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Einhellige ReaktionenNach dem europaweiten Protesttag 3.April, an dem allein in Deutschland eine halbe Million Menschen für die Erhaltung des Sozialstaats, gegen die »Agenda 2010« demonstriert hatten, waren die Reaktionen aus Politik und Wirtschaft einhellig. Bundeskanzler Schröder räumte lediglich Fehler in der Vermittlung der »Reform«-Politik ein, die Richtung stimme. Da seien die von den Gewerkschaften organisierten Proteste »wenig hilfreich«, beschwerte sich der SPD-Vorsitzende Müntefering. Der rechte Flügel der SPD, der Seeheimer Kreis, forderte sogleich, daß die Bundesregierung von ihrem Kurs nicht abrücke, egal wie viele Menschen auf die Straße gingen. Scharfe und zynische Töne kamen auch von der Opposition. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU, Friedrich Merz: »Einige Gewerkschaften träumen von den siebziger Jahren und vergessen die Zukunft. Wir müssen das Tarifkartell aufbrechen und die Funktionäre entmachten.« FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle warf den Gewerkschaftsfunktionären sogar Verrat der Arbeitnehmerschaft und der Arbeitslosen vor, weil sie notwendige Modernisierung der sozialen Marktwirtschaft bekämpften und die Zukunft des Landes aufs Spiel setzten. Die Zeit des großzügigen Verteilens – so der Kanon der politischen und wirtschaftlichen Eliten – soll vorbei sein: Geld, das nicht vorhanden sei, könne man nicht verteilen. Denn das Quantum, was vom gesellschaftlichen Reichtum verteilt werden darf, bestimmen sie. Die Kassen sind leer, weil sie den Sozialstaat abschaffen wollen. Marcus Hawel
EigenverantwortungFrüher rühmten die Politiker die Rentenversicherung und garantierten mir, meine Rente sei sicher. Jetzt ermahnen sie mich zur Eigenverantwortung. Der Kanzler ruft ein neues Zeitalter aus: das Zeitalter der Eigenverantwortung. Die Regierung ist künftig für nichts mehr verantwortlich zu machen. Eigenverantwortung statt Gemeinwohl – Freiheit statt Sozialismus. »Für Ihre Gesundheit«, sagt mir der Arzt, »sind Sie selber verantwortlich. Wenn Sie zahlen, kann ich Sie heilen – die Krankenkasse zahlt dafür nicht mehr. Falls Sie nicht zahlen, was ich verlange, wäre das verantwortungslos gegenüber Ihrer Gesundheit.« Der Chef legt mir die Hand auf die Schulter und blickt mir partnerschaftlich in die Augen. »Ich entlasse Sie jetzt«, sagt er, »in die Eigenverantwortung.« Evelyn Enzian
MißbrauchKapitalgesellschaften kassierten dank Steuerreform bisher 60 Milliarden Euro Steuersozialhilfe. Ohne jede Gegenleistung, einfach fürs Nichtstun. Hier klagt keine Bild -Zeitung über Mißbrauch. Rainer Roth Bush, der wahre Marxist?»Unvergessen sind die Bilder der jubelnden Bevölkerung in Bagdad, Mossul, Kirkuk und Basra, die alle Prognosen deutscher Nahostexperten und Appeasement-Demonstranten von einem Flä-chen brand in den arabischen Ländern nach der Landung der US-Truppen und ihrer Verbündeten ad absurdum führten... Karl Marx formulierte den kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. Im Gegensatz zur Antiglobalisierungslinken ist die Bush-Regierung in ihrer Irak-Politik – aus welcher Motivation auch immer – diesem Imperativ gefolgt.