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Ohnehin ist die Auswahl der zehn Inszenierungen vom Geschmack der vom Intendanten der Berliner Festspiele nach Rotationsprinzip berufenen sieben Juroren abhängig und damit, wie alle Urteile von Rezensenten, auch generations- gleich erfahrungsbedingt. Beim 41. Jahrgang hatten die »Kritikerpäpste«, meist etwa so alt wie das Theatertreffen oder jünger, 54 Inszenierungen diskutiert, wobei auffällt, daß der »Osten« nur mit zwei Dresdner und einer Leipziger dabei war und mit keiner von ihnen Erfolg hatte – vielleicht auch weil kein Juror aus den neuen Bundesländern kommt? Womit wir bei der beliebten Festivalfrage nach dem Trend wären. Ungeachtet der Qualität sprach für die Auswahl, daß sie nach Form und Inhalt das ganze vielfältige Spektrum heutigen Theaters reflektierte. Schwierig, es auf einen Nenner zu bringen. Aber soviel ist klar: Das Theater als Schillers »moralische Anstalt« ist tot, heute lebt eine Showbühne ohne pädagogischen Anspruch. Zeitgeistig konform wird nichts mehr so recht ernst genommen, viel Gelächter auf der Bühne und im Parkett paßt zur Fun-Gesellschaft. Rein äußerlich: Man spielt auch Historisches meist im Gegenwartskostüm. Und wo im Alltag Politik und Medien inszeniert werden, wird nun auf dem Theater unsere Wahrnehmung in Frage gestellt. Es begann mit einem Irrtum, einer Kopfgeburt. Johan Simons, Chef der Hollandia-Truppe, inszenierte in den Münchner Kammerspielen Heiner Müllers »Anatomie Titus Fall of Rome. Ein Shakespeare-Kommentar«. Das lange Zeit überhaupt nicht gespielte Original, erstes Stück des englischen Klassikers, tauchte nach dem 11.9.01 plötzlich auf mehreren Bühnen auf, unter anderem in der Interpretation von Hans Neuenfels im Deutschen Theater. Offensichtlich entdeckte man in der Splattertragödie mit 35 Leichen und einem Greuelrepertoire von Vergewaltigung, abgeschnittener Zunge und abgehackten Händen bis zum Kannibalismus Parallelen zu den Gewaltorgien unserer Tage, erst jüngst bestätigt durch die Folterszenen von Abu Ghoreib. Und wer denkt bei dieser Spirale von Vergeltung auf Vergeltung nicht an Israel und den Irak? Nun ist die sprachmächtige Müllersche Variante des Schauerdramas von 1590 wahrlich ein Brocken, der schwer auf die Bühne zu stemmen ist. Manfred Karge und Matthias Langhoff versuchten es 1985 bei der Uraufführung in Bochum antik gewandet zwischen schwarzem Humor und blutigem Ernst. Wolfgang Engel stellte die römische Horror-Picture-Show 1987 in Dresden mit aktuellen Bezüglichkeiten phantasievoll in den Rahmen einer Schulklasse – was heute angesichts der Gewalt an Schulen noch einleuchtender wirken würde. Johan Simons nun plaziert die Spieler im Gegenwartslook auf der Bühne in Parkettreihen gegenüber dem Publikum. Was wohl assoziieren soll: Oben wie unten sitzen potentiell Mörder. Aber fänden sich unter den Theaterbesuchern wirklich mögliche Bushs und Rumfelds? Nebenbei: Der Nicht-Zeitungsleser George Dabbelju geht wohl auch kaum ins Theater. Wegen der Abstumpfung durch via Bildschirm täglich ins Haus gelieferten Gewaltbilder wollte Simons Gewalt nicht pur auf der Bühne zeigen. Aber die deshalb nur verbal abgelieferten brachialen Müller-Texte lassen, zudem noch um die Hälfte gestrichen, historischen Hintergrund und Zusammenhänge weitgehend unerkennbar und bleiben in der gewollten Distanz wirkungslos. Ebenfalls aus München, diesmal vom Residenz-Theater: Barbara Freys Interpretation des »Onkel Wanja« von Tschechow, luftig-leicht, aber kalt lassend im Vergleich zur emotional anrührenden Thomas-Langhoff-Inszenierung vor Jahren im Deutschen Theater. Typisch