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Der Oberbürgermeister habe zu den Schriftstellern gesprochen »wie mit Vertretern eines Kaninchenzuchtvereins«, kommentiert er später den Vorfall, über den die Lokalpresse mit keinem Wort berichtet, um ihren OB zu schonen. Nachdem ein Leserbrief dann doch über den »Türknall im Rathaus« aufgeklärt hat, wird dessen Verfasser in weiteren Leserzuschriften als »arrogant«, »hochnäsig«, »überheblich« und »dumm« beschimpft. Nachforschungen ergeben, daß all diese veröffentlichten Schmähbriefe gefälscht waren. Ein Streiflicht aus der bewegten Zeit der »Friedensbewegung« in der Bundesrepublik. Der Vorfall ereignete sich im Dezember 1983, als die Berliner Akademie der Künste unter Leitung ihres damaligen Präsidenten Günter Grass in Heilbronn tagte. Die Tagungsstätte, das Waldheim der Arbeiterwohlfahrt, war bewußt gewählt worden, denn wenige Meter entfernt begann das Gelände, auf dem bis 1990 die amerikanischen Pershing II-Raketen stationiert waren. Die Anlage war mit Zäunen, Gittern, Sichtblenden, Sicherheitsstreifen, Wachtürmen und Stacheldraht hermetisch abgesichert, noch nicht einmal der Oberbürgermeister der Stadt Heilbronn erhielt Zutritt. Aber das war ihm offenbar ganz recht, denn so konnte er sich stets auf seine naive Unwissenheit berufen, ohne zu lügen. Daraus entstanden allerdings unsägliche Peinlichkeiten, beispielsweise im Januar 1985. Auf der Waldheide explodierte der Treibsatz einer Rakete. Durch den Unfall kamen drei Soldaten ums Leben, 16 wurden zum Teil schwer verletzt. Der OB wurde zu dem Unglück befragt, aber da er ja nichts wußte, geriet das Interview zur Blamage. Auszüge aus dem Gespräch im Südwestrundfunk: »Wissen Sie, Herr Oberbürgermeister Weinmann, daß auf der Waldheide bei Heilbronn der Atomsprengkopf W85 für die Pershing II lagert? – Mir sind diese Fachausdrücke nicht geläufig; das tut mir leid. – Wissen Sie, Herr Oberbürgermeister Weinmann, daß auf der Waldheide der Atomsprengkopf W 50 für die Pershing Ia lagert? – Also, ich weiß das nicht. Das hör ich – ich hab auch schon gelesen, daß das dort droben sein soll, aber mir kann niemand eine Bestätigung geben. – Ja, wieso wissen Sie das nicht? Sie werden doch sicher nachgefragt haben auch bei den Amerikanern, was lagert auf dem Stadtgebiet der Stadt, deren OB ich bin. – Natürlich hab ich gefragt. Da sind Raketen, militärische Einrichtungen. Wir dürfen nichts darüber sagen. – Wie weit, Herr Oberbürgermeister, war denn die Unfallstelle von den QRA-Stellungen entfernt? – Was sind QRA-Stellungen? – Das sind Alarmbereitstellungen, wo Raketen bestückt sind mit atomaren Sprengköpfen. – Sehen Sie, da wissen Sie mehr als ich. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, da droben sollen Raketen sein. Ich hab sie schon gesehen. Aber daß hier mit Atomraketen bestückte Raketen sind, das weiß ich nicht. Ich kann dazu nichts sagen.« Kein Wunder, daß der Oberbürgermeister nichts sagen konnte, nichts sagen wollte. Die Landesregierung und seine Partei, die CDU, hatten es so beschlossen. Sein Vorgänger im Amt hatte sogar stets erfolgreich verhindert, daß der Stationierungsort Waldheide im Heilbronner Stadtrat zum Tagesordnungspunkt gemacht und diskutiert wurde. Denn damals, im Kalten Krieg, hatten die USA die Parole ausgegeben, es bestünde die große Gefahr, daß die Sowjetunion das westliche Europa erobern könnte. Um sich zu schützen und nach der Strategie der »Flexible Response« handeln zu können, müsse man aufrüsten. Am 12. Dezember 1979 beschloß die NATO, die atomaren Mittelstreckenwaffen zu modernisieren. Der deutsche Bundestag billigte am 22.11.1983 den sogenannten NATO-Doppelbeschluß und genehmigte die Stationierung von Pershing II- und Cruise-missiles-Raketen in Heilbronn (Waldheide), Schwäbisch Gmünd (Mutlangen) und Neu-Ulm. Nur wenige Tage später, nämlich am 25. November 1983, trafen in Mutlangen die ersten Atomraketen ein. Die Stationierung der Raketen war eine Geheimsache. Die Einwohner der betroffenen Städte sollten nichts Genaues wissen. Zwar war die Waldheide als Stationierungsort bekanntgegeben worden, aber wann die bedrohlichen Waffensysteme installiert werden sollten, blieb offen. Als die biedere, der CDU nahestehende Lokalzeitung Heilbronner Stimme ein ihr zugespieltes Foto veröffentlichte, auf dem der Kopf