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Hatte er doch »eine Maut für Pkw ins Gespräch gebracht« und später mit dem halben Dementi, er habe »nur« an einige für den Staat zu teure Brücken und Tunnel gedacht, sein verrätischeres Verplaudern wiedergutmachen wollen. Zu spät, denn Bild puschte schon Volkes Zorn: »Ökosteuer! Benzinpreise! Jetzt auch noch Pkw-Maut? Wir haben die Schnauze voll!« Die regierungsnahe Frankfurter Rundschau versuchte zu glätten: Stolpe sei mißinterpretiert worden, habe nur auf eine schon gängige Praxis, zum Beispiel beim privat gebauten Warnow-Tunnel in Rostock, sowie auf die Möglichkeit hinweisen wollen, daß die Regierung sich gezwungen sehen könnte, auch andere schwierige Strecken privat bauen und durch Gebühren finanzieren zu lassen. Ähnlich wollte auch die Süddeutsche Zeitung von Gründen zur Aufregung »derzeit« noch nichts wissen, allerdings werde es »irgendwann auch in Deutschland zu einer Pkw-Maut auf Autobahnen kommen«. Verkehrswissenschaftler wie Gerd Abele aus dem wissenschaftlichen Beirat des Verkehrsministeriums wiesen auf die »grundsätzliche Notwendigkeit einer Pkw-Maut hin«. Stolpes Pläne sieht der Wissenschaftler »als Einstieg in eine generelle Maut«. »In der Schuldenfalle« titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung, die ihre Schadenfreude nicht verhehlte: Die »Verzweiflung« des Ministers müsse schon ziemlich groß sein, wenn er nun selber von einer Maut für alle spreche. Das eingeleitete Umdenken habe einfache ökonomische Gründe: »Wenn ein Land auf Dauer über seine Verhältnisse lebt, wenn es jedes Jahr mehr ausgibt, als es einnimmt, und von den Ausgaben einen wachsenden Anteil in den Konsum statt in gewinnbringende Investitionen lenkt«, dann müsse eben jeder die Auswirkungen einer falschen Schuldenpolitik zu spüren bekommen. Nach dieser FAZ-Logik ist die Verwendung von Steuergeldern für allgemein zugängliche öffentliche Infrastrukturmaßnahmen in Straßen, Schienen, Schulen herausgeworfenes Geld, unverantwortliches Konsumieren, denn erst unter Einschaltung von Marktmechanismen und privaten Betreibern werden daraus »gewinnbringende Investitionen« – und die sind das einzige, was zählt im real existierenden Kapitalismus. So kann man sich auch einen Reim machen auf die erstaunliche Tatsache, daß Regierung und Opposition hierzulande sich seit Jahren darin überbieten, den gut Verdienenden noch mehr Steuern zu erlassen, auf Vermögenssteuern (die in allen anderen Industriestaaten erhoben werden) zu verzichten oder die Steuern auf Kapitalgewinne gegen Null rechnen zu lassen. Die schwarzrotgrüngelbe Koalition mußte durch jahrelanges Steuerdumping all ihre Parlamentarier in Kommunen, Ländern und Bund in kollektive Schuldtürme versetzen, damit sie endlich den wahren Glauben annehmen: Staatliche Dienste und öffentliche Güter sind schlecht, nur Markt, Wettbewerb und privater Gewinn bringen das Land voran! Nun also – nach Post und Bahn, Stadtwerken, Rathäusern, Kanalnetzen oder Krankenhäusern – sind die Straßen dran. Als kluger Einstieg war die Lkw-Maut gedacht. Ärgert sich doch jeder über die Kolonnen von Lastern, die sich auch noch dauernd überholen wollen, obwohl sie es zumeist gar nicht können, unsern Pkw-Verkehrsfluß also abbremsen und ihre Spur zehnmal mehr abnutzen. Toll-Collect, ein Konsortium aus DaimlerChrysler, Telekom und der französischen Firma Cofiroute, sollte dafür sorgen, daß die Brummis mal richtig zur Kasse gebeten würden. Leider versagte die Technik, der Einführungstermin 1. 10. 2003 konnte nicht eingehalten werden. Als neues Datum wird jetzt der 1.1. 