« So steht es in der Wochenzeitung Jungle World , Ausgabe vom 7. April des Jahres, und zwar nicht auf deren Witzseite »Junk Word«. Das Blatt wird gern gelesen von Sympathisanten der US-amerikanischen Regierungspolitik hierzulande, die sich selbst für »antideutsch-links-radikal« halten. Aber was nun, wenn der Präsident der USA die Jungle World zu sehen bekommt und erfährt, wessen Auftrag er da ausführt? Als enttarnter Marxist wird er dann – schon aus Rücksicht auf die antikommunistische Grundstimmung in seinem Publikum – sofort seine Irak-Politik ändern müssen; und die Jungle World als Propagandistin dieser Politik hat das Nachsehen. Peter Söhren Walter Kaufmanns LektüreWir kamen beide im einundsechziger Jahr nach Kuba, Eberhard Panitz als Schriftsteller, ich als Decksmann auf dem MS »Karl-Marx-Stadt«. Er blieb drei Monate dort, ich nur einen. Wir trafen uns häufig. Die US-amerikanische Blockade hielt unser Schiff im Hafen fest, und ich konnte jederzeit an Land. Ihm, wie mir, bleibt der revolutionäre Elan der Kubaner unvergeßlich, die Tage jenes Sommers, als sie die Invasion von Playa Giron zurückschlugen und Krieg und Konterrevolution verhinderten. Beide haben wir seitdem um Kuba gebangt – nicht grundlos, wie uns die Ge genwart lehrt. Und nicht von ungefähr wird er dem Buch den Untertitel gegeben haben »Die letzte Insel« . Die letzte, fürwahr! Und »Cuba, mi amor« zeigt, warum die Flamme des Sozialismus hier noch brennt. Das Tagebuch, in dem Panitz das Erlebte unmittelbar aufgezeichnet hat, enthält weder verklärte Rückblicke noch düstere Prognosen. Auch das Vorbild eines Che Guevara, die Taten Fidel Castros, seine Reden geben uns darüber Aufschluß. Beiden Männern ist Panitz begegnet, auch Tamara Bunke, die später an Che Guevaras Seite in Bolivien fiel – ich kann ihren Einsatz als Dolmetscherin und Pfadfinderin bezeugen. Pfadfinderin? Keine bessere hätte Panitz an die Seite gestellt werden können als diese junge, in Argentinien geborene, nach Kuba eingewanderte Deutsche, die für Kuba lebte, für die Menschen dieser karibischen Insel, die das Joch der Yankees abgeschüttelt hatten und von denen Fidel Cas tro sagte, sie würden die Fähigkeiten in sich entdecken, jegliche Aufgabe zu übernehmen, die ihnen die Revolution stellen wird. In »Cuba, mi amor« bringt uns Panitz diese Menschen nah. W. K. Eberhard Panitz: »Cuba, mi amor. Die letzte Insel«, edition ost, 180 Seiten, 12,90 €
Wahnwitz im GanzenWie es sich in jenen Septembertagen des Jahres 1914 für eine Dame ihres Standes gehörte, machte sich auch die Großherzogin Hilda, Ehefrau Friedrichs II. von Baden, auf den Weg, um einige der tapferen Krieger, die sich schon in den mörderischen ersten Kriegswochen leicht blessiert in einem Heimatlazarett befanden (die schweren »Fälle« wurden den patriotischen Blicken empfindsamer Damen doch besser vorenthalten), durch ihren Besuch und einige Aufmerksamkeiten zu erfreuen und so dafür zu sorgen, daß sie bald wieder auf die Beine und vor den Feind kamen. »Wo sind Sie verwundet?« habe sie Mann für Mann auf ihrem Rundgange gefragt, und ein biederer Landwehrmann habe ihr wahrheitsgemäß geantwortet: »Am Aarsch, Königliche Hoheit«, worauf Hilda interessiert tiefer geforscht habe: »So? Wo ist denn das?« Karl Hampe, Professor für mittelalterliche und neuere Geschichte, der uns diese Episode in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen überliefert, bemerkt dazu, die damals fünfzigjährige Großherzogin sei ja etwas schwerfällig und habe in der präzisen Angabe wahrscheinlich einen Berg oder dergleichen vermutet. Freilich: Wer zu den ausführlichen, Tag für Tag angefertigten Notizen des Historikers in dem eben erschienenen Band greift, der mit einer hochinformativen, analytischen Einleitung und vorbildlichen Anmerkungen und Registern versehen ist, darf sich nicht auf Unterhaltsames einstellen. Er lernt einen Gelehrten kennen, der, so sehr er auf seinem Forschungsgebiet Scharfsinn längst bewiesen hat, von den Ereignissen wie benebelt ist, vom Morgen bis in den Abend nach Erfolgsnachrichten von den Fronten geradezu lechzt, auf die Einnahme