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Klagen gegen diese Enteignung wurden auf allen Gerichtsebenen abgewiesen. Die Gerechtigkeit triumphierte. Stopp! Irgendetwas ist in meinen Notizen durcheinandergeraten. Ich muß die geschätzten Ossietzky-Leserinnen und -Leser um Verzeihung bitten. Mir ge-schah, was bei Radio Jerewan zu Lebzeiten der Sowjetunion häufig passierte. Im Prinzip stimmte die Aussage, allerdings handelte es sich nicht um den noch aktiven Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann, sondern um das verstorbene Mitglied des Politbüros des Zentralkomitees der SED, Hermann Axen, nicht um einen Sonderausschuß des Bundestages, sondern um einen solchen der letzten, bereits zur Bundesrepublik übergelaufenen Volkskammer der DDR und schließlich nicht um ein vielfaches Millionenvermögen, sondern um 234 873,07 Mark der DDR beziehungsweise 117 436,53 DM. Mit der oben wortwörtlich wiedergegebenen Begründung wurde am 27. September 1990 im Zuge der Währungsunion das Guthaben des Antifaschisten Hermann Axen, der während der Hitlerdiktatur sein gesamtes Eigentum verloren hatte und durch die Hölle der Konzentrationslager von Auschwitz und Buchenwald gegangen war, eingezogen. Es wurde ihm bis zu seinem Tode nicht zurückgegeben und später auch nicht seiner Witwe und seinen beiden Töchtern. Fast 235 000 Mark waren in der DDR gewiß kein geringes Sparguthaben. Aber es war tatsächlich alles, was Axen in 45 Jahren Berufsleben in leitenden Ämtern – als Sekretär des FDJ-Zentralrates, als langjähriger Chefredakteur des Neuen Deutschland, als Sekretär des ZK der SED und Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses der Volkskammer – gespart hatte. Es wurde ihm genommen, weil er gegen die »guten Sitten« verstoßen und zu denen gehört habe, die sich ihr Wohlleben – wie Altkanzler Helmut Kohl einmal formulierte, als sein 500 000-DM-Beratervertrag mit Kirch bereits abgeschlossen war – auf dem Rücken des Volkes gesichert hätten. Die mir eingangs unterlaufene Verwechslung erhellt, was man in der Bundesrepublik unter »guten Sitten« versteht. Der Chef der Deutschen Bank verdient jährlich elf Millionen, die Mitglieder seines Vorstandes je 2,05 Millionen Euro. Postchef Klaus Zumwinkel kassiert in einem Monat 142 000 Euro – weit mehr als Axen im ganzen Leben gespart hatte. Klaus Esser, ehemaliger Mannesmann-Chef, erhielt bekanntlich 30 Millionen Euro Abfindung, wofür er – welch ein Wunder – mit seinen Helfern vor Gericht steht. In diesem Prozeß sieht der Vorvorgänger des jetzigen Deutsche-Bank-Chefs und Vorsitzende des Aufsichtsrates bei DaimlerChrysler, Hilmar Kopper, »ein verheerendes Signal«, denn, so erklärte er in aller Öffentlichkeit, diese Abfindung habe »mit Ethik und Moral überhaupt nichts zu tun«. »Ist es unmoralisch«, so fragt er, »jemand, der Hunderttausenden von Deutschen insgesamt über 130 Milliarden hat zukommen lassen an Vermögenszuwachs, dem am Ende 25 Millionen Euro zu geben, vor Steuern? Ich halte das für hochmoralisch!« Hochmoralisch? Schon vor 70 Jahren hat Kurt Tucholsky zu dieser Moralauffassung festgestellt: »Wenn einer bei der Festsetzung von Arbeit und Lohn mit ›Ehre‹ kommt, mit ›moralischen Rechten‹ und mit ›sittlichen Pflichten‹, dann will er allemal mogeln.