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Zur Kreisleitung haben wir uns bereits per gebotener Ironie geäußert, zum Philosophen zitieren wir kurzum aus dem Waschzettel unseres Buches über den Bloch-Kreis, das im Herbst erscheinen wird. Es heißt da: Ernst Bloch war die letzte Chance der DDR. Sie wurde leichtfertig vertan. Für die Bonner Republik aber entwickelte sich der von Leipzig nach Tübingen übergesiedelte Denker zur hochverehrten Verlegenheit. Wie gehen Kapital und Philosophie zusammen? War die DDR einer falschen Philosophie gefolgt, verzichtet die Berliner Republik auf alle Philosophie und zieht das Chaos neoliberaler und konservativer Irrealismen vor. Bloch ist der Klassiker einer erneuerten Existenzphilosophie, der Archetyp der neuen Alten, die als neue Jugend antraten und es blieben. Der früheste politische Eingriff und Angriff Blochs war sein Protest gegen den Ersten Weltkrieg. Daraus erwuchs sein Paradigma des »Aufrechten Ganges« trotz partieller »Sklavensprache« und temporärer Niederlagen. Wer war Bloch? Als Knabe entdeckte er in der prächtigen Mannheimer Schloßbibliothek die märchenhaften Abenteuer der Philosophiegeschichte. Revoltierte gegen Kaiserreich, Weimarer Republik, Drittes Reich und die Fehler der DDR. Liebte reiche Frauen, auch wenn sie durch Revolutionen, für die er votierte, verarmten. Verstarb zweiundneunzigjährig unversöhnt. Wer war Bloch? Laut Georg Lukács bediente Bloch sich der »Muttersprache ... im Geist der alten Philosophie«. Max Weber meinte, Bloch hielte sich »für den Vorläufer eines neuen Messias«. Hitlerdeutschland bürgerte ihn aus. Franz Josef Strauß gratulierte zum 90. Geburtstag. Bundeskanzler Schmidt erinnerte sich nach dem Ableben des Philosophen, er habe schon seit langem mit ihm über Utopie sprechen wollen. Hitlerbiograph Joachim C. Fest ernannte noch den toten Bloch zum lebenden gefährlichen Revolutionär, und Walter Ulbricht beschuldigte ihn glatt der Konterrevolution, während Joseph Ratzinger vor Blochs »atheistischer Frömmigkeit« und »marxistischer Versuchung« warnte. Der so vielfach Belobigte und Beschuldigte wurde 1885 in Ludwigshafen geboren und verstarb 1977 in Tübingen. Dort auf dem Bergfriedhof liegt er begraben. Seiner eigenen Philosophie nach ist es eine Wartestellung. Es ist zugleich der Platz des verfolgten, zu Tode verehrten, mißverstandenen, mißgedeuteten, miesgemachten deutschen Juden. Dies also der Text, den wir unserer Antwort an die Universität Leipzig beifügten. Inzwischen begreifen wir die dortige Sprachlosigkeit. Augenscheinlich tendiert die geplante Ernst-Bloch-Präsentation zur Anti-Bloch-Ausstellung. Dem stehen unsere Fakten, Dokumente, Belege, Erfahrungen und Interpretationen entgegen. Der Philosoph soll kein Verfolgter gewesen sein, wie Prof. W. aus seinem Archiv erfahren haben will. Geht es um Akten-Lektüre, kommen dem Zeitgenossen automatisch die Namen Gauck & Birthler in den Sinn, die bis ins »Rosenholz« hinein Angst & Schrecken verbreiten. Nur nicht bei uns. Wir sitzen auch auf Akten, und wenn die der Universität die Sprache verschlagen, ist das zu bedauern, dabei wollten wir die Herren doch nur ein wenig unterstützen und zum Beispiel darüber informieren, daß Walter Ulbricht den Philosophen beschuldigte, »einen Plan für die Konterrevolution« in petto zu haben. Durch Dokumente ist belegbar, weshalb das Ministerium für Staatssicherheit im »Operativplan SUBJEKT« das Leipziger Kabarett »Pfeffermühle, den Organisator der Jazzbewegung, Rudorf, Prof. Bloch von der Universität, die beiden Schriftsteller Loest und Zwerenz« aufs Korn nahm. Ja warum wohl? Der Archivar weiß inzwischen mitzuteilen, daß Bloch sich im Jahr 1957 auch von Zwerenz distanziert habe. Was für eine Neuigkeit. Die situationsbedingte Taktik des in die Enge getriebenen Philosophen fügte GZ kaum Schaden zu, weil der sich bereits im Westen befand. Prof. W. hat etwas läuten gehört, weiß aber nicht, wo die Glocken hängen. Über den Vorgang gibt