für die heute übliche Ironie: der »Öko-Monolog« des Arztes Astrow erstickt im allgemeinen Gelächter. Ernsthafter ironisch betrachtet als Abgesang auf alle revolutionären Ideale und Utopien: »Dantons Tod«, wie ihn Christoph Marthaler auf die Bühne bringt. Erwartungsgemäß ist bei ihm der Abgesang – zugleich Abschied von seiner Züricher Indendanz – auch wörtlich zu nehmen. Von »Brüder zur Sonne, zur Freiheit« bis zur Marseillaise und Carmagnole begleitet Liedgut der Arbeiterbewegung das mehr gesprochene als gespielte Büchner-Drama in Anna Viebrocks Versammlungslokal »Letzte Partie«. Zuletzt verwandelt sich dieser Raum für Danton und seine Gefährten Desmoulins und Lacroix in eine Kerkerzelle. Die Revolution frißt ihre Kinder, wie später Bucharin, Rajk und Slansky. Der Tod ist auch Thema eines Projekts des Theaterkollektivs Rimini Protokoll aus Hamburg, »deadline«. Die Protagonisten sind keine Schauspieler, sondern haben mit der banalen Wirklichkeit nach dem Sterben zu tun, z.B. der Steinmetz für Grabsteine. Was wir gern verdrängen, ist hier nüchtern für die Bühne aufbereitet. Pointe am Rande: Auf einem zur Demonstration eines »Begräbnisses der Sonderklasse« projizierten Foto war Claus Peymann beim Theatertreffen zu sehen. Beleidigt, weil seit Jahren nicht bei der Auswahl berücksichtigt, annonciert er seinen BE-Spielplan als »das einzig wahre Theatertreffen«. Von seinem einstigen Wirkungsort, dem Wiener Burgtheater, kam ein Stück von Elfriede Jelinek, wie Marthaler Stammgast beim offiziellen Theatertreffen. Noch eine Reflexion über Tod, mit Ironie auch gegenüber der Autorin brillant in Szene gesetzt von Nicolas Stemann. Jelineks Österreich-Haß wird hier symbolträchtig abgearbeitet an Kaprun, einem Ort, der sie schon einmal zu einem Stück inspirierte, wo in den Jahren 1938 bis 1953 der Kraftwerksbau 160, im Jahr 2000 ein Gletscherbahnunglück 155 Todesopfer kostete. Ein kabarettistisches Girl-Trio, das Leichenteile in Waschmaschinen entsorgt. Einblendungen zeitgenössischer Propagandafilme für den Staudamm von Kaprun, ein Männergesangverein als chorische Stimme anonymer Proletariermasse und ein monologisierender toter Zwangsarbeiter fügen sich auf der wasserbedeckten Bühne zu einer zynisch-nachdenklichen Revue. Mit ähnlichen Mitteln kam das Theatertreffen zum Schluß noch auf den Hund. Buchstäblich, spielt doch in »Wolf« ein gutes Dutzend mehrrassiger Vierbeiner mit, die sonst in einem Zwinger liebevoll bereut werden, quasi als Therapie von einer Trainerin, die im Dutroux-Land selbst einmal mit Hunden mißbraucht wurde. Aus Belgien kommt auch der Flame Alain Platel, der das Spektakel erdacht und mit seiner multinationalen Truppe Le Ballets G. de la B. in Zusammenarbeit mit der Ruhr-Triennale und der Opéra National de Paris realisiert hat – nicht die einzige Coproduktion bei diesem Theatertreffen. Mit von der Partie sind noch vier phantastische Sopranistinnen und das Klangforum Wien, spielt doch Mozart-Musik eine dominierende Rolle. Zu ihr entfaltet sich eine tänzerisch und zirzensisch überwältigende Aufführung mit halsbrecherischen akrobatischen Seilkunststücken, choreographierter Demonstration aller möglichen Sexualpraktiken, Trommeln und Stampfen zur Internationale bis zum artistischen Fahnenschwingen vieler Nationalflaggen, bei dem auch ein Sternenbanner verbrannt wird. Ein Abend, für den selbst Superlative zu schwach sind und der am Ende dieses Theatertreffens eine heute leider seltene Erfahrung vermittelte: Theater kann glücklich machen.
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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