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Während der Leipziger Walter Ulbricht den 1. Mann der DDR spielte, schaffte es der Dresdner Günther Nollau zum Bonner Verfassungsschutzpräsidenten, Helmut Schön aber trainierte die Fußball-Nationalmannschaft (West). Ab 1989 wählten die Leipziger in Montagsdemos die Freiheit des Westens verbunden mit der Befreiung von sicheren Arbeitsplätzen. Von jetzt an ging es gegen Antifaschisten, die das Land seit 1945 zusammen mit den Russen besetzt gehalten hatten. Als gebürtiger Sachse frage ich mich nur, wie frei der Freistaat von aller Vernunft sein müsse. Als 1996 die Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren im Bundesrat anstand, stimmten die Freistaaten Sachsen und Bayern dagegen. Dem Justizminister Heitmann waren die Opfer der Verfolgung nach 1945 wichtiger als die Opfer der Nazis. Füglich erklärte das Stalin-Opfer Hans Corbat, wenn ein Deserteur wie Ludwig Baumann nicht an Gedenkfeiern teilnehmen könne, bei denen NS-Militärjuristen, die Todesurteile fällten, geehrt werden, vermöge er, Corbat, nicht der Deserteure zu gedenken, die »wegen Feigheit vor dem Feind belangt wurden«. Der kleine Unterschied zwischen Juristen, die per Urteil Blut vergießen (lassen), und Deserteuren, die das Blutvergießen verweigern, selbst wenn es den eigenen Kopf kostet, ist in Sachsens Regierung offenbar unbekannt. Wie kommt es, daß die exekutierten Wehrmachtssoldaten von Torgau – es sind mehr als elfhundert – so schäbig behandelt, sogar indirekt ihren Hinrichtern gleichgestellt werden? Weil die Todeslinien dieses Jahrhunderts ungescheut von 1914 bis heute durchgezogen sind. Die Katharsis soll verhindert werden, der Mensch ein ewiger Krieger bleiben. Ausgerechnet aus einem nach Hannah Arendt benannten sächsischen Institut stammte die Kunde, das Hitler-Attentat des Kommunisten Georg Elser sei moralisch abzulehnen. In Ossietzky 9/04 berichtete Otto Köhler über den Tiefpunkt der diesjährigen Leipziger Buchmesse, als Feldjäger der Bundeswehr eine Gefährdung des Publikums durch die Freiheit des Wortes erfanden, um sie mit kriegsmäßigem Einsatz abwehren zu können. Wenn Feldjäger künftig nicht der Buchmesse fernbleiben, ist sie das dort ausgestellte Papier nicht wert. Zumindest wir Wehrmachtsdeserteure möchten in der Nachbarschaft unserer Bücher keinen Kettenhunden begegnen. In meinem sächsischen Geburtsort Gablenz stand zu DDR-Zeiten ein Denkmal für den Deserteur Alfred Eickworth, der 1943 beim Schußwechsel mit verfolgenden Kettenhunden tödlich verletzt wurde. Es fiel der deutschen Vereinigung zum Opfer. Eine Straße, die Eickworths Namen trug, wurde eilig umbenannt. So schämt man sich in Sachsen seiner Wehrmachtsdeserteure. Das Exempel legt nahe: Die heute tonangebenden Politiker ordnen die Vergangenheit nach dem Text des Hitlerschen Fahneneides. Die geschichtsfälschende Gleichsetzung von Nazi-Deutschland und DDR dient dazu, den Antifaschismus zu diskreditieren und eigene Machtansprüche zu totalisieren. Ausgerechnet die Münchner Skandal-Revue Focus will nun Hans Lauter, den sächsischen Vorsitzenden der VVN-BdA, der im Nazi-KZ saß, während klobige Musterchristen von Kiesinger und Filbinger bis F.J. Strauß im Nichtwiderstand Glanzleistungen vollbrachten, als Wahlmann der sächsischen PDS-Landtags-fraktion für die Bundespräsidentenwahl verhindern. Die Schwarzen von Sachsen beschuldigen Lauter der Mittäterschaft an der Universitätskirchen-Sprengung von 1968 in Leipzig. Die Herren sollten lieber nachzählen, wie viele ihrer Glaubensbrüder damals für diese Maßnahme votierten. Dagegen stimmte als einziger Hans-Georg Rausch, aufmüpfiger Pfarrer und langjähriger, überzeugter