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Auch Goethes Werke oder Heine-Ausgaben galten als »staatsabträglich«, sofern sie »drüben« gedruckt worden waren. Später bin ich dann dazu übergegangen, mich gelegentlich vor Grenzpassagen mit einem doppelten Satz des von mir so geschätzten Lesestoffs zu versehen: einen im Handschuhfach als Lockmittel zur Beschlagnahme durch die Westzöllner, den zweiten gut versteckt für mich selbst. Als ich dann versuchsweise die auf dem Rückumschlag abgedruckte Abo-Bestellkarte absandte, kam fortan die Weltbühne in allerlei mit Westberliner Poststempeln versehenen phantasievollen Tarnumschlägen pünktlich ins Haus. Ein Westberliner Kumpel fand sich bereit, die fälligen Abo-Gebühren zuverlässig bei einem Ostberliner Postamt in bar für mich zu begleichen. (Nach Inkrafttreten des Grundlagenvertrags 1973 durften Bundesbürger dann gewisse DDR-Zeitungen auch offiziell abonnieren. In Hannover war das ausschließlich über die größte Buchhandlung am Ort möglich. Der mir befreundete Inhaber des Hauses warnte mich jedoch: »Überleg Dir das noch mal; ich bin nämlich verpflichtet, alle Besteller sofort dem Verfassungsschutz zu melden.« Das mußte wohl so sein, wg. Gedankenfreiheit West.) Mit Sicherheit war ich nicht der einzige Weltbühne -Leser, der als erstes stets die Artikel eines gewissen Lothar Kusche las, wenn ich mir nicht vorher noch schnell Felix Mantels »Kohl« reinzog. 1972 erhielt ich eine Einladung des Friedensrats in die Hauptstadt der DDR und nutzte freudig die Gelegenheit, mal nachzuschauen, wo die Redaktion meiner Lieblings-Wochenschrift nun eigentlich residierte. Verblüfft über so viel Bescheidenheit stand ich schließlich vor einer unscheinbaren Tür im Obergeschoß eines Rückgebäudes. Ich faßte mir ein Herz und klingelte. Ein freundlicher Herr öffnete. Er muß wohl gelinde gesagt erstaunt gewesen sein, als ich mich vorstellte und beiläufig erklärte: »Ich bin Euer hannöverscher Abonnent und wollte mal kurz vorbeischauen.« Der Herr hieß Lothar Kusche und hielt ganz allein Stallwache in der Redaktion. Er bat mich herein. Aus dem »Kurz-Vorbeischauen« wurde ein ausgedehnter Gedankenaustausch – vor allem jedoch der Beginn einer jahrzehntelangen Freundschaft. Als Lothar mich fragte, ob ich nicht gelegentlich mal etwas für das Blatt schreiben wolle, war ich stolz wie ein Schneekönig: Weltbühne -Autor! Etwas Höheres gab es für mich kaum. Ein halbes Jahr später sagte mir Reinhold Andert: »Jetzt bringe ich Dich mal mit jemandem ganz besonderen zusammen: dem Tucholsky unserer DDR.« Mehr wollte er nicht verraten und lotste uns mit nahezu verschwörerischer Miene durch die Stadt in die Woelckpromenade. Dort saßen wir gleich darauf mit Lothar und seiner Frau Ingelott in der guten Stube. Auch dieser Abend gestaltete sich angeregt und etwas länger. Später einmal schrieb die Hannoversche Allgemeine nach einer Kusche-Lesung in unserem Theater: »Der Kishon vom Alexanderplatz«. Ich halte ehrlich gesagt Reinholds Formulierung für die bessere. Unvergeßlich Lothars erste Lesung in unserem »Theater an der Bult«. Im Winter war das, Hannover im Schneechaos versunken, der Straßenbahnverkehr eingestellt. Dennoch war das Haus überfüllt bis auf die letzte Treppenstufe. Es gab sogar Leute, die auf Skiern gekommen waren, um Lothar Kusche zuzuhören. (Später erfuhren wir, daß sich an diesem denkwürdigen Abend bei uns mehr Publikum gedrängt hatte als in Opern- und Schauspielhaus zusammengenommen.) Anschließend kämpften Lothar, meine Frau Christel und ich uns durch hüfthohe Schneewehen zum Eckgriechen, so wie die mythenumwobenen Rotgardisten durch Eiswüsten und Basmatschenhorden zu Lenin. Trotz des Ouzos, den der Wirt seinen an diesem Abend einzigen Gästen reichlich spendiert hatte, gestaltete unser Rückweg sich einfacher: Es ging ja jetzt auf der schon beim Anmarsch gepflügten Spur. Wenn ich je einen Kollegen um Rat frage, dann ist es fast immer Lothar. Wer, wenn nicht er mit seinem sicheren Gespür für die täglichen Absurditäten, seiner kaum aufholbaren Erfahrung im Metier sollte eher Bescheid wissen? Daß auch seine Leser ihn dafür lieben, dokumentieren die Riesenauflagen seiner Bücher. Jetzt ist Lothar Kusche 75, scheint jedoch jünger als mancher inzwischen angepaßte Mittdreißiger. Herzlichen Glückwunsch! Und weil Lothar Kusche genaugenommen ja doch sogar zwei ist: Einen lieben Gruß auch an Felix Mantel! Eine Freundin hat uns jüngst erzählt, sie sei auf der Bahnfahrt von Jena nach Erfurt Ossietzky lesend im Abteil von einem älteren Herrn angesprochen worden: »Wie schön, daß es die Weltbühne jetzt wieder gibt. Da hat doch immer der Kusche geschrieben.« Nun schreibt der Kusche im Ossietzky . Das ist gut so. Danke, Lothar. Und bitte noch viele schöne Beiträge.
Der Eulenspiegel Verlag hat rechtzeitig zum Geburtstag (auch zum eigenen 50.) ein neues Geschichtenbuch von Lothar Kusche herausgebracht: »Wo die Rosinenbäume wachsen« mit Illustrationen von Elizabeth Shaw, 128 Seiten, 7.90 €
Erschienen in Ossietzky 9/2004 |
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