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Der quittiert es mit seinem typischen, sarkastischen Lächeln. Geprägt durch Verletzungen. An Leib und Seele. Das Logo der »Busch«: stilisiertes Gesicht, ein Mundwinkel gesenkt, der andere leicht gehoben, markiert Lachen und Weinen des Clowns und den Busch. Gut. In den vergangenen Monaten belebte Angelika Waller dann und wann meine Berichte aus der Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch«. Ich möchte sie genauer vorzustellen. Mein Bild von ihr skizzieren. Angelika Waller wurde »1992, nach einer mehrjährigen Tätigkeit als Dozentin, auf eine Professur für den Lehrbereich Schauspiel berufen«, wie im Jubiläumsband zum 50. Jahrestag der Hochschule zu lesen ist. Ich bitte sie um ein Gespräch. »Nein. Kein Interview.« Was nun? Ich blättere im Schauspielführer von 1976. Da ist ihre steile Karriere an der Zahl der Fernsehfilme ablesbar. Mehr als fünfzig. Ihre wichtigste Rolle, künstlerisch, politisch, in Kurt Maetzigs Spielfilm »Das Kaninchen bin ich« (1965) fehlt in dieser Filmographie. Dieses Dokument Deutscher Demokratischer Politik und Kulturpolitik wurde in staatliche Sicherheitsverwahrung genommen. Autor (Manfred Bieler) und Regisseur hatten schonungslos die herrschende Doppelmoral benannt. Helene Weigel engagierte die Waller, die dann mehr als ein Jahrzehnt am Berliner Ensemble große und kleine Rollen spielte. Parallel dazu begann sie mit der Lehrtätigkeit an der Schauspielschule Berlin, der heutigen »Busch«. Acht Monate habe ich jetzt hinter ihr gesessen, zugeschaut, wie sie arbeitet. Ich blättere in meinen Notizen: Sie hinterfragt viel. Prüft, gemeinsam mit den Studenten, die inneren Abläufe der darzustellenden Rollen. Dabei erfährt sie: Hat der Student die Figur befragt, in sich bewegt, auseinandergenommen und, für sich jederzeit abrufbar, wieder zusammengesetzt? Oder hat er lediglich Text gelernt? Wallers Methode entlarvt gnadenlos-freundlich Arbeitsweise oder Trägheit des Studenten. Immer wieder geht es ihr um die Sprache, deren Genauigkeit, um die Liebe zu ihr, um Vertrauen in des Dichters Wort. Ihre Vorschläge sind vielfältig, Einwände stichhaltig. Sie sagt, was zu sagen ist, mit Poesie, damit Phantasie sich entzünden kann. Sie regt an. Sie verführt. Selten bestimmt sie. »Ich schlage nur vor, Ihr wählt aus«, ist eine wiederholte These. Ihre Mittel sind auch Spott, Ironie, Satire, ätzender Witz, und sie kann saftig gewöhnlich sein. Stets der Sache wegen. Ihre Quelle ist Menschenliebe. Niemals spricht sie verächtlich, ohne Achtung. Angelika Waller, ein Energiezentrum. Freudig und freundlich kommt sie zur Arbeit. Man spürt ihre Lust daran, wie im Arbeitsprozeß etwas entsteht. Sichtbar freut sie sich über Entwicklungsphasen, deutliche Fortschritte bei den Studenten. Teilt ihre Freude mit ihnen. Ihre Erscheinung elegant, zierlich, dezent, ihre Stimme hell und leise, auch wenn sie kratzbürstet. Sie trägt wenige Farben, das Haar leuchtend rot. Gescheit ist sie, herzlich, empfindsam, empfindlich auch und: Sie kann bemerkenswert gut Grenzen setzen. Ohne zu verletzen. Nach Eignungstests urteilt sie glasklar über manche Bewerber: »Sie sind oft verantwortungslos. Sie verschwenden unsere Zeit. Sie wissen nicht, wo Schiller geboren ist, wer Azdak war, wer Busch. Sie lesen kaum, gehen selten ins Theater, kennen nicht Deutschlands wesentliche Bühnenschauspieler, haben keine Vorbilder.« Auf der Probe hilft sie den Studenten behutsam, die Situationen zu entdecken, Charaktere zu entwickeln, Empfindungen aufzuspüren und wieder und wieder deren Stimmigkeit zu überprüfen. Oder: Wie geht man in der speziellen Situation mit einer Waffe um (in »Zement«, in »Macbeth«, in »Romeo und Julia«)? Wie ist die Figur gekleidet? Wie bewegt sie sich? Auffällig auch, daß die Studenten in ihren Rollen die anderen Disziplinen einbringen dürfen, sollen. Erlaubt es der Inhalt, wird getanzt, gesungen, man steigert sich in Clownerien, klettert, springt, überschlägt sich; die Stimmen dürfen schreien, lispeln, stottern, flüstern, brüllen, Kaskaden lachen. Das ganze Spektrum der vielfältigen Ausbildung soll helfen, die Arbeit zum Ereignis zu führen, wenn sie öffentlich, d.h. vor allen Mitarbeitern und den Studenten der Hochschule, geladenen Gästen auch, gezeigt wird. »Lüge nicht, empfinde. Sei echt. Authentisch!« Es geht um Denken, Pausen, Rhythmus. Die Waller ist Erfinderin. Übersprudelnd kreativ. Das aber stets im Sinne des Auftrags: der Dichtung, des Lehramtes, der Kunst. Man spürt an ihren Arbeiten, in wie starkem Maße sie sich verantwortlich fühlt gegenüber dem jungen Talent, ohne Verantwortung zu dozieren. Nach einer mehrtägigen Pause fragte sie die Studenten: »Na, was habt ihr gesehen? Theater, Kino, Ausstellungen, Proben?« Die schweigen. Sie sagt: »Nichts?!« Kein weiteres Wort. Nur dieses leichte, aufschwingende »Nichts?« Manchmal, sehr selten, rastet sie aus, droht, die Probe zu verlassen. Studenten kommen verspätet, deutlich unmotiviert, nichts ist aufgebaut, der Text nicht abrufbar. Solch ein Verhalten bedeutet Nichtachtung der Dozentin und der Mitstudenten, die vorbereitet sind. Das Gewitter reinigt die Atmosphäre. Die Waller kennt die »Partituren« auswendig. Will bis aufs Apostroph genau die zwingend schöne Gebundenheit von Shakespeares oder Heiner Müllers Sprache für die Studenten sinnlich erfahrbar machen. Inhalt und Form. Sie hat gelernt, dialektisch zu denken. Und sie verfügt über eine große Trickkiste, aus der sie freigiebig austeilt. Selten, dann urplötzlich, spielt sie eine Haltung vor, produziert einen Urschrei, scheinbar ganz Bauch, Nerven, Seele, jedoch punktgenau über den Kopf hergestellt, jederzeit reproduzierbar. Perfektes Handwerk. In Sekundenschnelle überrumpelt sie die Studenten damit. Auch das eine wichtige Fähigkeit. Man ist ja nicht automatisch Autoritätsperson, weil man einen Titel, ein Amt hat. Vertrauen, Achtung, produktives Miteinander und Dis-tanz müssen unablässig neu erarbeitet werden. Auch für Angelika Waller heißt es immer wieder: »Alles auf Anfang.«
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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