2005 gehandelt. Eine Blamage für Stolpe und die deutschen Weltkonzerne... Tatsächlich? Stolpe trifft am wenigsten Schuld. Für die Unterschrift unter den Vertrag war ein anderer Verkehrsminister zuständig, Bodewig, den es bald nach Unterzeichnung auf einen gut dotierten Posten als »senior adviser« beim Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG zog – unter Beibehaltung seines Bundestagsmandats. Dort kann er sehr nützlich werden, da die KPMG zur Toll-Collect-Beratergruppe gehört. Wer sich um Informationen über den Toll-Collect-Vertrag bemüht (was Werner Rügemer in Blätter für deutsche und internationale Politik 4/04 akribisch getan hat), stößt auf allerhand Merkwürdigkeiten. Nicht einmal den Mitgliedern des Verkehrsausschusses des Bundestages sind die rund 17 000 Seiten Vertragstext bisher gezeigt worden; lediglich eine Zusammenfassung von 190 Seiten, erstellt von der Betreiberfirma, wurde vorgelegt. DaimlerChrysler als führender Lastwagenhersteller mit einem Marktanteil von 50 Prozent allein in Deutschland hatte von Anfang an großes Interesse daran, daß die eigene Klientel möglichst wenig belastet wird. So lief die Euro-Lastwagenvignette im August 2003 aus, bis dahin mußten die Spediteure eine pauschale Autobahnbenutzungsgebühr von 1250 bis 1550 Euro zahlen. Wieso wird diese Gebühr nicht weiter erhoben, bis das neue System funktioniert? Wenn Minister Stolpe beklagt, daß ihm Milliarden im Verkehrshaushalt fehlen, dann liegt das auch an der offenbar bewußt betriebenen Verzögerung – eine enorme Entlastung für das Speditionsgewerbe! Daß Toll-Collect keine Ausfallgebühren zahlen muß, dafür werden »die Berater« mit ihrem langen Vertragstext wohl gesorgt haben. Doch auch bei Inbetriebnahme, vielleicht 2005, hat DaimlerChrysler durch Lobbyarbeit für seine Lastwagenkunden vorgesorgt: Erst ab zwölf Tonnen muß überhaupt Maut bezahlt werden, zugleich wird die allgemeine Kfz-Steuer für Lkw reduziert, so daß im Ergebnis die Spediteure nicht mehr belastet werden als bisher. Mit 14 Cent pro Kilometer liegt die deutsche Autobahngebühr für schwere Lkw bei weniger als einem Drittel dessen, was in der Schweiz zu zahlen ist, nämlich 45 Cent. Das Toll-Collect-System birgt aber noch ganz andere Möglichkeiten, an das Geld der Leute zu kommen. Ein generelles Verkehrserfassungssystem soll Verkehrsleitsysteme ermöglichen, auch Logistikprogramme für Spediteure oder Fahrtprogramme (zur Stau-Umgehung mit Anschlußhinweisen für Bahn und Flugzeug) für jeden, selbstverständlich nur gegen Gebühr – eben als »gewinnbringende Investition« (FAZ). Zu vermuten ist, daß im Vertrag auch eine generelle Autobahnmaut schon ins Auge gefaßt worden ist. Die Erfassung und Abrechnung wurde einem aus dem Verkehrsministerium ausgelagertem Unternehmen in üblicher »Public Private Partnership« zugewiesen; ein Ertragsanteil von 25 Prozent der Gebühren ist dem Toll-Collect-Konsortium zugesichert – doppelt so viel wie bei den Mautsystemen in Österreich oder der Schweiz. Könnte nicht sogar das ganze Autobahnsystem an das Konsortium verleast werden? Ein Verkehrs-»Experte« brachte im WDR-Hörfunk den Vorschlag, auf belasteten Autobahnen dritte oder vierte Fahrspuren privat bauen zu lassen, die man nur gegen Extragebühr benutzen könnte. Offenbar wäre das ohne weiteres mit dem Toll-Collect-System zu erfassen. Haben wir nicht früher schon gelästert, daß man von »freier Fahrt für freie Bürger« erst reden könnte, wenn Mercedes- und BMW-Fahrer eine Extraspur bekämen? Na also! Die Wegelagerei kehrt zurück auf unsere Straßen. Nicht mehr in Gestalt von Wachtürmen und Schlagbäumen, sondern dem Stand der Technik entsprechend mit Überwachungskameras und integrierten Großrechnern – die natürlich auch für staatliche Sicherheitsdienste nutzbar sind. Dagegen hatten frühere Sozialdemokraten sich vorgestellt, daß die im Kapitalismus schon existierenden Gemeinschaftsgüter und -leistungen wie Straßen, unentgeltliche Sozialsysteme, gebührenfreie Schulen und Universitäten ausbaufähig wären und das Kapital nach und nach seine Macht verlieren würde.
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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