von Frankreichs Hauptstadt spannt und nach Siegesmeldungen ein Fähnlein aus dem Dachfenster seines Hauses flattern läßt. Das lesend und dadurch Einblick nicht nur in die Familie des Gelehrten, sondern darüber hinaus in die Geschichte der Heidelberger Hochschullehrerschaft und die Atmosphäre der Universitätsstadt gewinnend, mag man noch heute, neunzig Jahre später, Bedrücktheit spüren. Und sich fragen, welche Zustände hergestellt werden müssen, um diese gespaltene Verfaßtheit – Klarblick im Einzelnen und Wahnwitz im Ganzen – hinter uns zu lassen. Kurt Pätzold Karl Hampe: »Kriegstagebuch 1914 – 1919«, hg. von Folker Reichert und Eike Wolgast, R. Oldenbourg Verlag München, 1020 Seiten, 118 €
Als Brandt in Jerusalem knieteVon diesem Buch hatte ich mir eine Menge versprochen. Der Klappentext rühmt den Autor Richard W. Sonnenfeldt: »Der Mann, der Göring verhörte. Ein 15jähriger Junge aus Gardelegen in der Nähe von Berlin flüchtet 1938 über England, Australien und Indien nach Amerika. Als Soldat kehrt er nach Deutschland zurück und wird Chefdolmetscher der Anklage bei den Nürnberger Prozessen.« Man wird aber schon skeptisch, wenn man liest, er habe 1937 die Sommerferien in Danzig verbracht, »der Stadt, die später mit Lech Walesa die Wiege der polnischen Freiheit wurde«. Was einem so alles einfällt – Walesa als Hebamme von Polens Freiheit? Oder was Richard W. Sonnenfeldt dachte, als die Amerikaner eine Atombombe auf Hiroshima geworfen hatten: »In diesem Moment verlor ich meine Angst, daß Deutschland jemals wieder eine Bedrohung für den Weltfrieden werden würde.« Vor der Atombombe hatte er keine Angst? Aber ich hatte das Buch ja nicht gekauft, um das Weltbild des Elektroingenieurs Sonnenfeldt kennenzulernen, sondern um Details über die Naziverbrecher zu erfahren, die er vernommen hatte. Was erfahre ich? Daß sich zwischen Göring und ihm, Sonnenfeldt, eine vertrauliche Atmosphäre entwickelte. Daß Göring nur ihn, Sonnenfeldt, als Dolmetscher akzeptierte. Daß Göring sämtliche Interviewtermine nur über ihn, Sonnenfeldt, vereinbarte. Daß Göring ihn, Sonnenfeldt, als seinen Protegé betrachtete. Daß Göring ihm, Sonnenfeldt, zuzwinkerte, wenn er seine amerikanischen Befrager an der Nase herumgeführt hatte. Über Ribbentrop erfährt man, er sei ein geschwätziger Champagnerverkäu-fer gewesen. Der Informationswert dieses Buches über die Nazi-Hauptkriegsverbrecher tendiert gegen Null. Das mag daran liegen, daß der Autor als 22jähriger wenig intellektuelle Ausbildung hatte und »eigentlich nur eine Art Roboter« war, der sich nur mit Mühe »an den Wortlaut einer Sitzung ... erinnern« konnte. Vieles fand er »wirklich langweilig«. Das hat aufs Buch abgefärbt. Und was hat er sonst so gemacht? War ein toller Hecht, Frauenheld, legt Wert auf die Bekanntschaft mit Prominenten, hat mal in der Nähe von Willy Brandt Urlaub gemacht. Sie wissen: »Das Bild von Willy Brandt, wie er ergriffen am Yad Vashem in Jerusalem kniet, bleibt jedem unvergeßlich, der es einmal gesehen hat.« Und ähnlicher Graus, der offenbar keinem Lektorat aufgefallen ist. Hatte sogar einige Kom-militonen, die »vor dem kalten Krieg prosowjetisch« waren. Dann kam zum Glück McCarthy, und so geht's weiter bis in die Zeit der Stalinisten, da trugen die Ostdeutschen »rote Hemden, weil die Sowjets regierten«. Zum Glück wurden sie schließlich befreit, da zogen sie »genau wie ihre Brüder im Westen weiße Hemden an, weil die Einheit ihnen neuen Wohlstand gebracht hatte«. Reicht's? Günther Schwarberg Richard W. Sonnenfeldt: »Mehr als ein Leben«, Scherz-Verlag, 288 Seiten, 19.90 €