es Publikationen, die dort so unbekannt sind, als wären sie in einem chinesischen Dialekt verfaßt. Prof. W. erinnert zu Recht in einer Broschüre von 1999 an mehrere junge Männer und gegen sie verhängte Todesurteile, mit denen die sowjetische Besatzungsmacht nach Kriegsende studentischen Widerstand an der Leipziger Universität ahndete. Doch wenn er pauschal von den »Opfern beider deutscher Diktaturen« spricht, sollte er zur Nachhilfe die Vorlesung eines Kollegen Mathematik-Professors belegen, damit die Zahlen nicht außer Proportion geraten. Laut » Widerstand als Hochverrat«, Verlag K.G. Saur, ist exakt nachweisbar: Der »politisch motivierte Widerstand war ... zu 75 % kommunistisch, zu 10 % sozialdemokratisch und zu 3 % christlich-bürgerlich». Soviel zum Kampf gegen Nazi-Deutschland. Im Freistaat Sachsen scheint die Krankheit der Gleichsetzung von DDR und Hitler-Deutschland rasant um sich zu greifen. In Leipzig lehrten angesehene antifaschistische Wissenschaftler wie Werner Krauss (1943 von den Nazis zum Tode verurteilt), Walter Markov (im Dritten Reich zwölf Jahre Zuchthaus), Hans Mayer und Emil Fuchs (Exil) sowie Ernst Bloch, für den nach der US-Emigration keine westdeutsche Hochschule Platz hatte, so daß die Leipziger Universität ihm einen Lehrstuhl bot, was sie ehrt, ihn später aber davon vertrieb, was sie verunehrt. Lassen wir Ernst Bloch selbst sprechen. 1971 von Butzbacher Schülern befragt, antwortete er per Brief: »Am Ende des 1. Weltkrieges ging ich in die Schweiz und habe dort gegen den deutschen Militarismus, gegen den Krieg, für den Frieden geschrieben. Die Oktoberrevolution war für mich das bedeutsame Erlebnis. Während der Weimarer Zeit stand ich der KPD nahe. In der Nazi-Zeit habe ich in der Emigration, vor allem in der Prager Weltbühne , publizistisch gegen den Faschismus gekämpft. 1949 folgte ich dem Ruf an die Leipziger Universität, in der Hoffnung, in dem sozialistischen Teil Deutschlands mithelfen zu können, eine menschenwürdige Gesellschaft aufzubauen. Meine Hoffnung wurde enttäuscht. Das hat aber meine Überzeugung, daß ein wahrer Sozialismus, trotz russischer und benachbarter Entartungen, in der Zukunft möglich ist, nicht erschüttert. In diesem Sinne steht meine Philosophie unter dem revolutionären Stern.« 1961 war in der Leipziger Volkszeitung unter der Überschrift »Verräter Zwerenz in der Gosse« zu lesen: »Schmach und Schande und Verderb denen, die wie Kantorowicz, Kasten, Zwerenz, Hertwig, Zöger und Konsorten zu erbärmlichen Verrätern wurden.« Verfaßt hatte den Schmäh-Artikel der damalige LVZ- Chefredakteur Professor Hans Teubner. Selbst attackiert und tief in der Tinte sitzend, versuchte er damit gegen sein Verderben anzuschreiben. Im selben Jahr beschimpfte die Leipziger Universitätszeitung Ernst Bloch als »Deserteur« sowie »Verräter« und fuhr fort: »Der völlige geistige, moralische und menschliche Bankrott ist das Schicksal aller Renegaten. Mögen die Möpse Zwerenzscher und Zehmscher Art im westdeutschen Blätterwald bellen, die Karawane zieht ruhig weiter.« Die Karawane zog weiter, bis sie im Wüstensand parteilicher Hybris versank. Ein Archiv-Professor sucht nun den Kalten Krieg in munterer Unwissenheit fortzusetzen, was uns nicht hindert, im Sinne Ernst Blochs unterm Signum des revolutionären Sterns zu antworten. Bisher allerdings ist Ernst Bloch in Leipzig Unperson: Von Professor Gerald Wiemers, der auf unsere Anfrage nach den Quellen seiner Kühnheiten beziehungsvoll schweigt, wird über vier Ecken kund, seiner Ansicht nach sei Bloch in der DDR, weil nicht verhaftet, unverfolgt geblieben. Charles de Gaulle pfiff 1968 Polizei und Justiz zurück mit den Worten: Einen Sartre verhaftet man nicht. Ähnlich verhielt sich Walter Ulbricht 1956 gegenüber Ernst Bloch. Wer das nicht begreifen kann, ersetzt Stilgefühl durch blamable Unwissenheit.
Im nächsten Heft: » Sachsens schwarze Hand«
Erschienen in Ossietzky 9/2004 |
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