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Dezember 2003 auf Antrag des Staatsschutzes sowie der Staatsanwaltschaften München und Dortmund statt. Das geschah, als ich gerade mit den letzten Arbeiten an meinem Buch »Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck« und mit der Neuherausgabe des Weißbuchs »In Sachen Demokratie« (worin die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes 1960 die Beteiligung schwerbelasteter Wehrmachtsoffiziere am Aufbau der Bundeswehr dokumentiert hatte) beschäftigt war. Mein Computer wurde vorübergehend beschlagnahmt. Alle Dateien, auch die Manuskripte zu den Büchern, wurden behördlich kopiert, wie die Dortmunder Staatsanwaltschaft inzwischen bestätigte. Laut Ruhrnachrichten sagte Staatsanwältin Holznagel, es handele sich um eine zulässige Beweissicherung. Zwar habe die Auswertung der PC-Daten bislang keine Hinweise auf eine mir angelastete Amtsanmaßung ergeben, jedoch seien die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Noch dreister treibt es der Staatsschutz in Wuppertal, der das VVN-Landesbüro durchsuchte, in dem ich ehrenamtlich tätig bin. Wie sich jetzt herausstellte, wurde dort während der Durchsuchung insgeheim eine weitere Telefonleitung gelegt, mit der Telefone und Räume abgehört werden konnten und die Daten des Computers aus der Ferne kopiert wurden. Irgendwelche Staatsbeamten waren also die ersten Leser meines neuen Buches vor seinem Erscheinen. Was nun die Gebirgstruppe betrifft, so habe ich sie unter anderem deshalb regelmäßig gelesen und ausgewertet, um den für die Strafverfolgung zuständigen Behörden mögliche Beteiligte an den Massenmorden der Gebirgsjäger der Deutschen Wehrmacht in Griechenland benennen zu können. Ergebnis meiner Nachforschungen waren rund zweihundert solcher Namen sowie Adressen und Angaben über die Einheiten, denen die Soldaten angehört hatten. Gemeinsam mit der Historikergruppe »Angreifbare Traditionspflege« wies ich dann die Staatsanwaltschaft wiederholt auf mutmaßliche Mitglieder der für den Mord an Tausenden griechischen und italienischen Zivilisten verantwortlichen Einheiten hin. Das Simon Wiesenthal Center schloß sich den Anzeigen an. Doch die Staatsanwaltschaft ermittelte nicht gegen die möglichen Täter, sondern gegen mich, den Rechercheur. Der Hauptvorwurf lautete, ich hätte mich mit amtlich aussehenden Schreiben, die an die Angezeigten gerichtet waren, der Amtsanmaßung verdächtig gemacht. Der Inhalt der offenkundig gefälschten Schreiben könne nur von mir stammen, weil ich den Kameradenkreis Gebirgstruppe mittels Lektüre seines Vereinsblattes ausgespäht hätte und staatsanwaltliche Korrespondenz besitze. Staatsanwaltschaftliche Schreiben wie Zeitschrifteninhalte waren aber öffentlich bekannt oder wurden von mir öffentlich gemacht. Die Fälschung konnte von jedermann stammen – sie stammte jedenfalls nicht von mir. Doch mit der Auswertung der Gebirgstruppe hätte ich mich hinlänglich verdächtig gemacht, meinten die Veteranen wie die Justizjuristen. Der Vorgang zeigt erstens, daß den Publikationen der Militaristenverbände viele Fakten zu entnehmen sind, die sonst verborgen bleiben, und zweitens, wie unerwünscht es ist, daß Menschen außerhalb der Truppe diese Blätter lesen und auswerten; das Verborgene soll verborgen bleiben. Und nun wurde sogar der Staatsanwalt tätig, um die Vertraulichkeit der den Krieg Hitlerdeutschlands beschönigenden und neue Kriege propagierenden Blätter zu wahren. * Es gibt viele Indizien für den Primat des Kriegerischen im heutigen Deutschland. »Manchmal müssen wir Soldaten einsetzen, um unserer Verantwortung für diese eine Welt gerecht zu werden. Doch diese Verantwortung kann Deutschland auf Dauer nur tragen, wenn es ein starkes Land bleibt. Auch und vor allem wirtschaftlich«, plauderte Bundeskanzler Gerhard Schröder am Silvestertag 2003 in die deutschen Wohnzimmer hinein, obgleich das Grundgesetz bestimmt: »Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zuläßt.