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Doch ein Blick auf die Liste der Vortragenden führt vor allem zu einer ernüchternden Erkenntnis: Marxistische Denker sind an deutschen Hochschulen eine aussterbende Spezies. W. F. Haug beispielsweise lebt als emeritierter Professor der Philosophie und umtriebiger Herausgeber des »His torisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus« im produktiven Unruhestand, der Abendroth-Schüler Frank Deppe nimmt in wenigen Jahren Abschied von seinem Marburger Lehrstuhl, und Johannes Agnoli, der anarchische Marxist, verstarb im letzten Jahr in seinem italienischen Altersdomizil. Die jüngeren Referenten (das sind die unter 45!) der »Roten Ruhr Uni« stehen im akademischen Feld, wenn überhaupt, dann eher am Rande. Andere wiederum leisten ihre unbezahlte Theoriearbeit in kleinen, wenig bekannten Zirkeln. Schon 1999 gab der Politikwissenschaftler Georg Fülberth in der Zeit diesem Phänomen den treffenden Namen »Marxismus emeritus«. Die SDS-Generation verschwindet aus dem Hochschulleben, und es sind kaum Nachfolger in Sicht. Die fehlende Präsenz von Vertretern des historischen Materialismus hat für die nachkommende Studentenschaft fatale Folgen. Denn es ist fast niemand mehr da, der sie kenntnisreich mit einer der anregendsten Denktraditionen der letzten Jahrhunderte konfrontieren könnte. Die einstmals doktrinär geführten Auseinandersetzungen studentischer Gruppen um die »wahre« Marx-Rezeption sind heute unvorstellbar. Der Marx dagegen, den heute eine jüngere Generation von Dozenten und Professoren zum »toten Hund« erklärt und öffentlich zerreißt, ist das fade Resultat einer Stöberlektüre: ein Marx, der anhand winziger Textpassagen und Zitate aus zweiter Hand als »anachronistisch« dargestellt wird. Vom Marxismus existiert meist nur noch eine halbgebildete Version, verbreitet auch von vormals glühenden Marx-Verehrern, die – kurzer Lehrgang, langer Marsch – ihre einstmalige Kolossalfigur mit viel Getöse vom Sockel gestoßen haben. Und der wortreiche Widerruf kam lange, bevor sie sich dem kritischen Kern hätten nähern können. Diese einst gläubigen Prediger des ML-Kanons wurden sozusagen Atheisten, ohne die heiligen Schriften ihrer großen Propheten je gründlich gelesen zu haben. An die Stelle der alten Parteidogmen trat schließlich der kleine Katechismus der freien Marktwirtschaft, Freiheit und democracy. Und die Gegenkräfte? In der größten Protestbewegung der Gegenwart, der widersprüchlichen, auch zahlreiche Schrullen und Sonderpositionen umfassenden Bewegung der Globalisierungskritiker, dominiert ein kapitalismuskritischer Tonfall, der seine Leitmotive von der »bürgerlichen« Seite bezieht. »Zivilisiert den Kapitalismus!« rief Marion Dönhoff der Öffentlichkeit zu; Altkanzler Helmut Schmidt wird nicht müde, den »Raubtierkapitalismus« zu geißeln und jenen »vaterlandslosen Gesellen« die Leviten zu lesen, die –Überraschung! – »um der Profite willen« den Standort Deutschland verlassen; und George Soros, der die Grundlagen für sein vielgepriesenes Mäzenatentum mit der Ruinierung ganzer Währungssysteme (und damit freilich auch individueller Existenzen) verdient hat, warnt vor der Spekulation wie ein Gangster vor dem Banküberfall. Sind aber Marxisten in der Bewegung der Globalisierungskritiker tätig, beschränkt sich deren öffentliche Wahrnehmung meist auf die Unterstützung der Tobin-Tax. Der gemeinsame Hauptfeind sind die Spekulanten, nicht die private Aneignung kollektiv geschaffener Güter. Es wundert nicht, daß in diesem Zwielicht die Ideologen des Neoliberalismus mit großer Eloquenz auf den theorielosen Gefühlskitsch vieler Globalisierungskritiker einprügeln. »Kapitalismus oder Barbarei?