Was ist typisch für Nazis?Echte gute alte Staatsbürgerkunde: Lehrer und Schüler respektive Autor und Leser befinden sich in der Mitte, wo es, wie man weiß, freiheitlich-demokra-tisch-verfassungskonform-gemütlich zugeht. Mit Schaudern wirft man Blicke nach rechts und links Da dräuen die Extremisten. Der Dozent ist ein strebsamer junger Mann, der sich eifrig bemüht, uns die Lektionen auch mit Grafiken und einigen Fotos einzuprägen. Unter einem Bild lesen wir: »Typischer Neonazi auf einer NPD-Demo: schwarze Kleidung, exakter Scheitel, diszipliniert und entschlossen.« Der gerade erst 26 Jahre alte Dozent, der an der Universität Rostock Philosophie und Altgriechisch studiert und deswegen in seiner »Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus« auch auf Platon und Aristoteles zurückzugreifen vermag, wird es sicher noch weit bringen. Er hat schon über Marxismus, Dritten Weg, Beschäftigungspolitik et cetera publiziert und gehört als Sozialdemokrat dem Landtag von Mecklenburg-Vorpommern an. Zufrieden mit sich erklärt er beredt, wie ordentlich in seiner Vorstellungswelt alles sortiert ist. Das Ordnungschaffen fällt ihm besonders leicht, weil er im Abstrakten bleibt, wo nichts Konkre tes stören kann. Bei der Darstellung dessen, was er »modernen Rechtsextremismus« nennt, interessiert ihn weder die soziale Herkunft derer, mit denen er sich befaßt, noch die Finanzierung ihrer Aktivitäten noch das Einwirken geheimdienstlicher V-Männer und V-Mann-Füh rer. Ihn interessiert vielmehr ihr Denken; er ist sicher, daß es so etwas gibt und daß es ernst genommen werden muß, jedenfalls möchte er den Theorien von links eine Theorie von rechts gegenüberstellen, und deswegen bemüht er sich, sie aus einzelnen Zitaten zusammenzubauen. Er erwähnt beispielsweise den Wohlstandschauvinismus (»Kindergeld nur an deutsche Familien«), erklärt allerdings nicht, was daran »modern« ist und wo die Grenze zwischen diesem »Extremismus« und dem Wohlstandschauvinismus der »Mitte« (z.B. in der Flüchtlingspolitik christ- und sozialdemokratischer Innenminister) verläuft. Der nette junge Mann gibt seinem Publikum auch Empfehlungen, wie es sich mit dem »modernen Rechtsextremismus« auseinandersetzen kann. Wenn etwa behauptet werde, andere Völker hätten »nichts hervorgebracht, was unseren Errungenschaften überlegen ist«, dann könnten wir solchen Menschen entgegenhalten: »... auch das Bier, das ja unter strammen Nationalisten regelmäßig konsumiert werden soll, kommt ursprünglich aus Ägypten.« Ja, so werden wir sie beschämen. Das Buch schließt mit der Überlegung, ob unser Verhältnis zu Tieren »völlig außerhalb der Rassenproblematik« bleiben dürfe. Wirklich lieb. E. S. Mathias Brodkorb: »Metamorphosen von rechts – Eine Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus«, Verlag Westfälisches Dampfboot, 166 Seiten, 14.90 €
SchandeHauptzweck der »Agenda 2010« ist Lohndumping. Dennoch haben fast alle Gewerkschaftsmitglieder im Bundestag dafür gestimmt. Das ist eine Schande für die Gewerkschaftsbewegung. Rainer Roth Unvermeidliche KontroversenEduard Bernstein und Karl Kautsky hatten eine intensive Korrespondenz. Zeitweilig schrieben sie einander mehr als fünfmal pro Monat. Der von Till Schelz-Brandenburg ausgezeichnet edierte Briefwechsel von 1895 bis 1905 umfaßt 309 Briefe, aus den letzten fünf Jahre allerdings nur noch vier. Sie dokumentieren ein packendes Gespräch zweier gleichwertiger Partner, dessen Faszination man sich schwer entziehen kann. Das Überraschende ist erst einmal die tiefe freundschaftliche Verbindung beider, ihre enge Zusammenarbeit als Redakteur der Neuen Zeit (Kautsky in Stuttgart, später in Berlin) und als ständiger Mitarbeiter (Bernstein in London). Diese Verbindung prägte