« Angriffskriege läßt es ausdrücklich nicht zu. Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Helmut Simon stellte fest, »der militärische Sektor« verhalte sich »recht resistent gegenüber verfassungsrechtlicher Durchdringung« (Frankfurter Rundschau, 6.1.04). Seitdem der Generalinspekteur der Bundeswehr die Losung ausgab: »Es gibt nur noch zwei Währungen in der Welt: wirtschaftliche Macht und die militärischen Mittel, sie durchzusetzen« (General Klaus Naumann lt. Spiegel 3/93), hat die von den Militärs ausgehende Rechtfertigung kriegerischer Handlungen ihren Siegeszug durch Staat und Gesellschaft angetreten. Jahrelang konnte man Derartiges nur in Militaristenblättern lesen, die in der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen wurden; nun sind die Reden der Politiker voll davon. Wie weit inzwischen die Ambitionen der führenden Militärs reichen, zeigt ein Geheimpapier des neuen Generalstabs (1945 war den Deutschen ein Generalstab verboten worden, aber de facto gibt es ihn wieder). Die »verantwortliche Übernahme« verteidigungspolitischer Aufgaben »durch ein politisch geeintes Europa« mache »den nationalen Parlamenten verpflichtete Streitkräfte entbehrlich«, schrieb der Führungsstab der Streitkräfte in »Ein Heer für Europa« (lt. Süddeutsche Zeitung, 29.4.03). Zugleich forderte er, die Nicht-Atomstaaten (sprich: Deutschand) müßten an »Atomwaffenpotentialen einiger EU-Staaten« (sprich: Frankreich und Großbritannien) beteiligt werden. Längst hätten Demokraten und Kriegsgegner wenigstens die zugänglichen Publikationen des neuen deutschen Militarismus – oder der Fortsetzer des alten Militarismus – beachten sollen. Verbrecher aus der Wehrmacht hätten leichter namhaft gemacht werden können, künftige Täter wären mit ihren Absichten früher bekannt geworden. Denn erfahrungsgemäß kündigen Militaristen einen von ihnen geplanten Verfassungsbruch immer selber an. Deshalb lege ich jetzt mein Buch »Macht im Hintergrund« vor: Es besteht aus Belegen für die Vorbereitung von Angriffskriegen. Zu 80 Prozent stammen die Belege aus allgemein zugänglichen Quellen der Militärs. Sie dürfen nicht weiterhin unbeachtet bleiben. Tageszeitungen und Rundfunkanstalten schauen zumeist nicht genau hin. Über eine Pressekonferenz der Bundeswehrführung am 13. Januar berichteten sie – trotz des Mottos »Mögliches Einsatzgebiet für die Bundeswehr ist die ganze Welt« – in einer Weise, als hätte sich der Zivilist Peter Struck gegen die Uniformierten durchgesetzt. Die Schere im Kopf des Journalisten gehört der Bundeswehr. Allgemein wurde verbreitet, das Militär müsse nun sparen. Daß da eine vor allem auf »internationale Einsätze« ausgerichtete Militärdoktrin verkündet wurde, die gegen die Verfassung verstößt, war für die Medien kein Thema. Niemand erinnerte daran, daß sich die Bundesrepublik auch durch den Zwei-plus-vier-Vertrag vom 12. September 1990 zum Verbot der Führung eines Angriffskrieges verpflichtet hat und dennoch jetzt Angriffskriege vorbereitet und sich daran beteiligt. Bei den Sprüchen über angebliche Einsparungen hätten sich Journalisten wenigstens an das Eingeständnis eines Generals erinnern sollen, das zwei Tage zuvor in Bild am Sonntag gestanden hatte: Es gehe nicht um eine Sparrunde, »sondern um Geld, das wir nicht haben«. Tatsächlich gibt es keine Einsparungen, sondern nur Umschichtungen innerhalb der internen Bundeswehrplanung, die unverändert auf Zuwachskurs ist. Die mittelfristige Finanzplanung des Bundes sieht einen ungekürzten Militäretat bis 2006 vor und von da an eine Erhöhung um jährlich rund 800 Millionen Euro. Struck stellte diese Zahlen mit keinem Wort in Frage. Damit die Generalität, die das neue Militärkonzept formuliert hat, genug Geld für ihre »weltweit