einer auf dem Waldheide-Gelände stationierten Pershing II zu erkennen war, wurde ein Strafverfahren gegen sie eingeleitet. Immerhin wußte man von Stund an, daß die Raketen da waren. Es begann die Auseinandersetzung der Rüstungsbefürworter mit der Friedensbewegung. Sie dauerte jahrelang. Diese »Zerreißprobe Frieden« ist jetzt Thema einer Ausstellung, die bis zum 3. Oktober im Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart zu sehen ist. Ein Ärgernis. Gar zu einseitig sind die Vorgänge dokumentiert. Plump wird dem Betrachter auf Seite 39 des Katalogs suggeriert, die Stationierung der US-Raketen sei richtig gewesen und »die Strategie des NATO-Doppelbeschlusses letztlich aufgegangen«– eine Strategie mit dem Ziel, die Sowjetunion zu Tode zu rüsten. Zwar geben die Ausstellungsmacher vor, den Konflikt zwischen den Befürwortern und den Gegnern der sogenannten Nachrüstung objektiv zu dokumentieren, aber sie lösen dieses Versprechen nicht ein. Es dominiert die Sichtweise von Polizei, Militär und Rü-stungsbefürwortern. Polizeiuniformen werden ausgestellt – Ausgehuniformen. Jeder, der sich seinerzeit an Blockaden beteiligte, hat noch in Erinnerung, wie martialisch und furchteinflößend die behelmten Polizisten in ihren Kampfanzügen auftraten. »Auch in juristischer Hinsicht stellte der Umgang mit den Demonstranten hohe Anforderungen an die Polizei. (...) Letztlich erwies sich das ebenso flexible wie konsequente und berechenbare Vorgehen der Polizei als erfolgreich«, informiert uns der Katalog. Die Polizisten wurden für ihren Einsatz belohnt, zum Beispiel mit Orden, die man in der Ausstellung bewundern kann. Der Gegenseite wurden keine Orden verliehen, und über die vorbildlich agierenden Personen der Friedensbewegung, die welche verdient hätten, schweigt die Ausstellung. Die Heilbronnerin Martha Kuder ist so eine. Die damals 64jährige Polizistenwitwe beteiligte sich nach dem Raketenunfall an der Blockade der Zufahrt zum US-Militärstandort. Sie wird wie viele andere auch vor Gericht gestellt und zu einer Geldstrafe verurteilt. Sie weigert sich, den Betrag zu überweisen, und wird zehn Tage im Gefängnis Schwäbisch Gmünd inhaftiert. Sie könne kein Gesetz anerkennen, hatte sie dem Richter erklärt, das den reibungslosen Ablauf einer verbrecherischen Todesmaschinerie schütze. Die zuvor an den Oberbürgermeister der Stadt Heilbronn gerichtete Aufforderung, er möge dafür sorgen, daß der Friedensaktivistin das Bundesverdienstkreuz verliehen wird, beantwortete er abschlägig: Ein »einmaliger Einsatz für den Frieden in der Welt« rechtfertige nicht die Verleihung einer so hohen Auszeichnung. Der Raketenunfall hatte die gesamte Bevölkerung wachgerüttelt. Schlagartig war ihr die eigene Gefährdung durch die Atomraketen klargeworden. Daraufhin faßte der Heilbronner Gemeinderat einstimmig den Beschluß, der Raketenstand-ort müsse unverzüglich beseitigt werden. Anfang Februar 1985 beteiligten sich 10 000 Menschen trotz strömenden Regens an einem Schweigemarsch zur Waldheide, und wenige Tage später begannen mutige BürgerInnen mit einer unbefristeten Blockade des Standorts. Um die Bevölkerung zu beruhigen, kam der damalige Verteidigungsminister Manfred Wörner nach Heilbronn und log vor geladenen Politikern: »Es bestand zu keinem Zeitpunkt eine Gefahr für die Bevölkerung.« Dabei wußte jeder, wie knapp man an einer Plutonium-Verstrahlung vorbeigeschlittert war. Jetzt bestätigt der Ausstellungskatalog: »Die ständigen Übungen mit den Raketen und die dauernden Transporte brachten besondere Probleme mit sich, nicht zuletzt weil die verschiedenen Pershing-Waffensysteme auch ohne die Sprengköpfe eine ernstzunehmende Gefahrenquelle darstellten.« Martha Kuder, die für ihren Friedenseinsatz in den Knast ging, stellte damals nüchtern fest: »Ich kann auch deswegen konsequent sein, weil ich keinen Job zu verlieren habe.