden aufgereiht viele Teller, gefüllt mit Reis. Er zieht Sportdreß und Laufschuhe an, wird zum Hund, der sich über das Fressen hermacht, mühsam und unterwürfig. Er muß sich immer wieder selbst anfeuern, um die Strecke zu schaffen. Aber es ist Reis – nicht Hundefutter, für manche Menschen die einzige Nahrung, die sie sich leisten können. Solche Speise ist hier kein Thema. Als Lohn gibt es Schlagsahne, aus der Dose gesprüht. Lustvoll dagegen das Zusammenrühren all der Speisen, die so ganz nebenbei im Magen landen: Erdnußflips und alle Sorten Chips, Ketchup dazu und mit Cola aufgefüllt. Erst mit den Händen, dann mit dem Kopf als Stampfer, immer hinein in den Matsch, kaum einmal Luft geholt. Lustvoll? Ein Schlachtfeld breitet sich aus um die Schüssel, leere Packungen, Flaschen, eine orangefarbene Masse. Ein Mädchen sagt in gebrochenem Deutsch, es sei oft traurig. Dann muß es essen. So wurde es dick. Es höhlt ein Fladenbrot aus, setzt es sich als Kappe auf den Kopf, drückt Salamischeiben wie Augen hinein und Käse (alles war ordentlich verpackt und luftdicht verschweißt) als Nase drauf. Das Brot wird zur Zwangskappe, verhüllt das ganze Mädchengesicht. Boris Mihalj öffnet eine Packung mit Bündner Fleisch. Unendlich langsam bedeckt er sein Gesicht mit den dunkelroten Scheiben. Wie abgezogene Haut, die ihm in Fetzen herunterhängt. In seinen Händen verbirgt er eine winzige Spieluhr, die zögernd mit einer Melodie beginnt: »La vie en rose«. War das Völlerei? Zur Eröffnung zeigte Erik Hobijn aus Amsterdam zusammen mit Arlette Muschter eine »Kulinarische Performance«. Eine mittelalterlich anmutende Maschine, darauf eine rothaarige Nackte, der auf ungewöhnliche Art Speisen zugeführt wurden. Durch Kupferleitungen, Schläuche oder durch die Blume. Um sich nicht zu beschmutzen, trugen die übrigen Akteure Schürzen, aus Armeezelten genäht. Die Zuschauer durften später kosten, was durch eine pistolenförmige Riesenspritze auf die Nackte geschleudert worden war. Auch Stiefmütterchen, angeboten als Leckerbissen, durch Tränen gesalzen. Es roch stark nach erhitztem versprühtem Essig, der die Lungen reizte. Die »Tactile Machine«, schon der italienische Futurist Marinetti hatte so etwas erfunden, 1932. Beendet wurde der Abend mit einer Installation von Zoran Todorovic aus Belgrad: »Assimilation 3«. In einem Raum ein schwarz gedecktes Tischchen mit Bestecken und einem Teller. Darauf ein hübsch geformtes Etwas in Gelatine. Auf der Speisekarte stehen die Zutaten: Zwiebeln, Möhren, Kapern, Salz, Fett und Haut – Menschenhaut und Fett und Unterhaut. Einer kostete ganz vorsichtig davon, es sah doch so harmlos aus. Die Fotografen stürzten sich hungrig auf den Mutigen: ein Kannibale? Rundum an den Wänden eine Fotoserie von Schön-heitsoperationen, detailreich und in Farbe – auch die Abfälle. Was noch auf der Karte stand: »Dank deiner Vorliebe für Ästhetik und Schönheit wird dir ein leidenschaftlicher Bissen zuteil.« Die Installation ist eine Leihgabe des Museums für zeitgenössische Kunst Belgrad. Eine Lecture von Olga Majcen ergänzte die unheimliche Speise. Wir lernen: Die schöne Alternative »Friß oder stirb« ist aufgehoben, jetzt heißt die Parole: »Friß und stirb«. In der Halle gleich nebenan Teile von menschlichen Körpern, in Schokolade gegossen, sehen fast wie Pralinen aus. Aber »bitte nicht berühren«, es sind Abgüsse aus dem Leichenschauhaus. Sie konfrontieren mit Folter, Verstümmelungen, Verletzungen, die »Morgue Chocolates« von Stephen J. Shanabrook aus den USA. Zu viel für jenes Blatt, dem die verflossene Kultursenatorin entstammte. »Frau Senatorin, ist das wirklich Kunst?« schnauzte Bild die Nachfolgerin Karin von Welck an. Ihre Vorgängerin Dana Horáková hatte noch 30 Millionen für das Schiffchen-Museum ihres früheren Arbeitgebers, des langjährigen Springer-Vorstandschefs Peter Tamm, bewilligt. Bei der neuen beschwerte sich Bild über die drei Millionen staatlicher Subventionen für Kampnagel und tobte: »Politiker fordern: Keine Steuergelder für Ekel-Theater«.
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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