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Ist man schon mal in der Gegend, hält man in Celle eine Gedenkminute, denn dort ist er am 3. Juni 1979 im Krankenhaus verstorben. Auch der Süden Deutschlands hat seine bereisbaren Arno-Schmidt-Adressen, vor allem Darmstadts schöne Inselstraße, wo er in den frühen 50er Jahren mit Frau Alice wohnte. Ergriffen betrachtet man dort das Kioskhäuschen, das in »Tina oder Über die Unsterblichkeit« als Tor zur Unterwelt Berühmtheit erlangte. Zwar liebte Arno Schmidt die hessische Stadt am Woog nicht, und zur »Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung« dortselbst hatte er ein eher distanziertes Verhältnis (nachzuspüren in »Goethe und Einer seiner Bewunderer«), was aber seiner Kreativität damals keinen Abbruch tat. Arno Schmidt bezeichnete sich selbst als »Wortschlemmer«: Schon als Dreijähriger hatte er Geschmack an den Wörtern gefunden, will sagen, hatte er seiner großen Schwester, die gerade das ABC lernte, das Lesen abgeschaut. Sein Mathematik und Astronomie-Studium in Breslau mußte er kriegsbedingt abbrechen, doch das Zählen und die Sterne sind ihm geblieben und ziehen als Leitthemen durch seine Texte (zum Beispiel in »Gadir oder Erkenne dich selbst«, 1946/47). Ab 1940 war er Soldat, danach in britischer Kriegsgefangenschaft, ab 1947 freier Schriftsteller. Mit Alice Schmidt, geborene Murawski, verband ihn lebenslange Gemeinschaft. Sie hat ihn bei seinen Arbeiten, unter anderem an der umfangreichen Biographie »Fouqué und einiger seiner Zeitgenossen« (1958), tatkräftig unterstützt. Mit der Regel des linearen Erzählens hat Arno Schmidt gebrochen. Er orientierte sich an James Joyce und Laurence Sterne, den großen Vorbildern des assoziativen Schreibens. Den Leser an seinen inneren Monologen teilhaben zu lassen, ihn auf Nebenwege zu führen und unversehens zurück auf das Hauptthema zu bringen – darin war er ein Meister. Zudem hatte er seine ganz eigenen Vorstellungen von sprechenden Gedanken- und Bindestrichen und beredten Klammern, wofür er stets einen verständnisvollen Setzer brauchte. Je mehr er den Leser an seinem verschlungenen Denken teilhaben läßt, desto mehr packt er ihn – zum Beispiel in seiner bittersüßen Nachkriegsliebesgeschichte »Brand’s Haide« (erstveröffentlicht 1951): Gerade aus britischer Gefangenschaft entlassen, kommt der Protagonist, den man wohl ruhig Arno nennen darf, nach Blakenhof in Norddeutschland. Dort trifft er Lore und Grete, zwei Flüchtlinge, die in der benachbarten Cellophanfabrik Arbeit gefunden haben. Man tut sich zusammen. Die Frauen leihen Tasse und Messer, er hackt Holz für sie. Dafür darf er abends bei ihnen im Warmen sitzen. Ein Paket von der Schwester aus den USA wird redlich aufgeteilt. Arno verliebt sich in Lore, was gleich zu Beginn abzusehen war. Sie ist geschieden, was ihn verstört, und er will unbedingt zu ihr »Fräulein« sagen. Typisch Mann – er will halt der Erste sein. Aber aus Not hat sie sich schon lange einem alten reichen Mann in Übersee versprochen ... Übrigens: Für heutige Ohren ganz unpopulär schreibt er: »Eltern, die immer noch Kinder in diese Welt setzen, müßten bestraft werden (d.h. finanziell: fürs erste Kind müßten sie 20 Mark monatlich zahlen, fürs zweite 150, fürs dritte 800).« Als Jan Philipp Reemtsma Schmidts Förderer wurde, konnten auch größere Projekte realisiert werden, zum Beispiel »Zettel’s Traum« (1963-1969), »Die Schule der Atheisten« (1969-1971) und »Julia oder Die Gemälde« (1979), das unvollendet blieb. Hier setzte Schmidt konsequent fort, was in den Werken vorher angelegt war. Alle drei Großwerke wurden wie Faksimiles veröffentlicht: Zwei- oder dreispaltige Typoskripte fordern den Leser auf, das lineare Lesen aufzugeben. Der Autor schickt ihn nicht nur inhaltlich auf die Reise, sondern auch im Textbild. Wer seinen Gedanken und Assoziationen folgen will, muß sich auf mehrere Ebenen einlassen. Der Text verlangt Hingabe. Unter Schmidts Verdiensten um die Literaturgeschichte sei hervorgehoben, daß er als Experte für die Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts Autoren bekannt machte, die fast vergessen waren. Karl Ferdinand Gutzkow (1811-1878), Karl Philipp Moritz (1756-1793), Johann Karl Wezel (1747-1819) und viele andere stellte er in seinen »Nachtprogrammen« vor, die noch immer als Höhepunkte der deutschen Rundfunkgeschichte gelten. Dem Hamburger Dichter Barthold Heinrich Brockes (1680-1747) beispielsweise war in seinen Gedichten »nichts zu klein vor Gott«, keine Fliege und auch nicht das Ziehen eines Zahns; eine kurze Hamburger Straße ist nach ihm benannt, sie führt im Bahnhofsviertel zum Museum für Kunst und Gewerbe. Aufwertung erfuhren auch angelsächsische Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, die er in neuer Übersetzung vorlegte: James Fenimore Cooper, Edgar Allan Poe, Edward George Bulwer-Lytton und Wilkie Collins. Daß man heute die Werke der Schwestern Brontë wieder lesen kann, ist nicht nur der neueren Frauenbewegung, sondern auch Schmidt zu verdanken. Am 18. Januar 2004 wäre Arno Schmidt 90 Jahre alt geworden. Am 3. Juni begeht seine kleine LeserInnen-Gemeinde seinen 25. Todestag. Nicht nur seine Prosa gilt als schwierig. Er auch. Es heißt, daß er sich mit seinen Mitmenschen nicht gut vertragen hat. Wie man die Mitmenschen kennt, mag das durchaus an den Mitmenschen gelegen haben. Marieluise Fleißer jedenfalls hat ihn geschätzt. Seine Bücher, schrieb sie ihm 1965, »haben etwas in mir aktiviert, sie haben mir Leben gegeben.«
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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