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In der Tat stieg der Ölpreis 1973 aufs Vierfache, und 1979 folgte noch eine Verdoppelung: Das war die stärkste kurzfristige Preisveränderung in Friedenszeiten jemals auf dem Weltmarkt. Sie löste weltweit Preissteigerungen in allen Branchen aus. Die Inflation konnte nur mühsam in Grenzen gehalten werden. Dem Westen wurde bewußt, in welch hohem Grade seine ganze Zivilisation vom Öl abhängig geworden war. Dabei verstand sich die Organisation erdölproduzierender Länder (OPEC) als Anwalt der Dritten Welt insgesamt, wollte die höheren Einnahmen für Entwicklungsprojekte verwenden und auch für andere Rohstoffe höhere Preise durchsetzen. Über diese Offensive des Südens hinaus wurden aber die Grenzen des wirtschaftlichen Wachstums überhaupt erkennbar; der Club of Rome wies eindrucksvoll darauf hin. Und was heute leicht vergessen wird: Die Sowjetunion befand sich auf dem Gipfel ihrer Macht. Sie hatte die Parität in der atomaren Rüstung gegenüber den USA erlangt, begann mit der Modernisierung ihrer auf Westeuropa gerichteten Mittelstreckenraketen und erweiterte ihren Einfluß in der Dritten Welt (Vietnam, Laos, Äthiopien, Angola, Nicaragua, Afghanistan und anderen Ländern). Die Vereinigten Staaten dagegen hatten den Vietnamkrieg verloren, lit ten unter Führungsschwäche, wie der Watergate- und andere Skandale zeigten, und waren ökonomisch angeschlagen. Daß ihr relatives wirtschaftliches Gewicht gegenüber Europa und Japan abnahm, konnte man noch als Normalisierung einschätzen. Aber daß der Kurs des Dollar nach dem Ende der währungspolitischen Vereinbarungen von Bretton Woods so rapide fallen würde (von rund vier DM Anfang der 70er Jahre auf 1,70 DM am Ende des Jahrzehnts), hatte man nicht erwartet. Trotz des dadurch erleichterten Exports begann 1971 die amerikanische Handelsbilanz negativ zu werden, zum ersten Mal seit 1894. Und wer das noch nicht als Zeichen sinkender Wettbewerbsfähigkeit erkennen wollte, wurde 1973 dadurch überrascht, daß auch das Produktivitätswachstum abfiel, es verlor mehr als die Hälfte und landete bei 1,3 Prozent im Jahr – ein Rekordtief des ganzen 20. Jahrhunderts. Selbst zur Zeit der Weltwirtschaftskrise hatte es höher gelegen (1,6 Prozent). Und nach US-amtlichen Angaben fiel es weiter bis 1995 (0,9 Prozent). Die OECD-Statistik mit ihren strengeren Kriterien bescheinigte den USA für die Jahre 1973-1979 sogar nur 0,0 Prozent, also gar kein Produktivitätswachstum. Die US-amerikanischen Unternehmen begannen nun, die Produktionsleistung weniger durch Rationalisierung als vielmehr in frühkapitalistischer Weise durch Verlängerung der Arbeitszeit zu erhöhen. Damit wurde die Tendenz zur Arbeitszeitverkürzung, die über ein Jahrhundert die Entwicklung bestimmt hatte, umgekehrt. Die Arbeitnehmer nahmen das hin, weil die Löhne zurückgingen und die Arbeitsplätze unsicherer wurden. In der Tat fielen die realen Stundenlöhne der Arbeiter und einfachen Angestellten zwischen 1973 und 1996 von 8,55 auf 7,43 Dollar. Neu war auch der gleichzeitige Anstieg der Inflation und der Arbeitslosigkeit. Die Inflationsrate kletterte 1974 auf 12,2 Prozent, und die Arbeitslosenquote erreichte 1975 mit 8,5 Prozent den höchsten Stand seit 1941. Der Niedergang der US-Hegemonie schien unausweichlich. Die Debatte darüber wurde 1973 angestoßen durch ein Buch von Charles Kindleberger. Sein Thema war die Weltwirtschaftskrise. Der Autor führte sie nicht nur auf ökonomische Ursachen zurück, sondern letztlich auf das »Interregnum« zwischen der britischen und amerikanischen Hegemonie, also auf das Fehlen einer stabilisierenden Führungsmacht. So kam man auf Parallelen zwischen der pax britannica und der pax americana und auf den Gedanken, daß