« lautete im letzten Jahr der Titel einer Sondernummer des kleinen, aber einflußreichen Intelligenzblattes Merkur. Die beiden Herausgeber der Zeitschrift, Karl Heinz Bohrer und Kurt Scheel, eröffneten das Heft mit einem Editorial, welches sie mit einem Zitat aus dem »Manifest der Kommunistischen Partei« schmückten. In den meisten Essays aber wurden die Kritiker weltweiter kapitalistischer Verhältnisse als antiliberale Reaktionäre, weltfremde Utopisten und altlinke Dogmatiker denunziert. Gleichzeitig schwärmten Bohrer und Scheel mit schlagendem Zynismus von den freiheits- und fortschrittfördernden Potentialen des bestehenden Wirtschaftssystems: »Kapitalismus, Rechtsstaat, Demokratie sind keine Gegensätze, sondern bedingen einander. Von Adam Smith und David Ricardo bis Friedrich August von Hayek und Milton Friedman: Den bedeutenden Theoretikern des Kapitalismus ging es primär um Freiheit – der Kapitalismus war das Mittel, nicht der Zweck!« Und nach diesem Bekenntnis warfen sie der Linken vor, sich nicht mehr mit der Kritik der politischen Ökonomie zu befassen. Abgesehen von der Merkwürdigkeit, daß nach dieser Logik das Sekundäre (der Kapitalismus als Mittel) dem Primären (der Freiheit als Zweck) vorausgeht, ist gerade der Verweis auf Friedman eine intellektuelle Zumutung. Hatten der neoliberale Ökonom und seine »Chicago Boys« im Chile des Diktators Pinochet doch ausreichend Gelegenheit, ihre »freiheitlichen« ökonomischen Rezepte den Menschen aufzunötigen, ohne sich dabei groß um Freiheit, Rechtsstaat und Demokratie zu kümmern. Die Freiheit, die hier gemeint ist, ist die Freiheit des Privateigentums. Wie aber die Folteropfer im Fußballstadion von Santiago zur Argumentation der liberal-demokratischen Merkur-Herausgeber passen, wird im Heft nicht verraten. Da auch in den großen Medien überall die Propagandisten des Freihandels den Ton angeben, besteht die Notwendigkeit einer scharfen Kapitalismuskritik, die nicht hinter die Erkenntnisse der Klassiker zurückfallen darf. Sonst wird aus einer fundierten Kritik der politischen Ökonomie die folgenlose Warnung vor einem nebulösen »Ruckzuck-Kapitalismus« (Frankfurter Rundschau). Wie wäre es angesichts der derzeitigen Defizite mit der Neuauflage einer alten Parole des studentischen Protestes, der damals darauf gerichtet war, linke wissenschaftliche Kritik an den Hochschulen zu verbreiten? »Marx an die Uni!« war nicht nur mit dem Wunsch nach einer Umgestaltung der Lehrpläne verbunden, sondern auch mit der Forderung, das faktische Berufsverbot aufzuheben, dem Marxisten in Deutschland stets unterlagen. Heute bedeutet diese Forderung die wissenschaftliche Aneignung einer historisch-kritischen, das Scheitern des autoritären Staatssozialismus und die Krise des Marxismus mitreflektierenden Kapitalismuskritik, die sich in der Bestimmung des Gegners nicht lediglich auf Börsenspekulanten und andere Charaktermasken fixiert. »Marx wieder an die Uni!« fordert etwas, was die interessierten Studierenden selber leisten müssen. Auch die Theoriegruppen des SDS konnten Anfang der 60er Jahre nicht auf eine breite Schar marxistischer Professoren zurückgreifen. Sie mußten selber aktiv werden, um sich das Marxsche Werk zu erschließen. Nicht um Parteiprosa nachzubeten, sondern um ein dialektisches Denken zu stimulieren, das auf die sozialen Bewegungen und die Gesellschaft einwirkt. Das »Denken«, wissen wir von Bertolt Brecht, »ist etwas, was auf Schwierigkeiten folgt und dem Handeln vorausgeht.« Der Politikwissenschaftler Richard Gebhardt (Jahrgang 1970) beschäftigt sich hauptsächlich mit Neofaschismus in Deutschland, Alt- und Neokonservativismus in den USA.
Erschienen in Ossietzky 10/2004 |
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