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Sie: »Mein erster Versuch mit Stöckelschuhen. Für eine Rolle.« Schnell sind wir im Gespräch. Ich erfahre die Geschichte der Nora Schlocker, Regiestudentin, erstes Studienjahr. Studiert man am Regie-Institut, das zur »Busch« gehört und das Studiotheater »bat« in der Belforter Straße sowie eine Probebühne in der Immanuelkirchstraße betreibt, ist man zu einem Szenenstudium, gemeinsam mit dem ersten Studienjahr Schauspiel, verpflichtet. Dafür der verbissene Kampf mit den Waffen einer Frau um lässig-eleganten Gang. Nora kommt aus Tirol. Sie zählt erst 21 Lenze. Ungewöhnlich jung für eine Zulassung zum Regiestudium. Früh überlegte sie: Was will ich. Probierte beim Radio, ORF, hatte bald eine eigene Sendung für junge Leute. Schrieb für eine Tiroler Tageszeitung über Theater und Musik. Spielte Flöte, Gitarre, Klarinette. Tummelte sich im »Treibhaus«, einem Jugendtreff. Stellte aus Texten von Müller, Schwitters und Dada-Literatur eine szenische Collage zusammen, inszenierte, schrieb die Musik dazu, spielte die Hauptrolle. Parallel, mit 17, machte sie das Abitur (die »Matura«, wie sie heimisch sagt). Was immer Nora anfaßte, sie war damit erfolgreich. Die Mutter, Kulturkritikerin, förderte die Tochter. Ursprünglich wollte Nora Schauspielerin werden. An einer privaten Schauspielschule fühlte sie sich nicht herausgefordert, also schnupperte sie ein wenig bei den Filmwissenschaftlern, nahm eine Regieassistenz am Insbrucker Theater an. Die Praxis lehrte sie schnell, man muß als Schauspieler/in Anweisungen befolgen. Das würde Nora nicht immer akzeptieren können. Sie wollte »unten« sitzen. Regie also. Reinhardt-Seminar, Wien. Aufnahmeprüfung für Regie. Sie war unter den letzten fünf Kandidaten. Sehr gut, aber zu jung. Nora war wütend. Nächste Stationen: Regieassistenz in Luzern, dann am Schauspielhaus Frankfurt/Main. Danach Berlin. Die »Busch«. Die, sagt sie, »ist die beste. Hier wird nicht nur vorgesetzt, hier kann man sich viel holen, den Stundenplan mitbestimmen. Das Dozententeam wird derzeit verjüngt. Mal sehen, wie es läuft.« Nora ist gescheit, begierig nach Wissens- und Bewußtseinserweiterung, erstaunlich berufserfahren für ihre jungen Jahre. Eine Rarität. Wir sind verabredet. Demnächst. Im Regie-Institut. Alles auf Anfang. * Im Szenenstudium bei Professorin Angelika Waller lerne ich Gabor Biedermann kennen. »Macbeth« steht auf dem Probenplan. Die Sprache Shakespeares. Gabors Lady ist Annika Martens (s. Ossietzky 7/04). Gabor hat einen ausgeprägten Sinn für Sprache. Prononciert, sinnbesetzt, guter Rhythmus, tenorale Stimmlage. Spannend ist es, wie Prof. Waller mit den beiden die Dimensionen hinter dem Text erforscht. Schleier um Schleier wird gehoben, der Irrsinn der Verbrechen als planmäßige Perfidie entlarvt. Motiv ist die Gier nach Macht, nach dem höchs ten Amt im Staat. Annika und Gabor, Lady Macbeth und ihr Gemahl, spielen das im Detail Erarbeitete. Ein Sturm bricht los. Kraftvoll, heulend, tobend, schmeichelnd. Ein mörderisches Paar. Mörderisch gut. Die Geschichte flutet in den Zuschauerraum. Vokale knallen und kieksen, der Vers