« Tucholskys Wortwahl ist zurückhaltend. Er kannte den demokratischen und freiheitlichen Sozialstaat namens Bundesrepublik Deutschland nicht, in dem die verfallende bürgerliche Moral immer neue Tiefpunkte erreicht. Vor diesem Hintergrund gewinnt der nahezu in Vergessenheit geratene Willkürakt gegen Hermann Axen an Aktualität. Er legt auch die Frage nahe, wie es in der DDR um die Festsetzung von Arbeit und Lohn bestellt war und was von Behauptungen zu halten ist, in dem untergegangenen Staat hätten sich SED-Bonzen und Nomenklaturkader auf Kosten des Volkes schamlos bereichert. Unbestritten haben Führungskräfte unterschiedlicher Ebenen in der DDR nicht schlecht verdient. Mitglieder des Politbüros des ZK der SED bezogen ein monatliches Gehalt von rund 4600 Mark, Horst Sindermann (ebenfalls Politbüro-Mitglied und zugleich Präsident der Volkskammer) sogar 4800 Mark, Minister 4500, einschließlich 1200 bis 1500 Mark Aufwandsentschädigung, stellvertretende Vorsitzende der Staatlichen Plankommission 3750 Mark. Der Präsident des Amtes für Erfindungs- und Patentwesen bezog ebenfalls 3750 Mark, ein weltbekannter Professor für Urologie an der Berliner Humboldt-Universität, Klinikdirektor und Leiter der Forschungsabteilung 4620 Mark. Der Generaldirektor des Volkseigenen Betriebes Kombinat Schiffbau Rostock, eines Unternehmens, das Ende der 80er Jahre 56 000 Beschäftigte zählte, bei Fischfangschiffen den ersten und bei Stückgutfrachtern den zweiten Platz im Weltschiffbau belegte und dessen Erzeugnisse zu 90 Prozent exportiert wurden, hatte, wie seine Kollegen in den anderen 120 Kombinaten, ein Monatsgehalt zwischen 2850 und 3500 Mark. Ein Hochschulabsolvent in leitender Tätigkeit konnte kaum mehr als das Dreifache eines Facharbeiters verdienen. Die Spanne zwischen niedrigstem und höchstem Einkommen betrug, von wenigen Ausnahmen abgesehen, 1 zu 7. In der Bundesrepublik beträgt sie 1 zu mehr als 600, Sozialhilfeempfänger noch nicht einmal mitgerechnet. Letztere erhalten im Monat 354 und in Ostdeutschland 331 Euro. Herr Ackermann verdient das in nicht einmal sechs Minuten, seine Vorstandskollegen müssen dafür allerdings schon 30 Minuten arbeiten. Was für ein Staat, was für eine Gesellschaft, die solche Einkommensunterschiede zulassen! Selbst wenn man die 800 000 Vermögensmillionäre und die 33 Milliardäre außerhalb der Betrachtung läßt, ist schwerlich zu bestreiten, daß die DDR in puncto Gleichheit und sozialer Gerechtigkeit der BRD eine ganze historische Etappe voraus war. Vorwerfen ließe sich ihr allenfalls, daß die Einkommen zuweilen zu stark nivelliert waren. Im ARD-Fernsehen trat unlängst der Bonner Wirtschaftswissenschaftler Michael Adam auf, der ein mögliches Modell für die Senkung der Spitzengehälter der deutschen sogenannten Top-Manager vorschlug. Das hörte sich allen Ernstes so an: »Man kann Folgendes machen: In Deutschland verdient ein Arbeitnehmer im Jahr rund 31 000 Euro vor allen Kosten... Und nun sollte man hingehen und dem Aufsichtsrat die Kompetenz geben, daß er bis zum Hundertfünfzigfachen dieser Kosten eine Vergütung aussprechen kann, und das heißt, daß pro Jahr nicht mehr als 4,8 Millionen Euro gezahlt werden dürfen.« Wie kühn! Aber auch wenn dieser geradezu revolutionäre Vorschlag verwirklicht würde, brauchten Josef Ackermann, Hilmar Kopper, Klaus Zumwinkel und Kollegen gewiß keine Angst zu haben, daß ihre schwer erarbeiteten Ersparnisse konfisziert werden. Man wird sich doch noch bereichern dürfen. Das gehört zu den »guten Sitten«, die sie in der DDR vermißten. Eine Politik des sozialen Ausgleichs empfinden die Reichen allemal als unsittlich.
Erschienen in Ossietzky 11/2004 |
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