die Neue Zeit als theoretisches Organ des Marxismus und machte beide nach Engels' Tod zu führenden Theoretikern der Partei. Das gemeinsame Vorgehen wurde bis in die Details abgesprochen. Die Anreden der Briefe sind ganz persönlich, Bernstein schrieb an den »liebsten Baron« und Kautsky an »My dear old boy«. Was aber war Ursache ihres Konflikts, des Revisionismusstreits? Bernstein veröffentlicht seit 1896 in der NZ in einer Reihe »Probleme des Sozialismus« nicht weniger als acht Artikel, in denen er immer neue Fragen aufwirft. Kautsky wird darüber zunehmend besorgt, auch aufgrund seiner Kontakte zur Parteiführung. Der Satz, daß das Ziel nichts, die Bewegung aber alles sei, habe »das Kopfschütteln mancher unserer Freunde erregt«, teilt er am 28.1.1898 mit. Bernstein bleibt unbeeindruckt: Er bedaure die schroffe Form nicht. »Sie hat die Blase zum Platzen gebracht«, antwortet er am 20.2.1898. Kautsky faßt später zusammen: »Du hast unsere Taktik über den Haufen geworfen, unsere Werthlehre, unsere Philosophie« (16.6.1898). Bernstein habe nur noch Interesse für Selbstkritik der Bewegung, fügt er hinzu (26.7.1998), zeige sich aber nicht mehr daran interessiert, die Gegner zu kritisieren. »Dadurch gewinnt aber die Selbstkritik einen zerstörenden Charakter, sie nimmt uns Waffen, die wir bisher gebraucht, ohne uns bessere zu geben.« Unter dem Druck Kautskys und vor allem des Parteiverlegers J. H. W. Dietz erklärt Bernstein am 30.4.1900 seinen Austritt aus dem Mitarbeiterstab der NZ . Der entscheidende Satz Kautskys war schon lange vorher gefallen: »Du bist ebenso Kirchenvater wie ich und genie-ßest das gleiche Ansehn« (30. 11. 1898). Solange Kautsky und Bernstein zusammenstanden, konnten sie gemeinsam Kirchenväter sein. Bei derart grundle genden Meinungsverschiedenheiten aber mußte einer von ihnen das Feld räumen. Die sozialdemokratische Partei brauchte nach dem Ende des sie zusammenschmiedenden Drucks des Sozialistengesetzes eine neue Verständigung über Grundaussagen, nicht zwei einander widersprechende »Chefideologen«. Schelz-Brandenburg stellt in seiner Einleitung Kautsky als den Parteiideologen dar, dem er mit Sympathie Bernstein als den Theoretiker gegenüberstellt. Dieses Bild wird durch den Briefwechsel nicht bestätigt. Da kämpfte nicht ein Theoretiker gegen einen Ideologen, sondern es war ein Kampf zwischen zwei Ideologen und Theoretikern. Auch heute braucht eine Partei, die den Kapitalismus ablehnt, eine marxistische Ideologie, die zugleich wissenschaftlich auf der Höhe der Zeit steht. Die Hauptvertreter einer solchen Ideologie waren Anfang des 20. Jahrhunderts Rosa Luxemburg und Wladimir Iljitsch Lenin. Luxemburg charakterisierte 1910 – lange vor Lenin – Kautskys zwei Gesichter: »himmelstürmende Theorie – und ›Ermattung‹ in der Praxis, revolutionärste Perspektiven in den Wolken – und Reichstagsmandate als einzige Perspektive in der Wirklichkeit«. Inzwischen hat sich die SPD längst von einer eigenständigen Ideologie verabschiedet. Die führenden Ideologen der PDS spielen eine ähnlich destruktive Rolle wie damals Bernstein. Auch in ihrer Selbstkritik ist wie bei ihrem Vorgänger vieles von zerstörerischem Charakter, »sie nimmt uns Waffen, die wir bisher gebraucht, ohne uns bessere zu geben«. Solange die kapitalistische Gesellschaft besteht, werden ihre Verfechter den ideologischen Kampf gegen frühere und gegenwärtige Sozialisten führen, um jeden Gedanken an eine Alternative zu ersticken. So lange bleiben Ideologen, die einen Sozialismus für notwendig und möglich – nicht für sicher – halten, erforderlich, alte und, wie zu wünschen, auch immer mehr junge. Die Linke wird einen langen Atem haben müssen. Uwe-Jens Heuer