stampft, die Laute segeln auf dem Atem. Lustvoll setzen sich die beiden dem Vers aus, benutzen ihn. Animalisch, wild, sinnlich rasen Lord und Lady Macbeth über die Bühne, getrieben von Mordgedanken. Wie ein brünstiger Leu begleitet Gabor Annikas rauschhafte Entzückensschreie. Dann, in seinem Monolog, seine Taten bedenkend, tritt er an die Rampe, spricht Shakespeare im Original, läßt die Musik dieser Sprache erklingen. Ein seelenvoller Mordgesell. Unbeschreiblich die Dimension der authentischen Worte Shakespeares! Die Intensität! Aus Bodenlosigkeit und tiefer Stille, wie sprachlos vor sich selbst, doch sprechend, beeindruckt der junge Interpret. Dann, unvermittelt, wird er gefährlich. Ist Mörder! Was auf Proben abläuft, ist wie außerhalb der Welt – und doch: In den Schutzraum Bühne geholt, ereignet sie sich wieder, die Welt. Die von vor Hunderten von Jahren, von gestern, heute. Auf den rissigen, splittrigen Brettern findet Geschichte statt, durchdringen sich Schein und Sein, spiegeln sich die Ereignisse der Welt. * In der Kantine erzählt mir Gabor Biedermann: Er kommt aus Wiesbaden. Vater Gymnasiallehrer für Sprachen, Mutter Kulturjournalistin (Theater). Schule, Leichtathletik, Chanson, Gitarre. Nach dem Abitur Zivildienst in Frankreich, soziale Erfahrungen. Ein Freund der Mutter, gerühmter Puppenspieler in Budapest, kennt Gabor seit 25 Jahren, hat ihn beobachtet, fand ihn begabt für sein Fach. Ein Jahr Praktikum in Budapest folgten, dann begann Gabor bei »Busch« das Puppenspielstudium. Anfangs war er unsicher, ob es Theater sein muß. Sein Anspruch an die Bühne ist hoch. Befragt man ihn nach Aufführungen, die ihm Maßstab sind, sagt er: »Peter Brooks › Hamlet ‹ in Paris, Bessons › Kaukasischer Kreidekreis ‹ in Lausanne.« Kriterien die beflügeln können und zu denen sich die eigene Person sehr respektvoll ins Verhältnis setzen läßt. Gabor entschloß sich zum Schauspiel-Test. Gesagt, getan, bestanden. In Portugal ist er aufgewachsen, als Jugendlicher lebte er in Frankreich, Ungarn, Deutschland. Des Vaters Beruf brachte das mit sich. »Ich habe in verschiedenen Kulturen gebadet«, sagt Gabor. Er genießt die Verschiedenheit der Kulturen. Als Kind hat er mit Staunen und Faszination verfolgt, wie sich Grenzen öffneten. Ein Wert wurde gewonnen, den er schätzt. Gabor hofft, daß er durch seine Mehrsprachigkeit einen größeren Radius hat, den Schauspielerberuf auszuüben. Er kann sich eine Zukunft nicht nur auf deutschen Bühnen vorstellen. Glückliche Konstellation. In der »Busch« fühlt er sich gut aufgehoben. Es ist ein Leben ohne Freizeit, streng eingebunden, auslaugend, aber er möchte die Ausbildung nutzen, soviel wie möglich mitnehmen. Besucht workshops in den Semesterferien. Erlaubt sich nur wenige Ferientage. »Das spüre ich jetzt. Kräftemäßig.« Es bleibt nur noch wenig Zeit bis zum Vorsprechen von »Macbeth«. Da passiert es. Ein falscher Schritt, eine schmerzhafte Zerrung im Fuß. Gabor auf Krücken. Das Vorspielen dessen, was sie intensiv erarbeitet haben, ist ungewiß. Für ihn. Für Annika. Alles auf Anfang.
Erschienen in Ossietzky 9/2004 |
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