einsetzbare« Armee bekommt, also für den Krieg, sollen Rentner, Kranke, Arbeitslose, Auszubildende verzichten. Was sind das für Offiziere, die dieses Konzept verwirklichen und die künftigen Kriege führen werden? Neue, bisher nicht veröffentlichte Daten bestätigen den Verdacht, daß Offiziersstudenten, künftige Bundeswehrführer, weiter nach rechts rücken, nationalistische und fremdenfeindliche Positionen vertreten und sich zum Ziel »Abwehr von kultureller Überfremdung« bekennen. Die Studie, die ich in der Bundeswehrpublikation Information für die Truppe fand, besagt: Die Einstellungen dieser künftigen Truppenführer tendieren zum rechten Rand. Angesichts der Umorientierung der Bundeswehr zur »Landesverteidigung am Hindukusch« und der steten Vermehrung der Auslandseinsätze seit 1993 sollte dieser Befund die Alarmglocken klingeln lassen. Aber in der Truppe sind die Rechten erwünscht. Sie sind kriegsbereit wie 1914 und 1939. Damit die heutigen und künftigen Truppenführer nicht machen können, was sie wollen, müssen die Verteidiger des Grundgesetzes hervortreten. Die Artikel 25 (Gültigkeit des Völkerrechts), 26 (Verbot des Angriffskriegs) und 87a (Streitkräfte nur für Zwecke der Verteidigung) müssen zur Geltung gebracht werden, um eine brandgefährliche Entwicklung der Truppe zu verhindern. Soldaten und Offiziere sind gehalten, alle Befehle zu verweigern, mit deren Befolgung sie eine Straftat begehen würden (»Innere Führung von A – Z«, Lexikon für militärische Führer, 1999, Seite 14). Schon jetzt, angesichts der permanenten Verletzung des Grundgesetzes durch die Truppe, halten Teile der Friedensbewegung die Aufforderung zur Desertion für gerechtfertigt. Befehlsverweigerung bei gesetz- und verfassungswidrigen Handlungen sei das Gebot der Stunde, heißt es in vielen Reden auf Friedenskundgebungen. Noch wichtiger aber, als solche Appelle an die Soldaten zu richten, ist es, in der ganzen Gesellschaft zur Einhaltung der Verfassungsartikel 25, 26 und 87a zu mahnen – auch angesichts der klammheimlichen Bemühungen, mittels einer militärfrommen EU-Verfassung das Grundgesetz auszuhebeln. Entscheidend dafür, ob sich die deutsche Politik mehr und mehr auf weltweite Kriegseinsätze orientieren kann oder nicht, könnte die Auseinandersetzung über den Rüstungshaushalt sein, also darüber, wofür unsere Steuergelder ausgegeben werden. Struck selber hat den Zusammenhang deutlich benannt, als er auf die Frage der Süddeutschen Zeitung ( 4.2.04), ob er die Steigerung des Rüstungsetats bezahlen könne, sagte: »Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sprechen dafür. Die Agenda 2010 wird ihre Früchte tragen und auch dem Haushalt mehr Spielraum verschaffen.« Der Abbau des Sozialstaats durch die »Agenda 2010« bedeutet nicht nur Verelendung und Verarmung für Millionen Menschen in Deutschland, sondern auch erhöhte Kriegsgefahr für andere Völker. * Alljährlich zu Pfingsten findet in Mittenwald das große Traditionstreffen der Gebirgsjäger-Kameradschaft statt. Veteranen und Aktive der Bundeswehr werden sich dort auch in diesem Jahr wieder versammeln. Die VVN-Bund der Antifaschisten wird der »Traditionspflege« öffentliche Informationen über die ungesühnten Verbrechen der Truppe in ganz Europa entgegensetzen – denn kein einziger Täter wurde bisher zur Rechenschaft gezogen, und die überlebenden Opfer warten noch auf Entschädigung. In der Eissporthalle Mittenwald werden am 29. Mai um 15 Uhr Zeitzeugen über Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger in Frankreich, Italien und Griechenland berichten. Am nächsten Morgen um 9 Uhr folgt eine Protestkundgebung an der Straße zur Luttensee-Kaserne. Ulrich Sander: »Macht im Hintergrund – Militär und Politik in Deutschland von Seeckt bis Struck«, PapyRossa Verlag, 200 Seiten, 14 €
Erschienen in Ossietzky 10/2004 |
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