»Eduard Bernsteins Briefwechsel mit Karl Kautsky (1995-1905)«, hg. von Till Schelz-Brandenburg, Frankfurt a.M. und New York, 1160 Seiten, 129 €
Fürs ersteDem Kapital reicht die »Agenda 2010« nicht. Hans-Werner Sinn (IFO-Institut) fordert die Senkung aller Bruttolöhne um zehn bis fünfzehn Prozent. Fürs erste. Das wollte die Deutsche Bank auch schon mal, nämlich 1929. Die Abschaffung der Tarifverträge und das Ende der Gewerkschaften folgten 1933. Rainer Roth
Das alte Kerneuropa-KonzeptJürgen Habermas und Jacques Derrida haben im vergangenen Jahr gefordert, EU-Europa müsse »sein Gewicht auf internationaler Ebene und im Rahmen der UN in die Waagschale werfen, um den begonnenen hegemonialen Unilateralismus der USA auszubalancieren«. Zuvor schon hatte Außenminister Fischer davon gesprochen, daß sich Deutschland und Frankreich dabei als »Avantgarde« und »Gravitationszentrum« verstehen müßten. Im Konflikt um die europäische Verfassung wurde deutlich, daß die kleineren europäischen Staaten sich nicht von der BRD und Frankreich dominieren lassen wollen. Kerneuropa im globalen Wettbewerb mit den USA? Zur Diskussion liegen hier drei knappgefaßte Beiträge vor, materialreich und nicht ohne Widersprüche: 100 Jahre Weltmachtstreben – deutsche Mitteleuropakonzeptionen vom Kaiserreich bis Joseph Fischer (Frank Pieper), die EU auf dem Weg zur Supermacht (Christiane Schneider), Peripherisierung und avantgardistische Finalität der Berliner Europa-Politik und die EU-Osterweiterung (Holger Kuhr). Als gemeinsame Linie zeigen sie, daß in der deutschen Außenpolitik seit jeher unterschiedliche Akteure und geistige Wegbereiter primär auf Kerneuropa gesetzt haben, quasi als Standbein, ohne auf eigene Hochrüstung und militärische Macht als Spielbein zu verzichten. Die Sozialdemokraten Gerhard Schröder und Helmut Schmidt, der Grüne Fischer, der Neogaullist Chirac, der Kaiser-Kanzler Bethmann-Hollweg, der Paneuropäer Coudenhove-Calergi, zahlreiche NS-Ökonomen, die CDU-Politiker Adenauer, Erhard, Lammers und Schäuble, die Liberalen Naumann, Rathenau, Kinkel und Genscher, Siemens-Chef Kaske und Daimler-Chef Reuter stehen da in einer Reihe. Erstaunlich, daß ausgerechnet Franz-Josef Strauß, mit seinem Buch »Entwurf für Europa« vehementester Vertreter des Mitteleuropa-Konzepts in der Nachkriegszeit, übersehen wurde. Fischer und Strauß konzeptionell Arm in Arm, das hat seinen Reiz. Und ein Hinweis auf den österreichischen Weg in die Neutralität als Alternativkonzeption in den 50er Jahren hätte sicher die Argumentation verstärkt. Die Stationen der EU-Militarisierung bis hin zum aktuellen EU-Verfassungs-entwurf werden nachgezeichnet, wobei auch die Bedeutung der EU-Interventionstruppe klar wird. Hier hätte allerdings genauer analysiert werden sollen, wie die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien die Option des Menschenrechtsinterventionismus verankert hat. Lohnend der Hinweis auf den Zusammenhang zwischen Militarisierung der Außenpolitik und Militarisierung der Polizei – ein anderswo kaum beachteter Aspekt. Die EU-Osterweiterung wird in bezug auf die Westbindung, die deutsche geographische Mittellage und »das völkische Prinzip« behandelt. Auch wenn man nicht allen hier verwendeten Definitionen von Volk, völkisch und Nation folgt, ist der Nachweis wichtig, daß dieses deutsche Spezifikum gerade mit der EU-Osterweiterung und den zahlreichen ungelösten Nationalitätenproblemen einen Exportboom erfährt. Hilfreich die kurze Darstellung der ökonomischen Beziehungen zwischen der BRD und Osteuropa. So ist ein kleines Buch entstanden, das allen nützlich sein kann, die in