es dieser ebenso ergehen könne wie einst jener – ein Tauziehen zwischen Europa und den USA um die Welthegemonie schien sich abzuzeichnen. Zwar verschaffte Präsident Reagan hegemonialem Machtstreben mit Hochrüstungsprogrammen neue Zuversicht. Aber durch die sinkende Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Industrie, das wachsende Außenhandelsdefizit und die steigende Verschuldung der USA seit den 80er Jahren bekam die Debatte neuen Auftrieb. Prominentester Vertreter der Decline-These wurde Paul Kennedy, dessen Buch »Aufstieg und Fall der großen Mächte« interessanterweise 1987 erschien, als gerade der Ostblock zu bröckeln begann. Man mag daraus nicht so sehr ersehen, wie bedeutende Historiker sich täuschen können, als vielmehr, wie labil selbst eine siegreiche Macht ist. Die Gegenposition wurde beispielsweise von Joseph Nye (Politologe in Harvard, unter Clinton stellvertretender Verteidigungsminister) vertreten, und zwar hauptsächlich mit dem Argument, das Wesen von Macht habe sich im Informationszeitalter verändert (»soft power«), so daß sich den USA neue Chancen eröffneten. Auch Benjamin Barber (»Coca-Cola und Heiliger Krieg«) prognostizierte, die Hegemonie werde Bestand haben, hauptsächlich wegen des Wandels zur Dienstleistungsökonomie, dessen Vorreiter die USA seien. Nun sind »Dienstleistungen« freilich ein sehr weites Feld, das von den Putzfrauen bis zu den Banken und Versicherungen (»Finanzdienstleistern«) reicht. Daß letztere dazu beitragen, die Hegemonie zu erhalten, leuchtet zwar ein, aber auch sie bleiben von der industriellen Produktion abhängig. Ob der gewaltige tertiäre Bereich in den USA nicht mit der Verlagerung industrieller Produktion in die Entwicklungsländer zu tun hat und auch mit dem hohen Handelsdefizit der USA, also damit, daß sie in beträchtlichem Umfang von den industriellen Überschüssen Japans und Europas profitieren? Man wird den Verdacht nicht los, daß es sich bei einer solchen Dominanz des Dienstleistungssektors um parasitäres Wirtschaften handelt. Freilich präzisierte Barber den Dienstleistungsbegriff und meinte, speziell die Bereiche Telekommunikation, Information und Unterhaltung wüchsen am stärksten, und hier seien die USA unschlagbar: »Folgen wir der Logik dieser wirtschaftlichen Evolution, stehen die USA mit jedem Jahr besser da und wirken Prognosen, daß Amerika absteige, immer unwahrscheinlicher.« Die USA würden demnach ihre beherrschende Stellung in der Weltwirtschaft behalten, weil diese selber immer weniger von materieller Produktion und immer mehr von der Beeinflussung der »Seele« geprägt sei. Mit dieser These geraten wir jedoch auf sehr dünnes Eis. Denn es geht hier nicht um die Modernisierung der Produktion durch Informations- und Kommunikationstechnologie, sondern um die Verbreitung einer Massenkultur, um Ideologisierung im weitesten Sinne. Daß die Vereinigten Staaten darin weltweit führend sind, wird zwar niemand bezweifeln. Aber könnte es nicht sein, daß eben dadurch der Anschein entsteht, die Ideologieproduktion beherrsche zunehmend die Wirtschaft überhaupt? Dann wäre diese These selber nur ideologische Täuschung. Aber selbst wenn sie zuträfe, bliebe doch die weitere Frage, ob nicht umgekehrt die Seelenbeeinflussung in der Ökonomie deshalb vorherrscht, weil und sofern die USA politisch die Vorherrschaft haben und dabei für den materiellen Fortschritt in den Entwicklungsländern sehr wenig tun. Den Verdammten dieser Erde ist jedenfalls mit einer solchen virtuellen Ökonomie nicht gedient. Und Barber, der die politische Hegemonie eigentlich ökonomisch begründen will, dreht sich mit seiner Argumentation im Kreise.
Erschienen in Ossietzky 9/2004 |
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