Statistikpropaganda

Manfred Sohn

Einer der Mantras, die hierzulande den Verteidigern des restlichen sozialen Schutzes der Arbeiter und Angestellten vorgehalten werden, ist der Verweis auf die seit Jahren im Vergleich zu Deutschland stärker wachsende Volkswirtschaft der USA. Die offiziellen Zahlen schrumpfen freilich schnell, wenn man die vom Handelsblatt oder der Zeit oder anderen Blättern mit religiösem Eifer referierten Steigerungsraten des Bruttosozialprodukts durch die wachsende Bevölkerungszahl der USA teilt. Pro Kopf nämlich entwickeln sich beide Volkswirtschaften seit längerem ungefähr gleich.

Auch in den USA selber geraten die offiziellen Zahlen immer mehr in die Diskussion. Die Bush-Regierung brüstet sich damit, daß seit zwei Jahren das Bruttoinlandsprodukt um 3,6 Prozent wachse. Merkwürdigerweise läßt dieses Wachstum die Arbeitslosenquote fast unberührt, und auch die Produktivität steigt nicht in dem Maße, das ein solches Wachstum erklären würde. Die indus-trielle Produktion entwickelt sich ebenfalls nicht entsprechend den statistischen Erfolgsmeldungen.

Eine im konservativen Economist wiedergegebene Erklärung von Jan Hatzius, einem Ökonomen der Finanzgruppe Goldman Sachs, lieferte jetzt eine Erklärung für diese Widersprüchlichkeiten: Die von amerikanischen Firmen im Ausland produzierten Waren und Dienstleistungen werden nicht aus der heimatlichen Leistungsstatistik herausgerechnet. Korrekterweise müssen diese Werte vom Bruttoinlandsprodukt abgezogen werden – sie sind ja nicht von der US-Wirtschaft, sondern vom Ausland produziert. Wenn also beispielsweise eine US-Firma ein Call-Center mitsamt der Technologie nach Indien auslagert und diese Firma dann von dort Dienstleistungen bezieht, müßte die Statistik korrekterweise einen höheren Import und ein dementsprechend gemindertes Bruttoinlandsprodukt vermerken. Das geschieht aber nicht. Goldmann Sachs weist denn auch darauf hin, daß die in Amerika registrierten Importe von Software-Dienstleistungen aus Indien deutlich geringer sind als die von der indischen Statistik erfaßten Exporte solcher Dienstleistungen nach Amerika. Summa summarum reduziert sich die Wachstumsrate der US-Wirtschaft dadurch nach Berechnungen von Hatzius um fast einen Prozentpunkt.

Die Bush-Administration legitimiert einen Krieg mit Waffen, die sie nicht findet, und schmückt ihre Wirtschaftspolitik mit Leistungen, die die USA gar nicht erbringen. Ewig kann eine solche Augenwischerei und Statistikfälscherei nicht gutgehen.

Erschienen in Ossietzky 9/2004