Stasi-IM, für dessen Nein zur Kirchensprengung ein Orden fällig wäre. Die Geringschätzung von Widerständlern und Antifaschisten hat Methode. Kein Wunder, die Herren Politiker entbehren dazu jeden Bezugs. Den sächsischen Gedenkstättenbeirat verließen bisher unter Protest der Vertreter des Zentralrats der Juden, die Vertreter der Sinti und Roma sowie die der VVN und der Deserteure, weil sie kein Gedenkstättengesetz akzeptieren wollen, durch das Täter und Opfer auf Augenhöhe des Schußkanals kommen. Statt den Opfern des Stalinismus eine gerechte Rente zu zahlen, benutzt man sie gegen die Opfer des Faschismus. Das scheint den Regierenden leicht zu fallen, denn auf den Karriereleitern der Negativauslese gelangte gar kein Verfolgter zu höheren Ministerweihen. Die politischen Zustände in Sachsen sind nur der blamable Überbau zum wirtschaftlichen Jammertal. In Dresden zum Beispiel fertigt VW vor aller Augen den exquisiten Phädon. Schön sieht er aus, nur will ihn keiner kaufen. Aber die Chip-Industrie boomt und boomt. Schon warnen Wirtschaftsgurus vor Überhitzung dieser Konjunktur. Tag für Tag aber werden die Rekorde in der Massenproduktion von Arbeitslosen gebrochen, die können ja mit den in Zwickau-Mosel gebauten Golfs zu den Jobs nach Bayern brettern – gibt es da keine Arbeit mehr, reicht es noch zur Heimfahrt, falls die Scheichs nicht den Sprit zum Luxusgut verteuern. In Leipzig stellt man fleißig BMW und Porsche her, die Pleiße wird ausgebaut zur olympischen Regattastrecke. Wer kein Auto hat, darf dort rudern. Aber antikommunistisch. Bald werden sie das Völkerschlacht-Denkmal zum Mahnmal gegen Linke, Antifaschisten und Deserteure umwidmen. Unterdessen schließen Betriebe und Schulen um die Wette, verharren Mütter im Gebärstreik, gehen Krankenhäuser pleite und Ärzte in Rente, daß mehr und mehr Praxen leerstehen wie die Million hingeklotzter Wohnungen. Stellungslose Jugendliche, hochqualifizierte Techniker und Wissenschaftler finden entweder gar keinen Job oder verdingen sich rund um den Globus als Gastarbeiter, so läuft die traditionelle Industrieregion leer, ein Albtraumland, geschaffen von einer hilflos quengelnden Obrigkeit, deren ideeller Horizont an Adenauers beschränkte Weltsicht erinnert. Der aber war immerhin mit allen Wassern gewaschen, während die Dresdner Postbiedenköpfe ihr Grenzland verwalten, als befände man sich im Vasallenstatus einer römischen Provinz. Wo bleiben jetzt die in der DDR agilen Schriftsteller, die zu Wendezeiten ihren Widerstand reklamierten und seither in kommunikativer Vereinsamung dahindämmern? Wo sind die einst ach so quicken Bürgerrechtler? Wo die bekanntlich vigilanten Geister von Pleiße, Mulde und Elbe? Welch eine Niederung nach anderthalb Jahrzehnten fleißigen Aufbaus. Weil nichts mehr rundläuft, versucht Sachsen ersatzweise das nicht mehr ganz so tiefschwarze Bayern rechts zu überholen. Da dieses Jahr Wahlen vor der Landestür stehen, wird sich zeigen, ob ein leicht aktualisierter Brecht wahrsagte: Nur die allerdümmsten Kälber wählen, die ihnen ihre Arbeit nehmen, selber. Als F. J. Strauß der DDR seinerzeit einen Kredit von einer Milliarde Mark verschaffte, verlängerte er damit die Lebenszeit des Staates um ca. fünf Jahre. Seit der Einheit von 1990 flossen über tausend Milliarden in die angeschlossenen Länder. Selbst das geschwächte, ineffektive Honecker-Regime hätte mit soviel Kohle blühende Landschaften in der DDR schaffen können. Einen friedensreichen Sozialismus zum Verlieben. Die jetzt regierende politische Klasse aber produziert nur einen Kapitalismus zum Abgewöhnen.
Erschienen in Ossietzky 10/2004 |
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