« Die von ihr angesprochene Einschüchterung bleibt in der Ausstellung ebenfalls unerwähnt. Viele junge Menschen setzten damals ihre berufliche Karriere aufs Spiel. Die an Friedensaktionen Beteiligten werden nicht vergessen, wie sie damals angepöbelt, benachteiligt, vielfach auch kriminalisiert wurden. Der damalige Kultusminister Gerhard Mayer-Vorfelder untersagte Günter Grass und anderen Schriftstellern Lesungen zum Thema Frieden in den Heilbronner Schulen, drohte den an der Blockade teilnehmenden Lehrern Disziplinarstrafen an und verbot Friedensdemonstrationen auf dem Pausenhof. Und es gab tatsächlich Schulleiter, die an diesem Tag einen Fotoapparat mitbrachten, vom Schulgebäude aus fotografierten und die für den Frieden demonstrierenden Lehrer (mit beigelegten Beweisaufnahmen) dem zuständigen Oberschulamt meldeten. Nichts von alledem ist in der Ausstellung zu sehen. Die Polizei stellte den Blockierern Kostenbescheide für »die Anwendung unmittelbaren Zwangs« zu. Weil die Zahlung mit der Begründung, »daß Sitz-blockaden gegen Angriffswaffen im Rahmen des Demonstrations- und Widerstandsrechts nicht gesetzeswidrig« seien, verweigert wurde, folgten Gerichtsverhandlungen, die aber in vielen Fällen mit Freisprüchen endeten. Der Liedermacher Franz Josef Degenhardt besang mutige Richter, die selber in Mutlangen an einer Blockade teilnahmen: »Dies Lied ist für die Richter, die / sich vor Raketen bei Eis und Schnee / auf die Straße setzten und sie / blockierten, das gab es noch nie. / Solche wie ihr haben immer nur / so gerichtet, wie’s immer schon war / und geschielt, ob der Chefpräsident / euch winkt, euren Namen nennt. / Ihr habt gebrochen mit diesem Brauch / und habt gezeigt, anders geht’s auch.« Die Ausstellung erinnert auch nicht daran, daß zu jener Zeit des Kalten Krieges nicht nur in Berlin, sondern auch in Heilbronn eine Mauer stand: Die Amerikaner hatten sie nach dem Pershing-Unfall entlang der Umgrenzung ihres Stand-orts errichtet, um den Militärstützpunkt vor neugierigen Blicken zu schützen. Aus einem Brief an den Heilbronner Oberbürgermeister: »Nachdem im Jahr 1961 in Berlin die Mauer gebaut worden war, ließ der Westberliner Senat Aussichtsplateaus errichten. Die Besucher der Stadt durften foto- und telegen die Treppen emporsteigen und einen ›Blick nach drüben‹ werfen. Da wir in Heilbronn ebenfalls eine Mauer haben, möchte ich den Stadtrat bitten, auf der Waldheide auch einen Aussichtsturm erstellen zu lassen, damit nicht nur die einheimische Bevölkerung, sondern auch unsere auswärtigen Besuch einen Blick auf das Gebiet unserer ›amerikanischen Freunde‹ werfen können. Schließlich möchten die Bürger nicht nur wissen, wer oder was angeblich unsere Freiheit bedroht, sondern auch, wer und wer wie unsere Freiheit verteidigt.« Die Antwort der Stadtverwaltung fiel kurz und bündig aus: »Die Stadt Heilbronn beabsichtigt nicht, eine Aussichtsplattform auf der Waldheide zu errichten.« Als die Raketen Anfang der neunziger Jahre abgezogen wurden, schrieben die US-Soldaten auf ihre Transporter: »We gave peace a chance.« Klar, daß diese Parole auf einem Foto zum Schluß der Ausstellung gezeigt wird, quasi als Bilanz. Bemerkenswert erscheint mir ein anderes Foto. Es stammt aus dem Jahr 1983, der Katalog erläutert es folgendermaßen: »Exkanzler Helmut Schmidt, der innerhalb seiner Partei, der SPD, stets für den NATO-Doppelbeschluß eintrat, bastelte während der Nachrüstungsdebatte am 22. November 1983 einen Papierflieger mit der Aufschrift ›Pershing II‹. Ob aus Trotz über das Nein der SPD oder aus Genugtuung über das Ja der Regierungsparteien: nach der Zustimmung warf er seine Pershing-Papierrakete in den Sitzungssaal – im sicheren Bewußtsein, seine Gemütsregung adäquat kommuniziert zu sehen.« Nach dem Abzug der US-Truppen waren auf der Waldheide eine Zeitlang Asylbewerber untergebracht, dann wurde das Gelände renaturiert. Am 21.7.1996 fand die Eröffnungsfeier des Erholungsgeländes statt. Die Redner, der Heilbronner Oberbürgermeister, der ehemalige Kommandant des Raketenstützpunktes, der amerikanische Generalkonsul sowie der baden-württembergische Innenminister Thomas Schäuble, waren sich darin einig, daß allein die amerikanische Politik der Stärke die Beseitigung der Atomraketen bewirkt habe. Selbst der Vietnamkrieg wurde gerühmt: Mit ihm hätten die USA auch Deutschlands Freiheit verteidigt. Der Phrasendrusch ging sogar der örtlichen Tageszeitung zu weit. Sie berichtete über das Fest unter der Überschrift: »Mauern in den Köpfen wurden nicht abgebaut«. Die Stuttgarter Ausstellung beweist es aufs Neue. Übrigens: US-amerikanische Atomraketen sind weiterhin auf deutschem Boden stationiert, an zwei Orten in Rheinland-Pfalz.
Erschienen in Ossietzky 10/2004 |
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