der aktuellen Debatte um EU-Osterweite-rung, EU-Verfassung und Europas Rolle in der Weltpolitik mitreden wollen – ob in politischen Bildungsveranstaltungen oder in Diskussionen der Friedensbewegung oder in gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen (etwa wenn es um »Standort-Fragen« geht) oder in der Vorbereitung auf die diesjährige Europawahl. Eine Fundgrube an Informationen und Argumenten. Horst Bethge Frank Pieper, Holger Kuhr, Christiane Schneider: »Die EU, ›Kerneuropa‹ und Osterweiterung – Geschichte, Entwicklung und Perspektive eines imperialistischen Blocks unter deutsch-französi-scher Hegemonie«, GNN-Verlag Hamburg, 112 Seiten, 5.- €
GliwiceManche Bücher wirken unspektakulär, ihre Bedeutung erweist sich auf den zweiten Blick. In diese Kategorie gehört Wolfgang Bittners neues Buch. Unaufdringlich wird hier das Schicksal einer vertriebenen Familie erzählt. Als Bittner vier Jahre alt war, mußte er mit seinen Angehörigen Gleiwitz verlassen. Er erlebte Morde, Plünderungen, Vergewaltigungen, die erbärmlichen Bedingungen der Flucht auf dem Dach von Eisenbahnwaggons. Bei einem Versuch, seinem Großvater die goldene Uhr zu stehlen, erlitt der alte Mann schwere Stichverletzungen; der andere Großvater blieb in Gleiwitz und galt seitdem als verschollen. Übel gestaltete sich die Aufnahme der Flüchtlinge: Als »Habenichtse« fanden sie sich verachtet. All das sind Erlebnisse, die ein Kleinkind traumatisiert haben müssen. Neu oder sensationell ist nicht, was hier berichtet wird; bemerkenswert ist aber die Haltung, mit der Wolfgang Bittner erzählt: frei von Ressentiments oder revanchistischen Anwandlungen, frei von dem Unterton, der über Jahrzehnte aus dem Chor der Vertriebenenverbände eine Verständigung mit den östlichen Nachbarn verhindert und den »Eisernen Vorhang« zementiert hat. Heute sind Berichte wie dieser wieder wichtig, weil das Treiben junger Rechtsradikaler beweist: »Der Schoß ist fruchtbar noch«, immer noch. Solche Bücher können unaufgeregte Erinnerungsarbeit leisten; zweisprachig übrigens, Übersetzung inklusive. Den literarischen Reiz macht aus, daß Bittner die Problematik aus verschiedenen Perspektiven ausleuchtet: Wiederentdeckung als Tourist, Gespräche mit den jetzigen Bewohnern, erinnernde Rekonstruktion. Eingeflochten sind Erzählungen, die den Leser nachdenklich zurücklassen, weil sie mit den Erinnerungen korrespondieren, die Fakten ergänzen und abrunden. Andreas Rumler
Wolfgang Bittner: »Gleiwitz heißt heute Gliwice, Gliwice zwano kiedy´s Gleiwitz. Eine deutsch-polnische Geschichte«, Athena Verlag, Oberhausen, 170 Seiten, 12,90 €
Theatererinnerungen»Niemand kann bestreiten, daß das Gedächtnis am tiefsten die Eindrücke bewahrt, die unsere Jugend empfangen und geprägt hat... Die ersten Begegnungen mit bedeutenden Künstlern auf der Szene bleiben im Gedächtnis tief eingeschnitten und eingehöhlt.« Dieses Zitat des Dresdner Schauspieldirektors Georg Kiesau von 1931 stellt Hansjörg Schneider seinem Buch »Dresdner Theater 1933 – 1945« voran und trifft damit genau die Empfindungen, mit denen ich seine bewundernswerte Fleißarbeit gelesen habe. Empfing ich doch gerade in einem Teil jener Jahre im damals noch unzerstörten »Elbflorenz« meine ersten Theatereindrücke, die mich dann empfänglich machten für unvergeßliche Aufführungen im Nachkriegsberlin: die Premieren von Brechts »Mutter Courage« mit Helene Weigel und Sartres »Die Fliegen« mit Joana Maria Gorvin unter der Regie von Jürgen Fehling, erste Begegnungen mit den Heimkehrern aus aufgezwungenem Exil Fritz Kortner und Ernst Deutsch, die in den Anfängen ihrer Schauspielerkarriere auch einmal in Dresden auf der Bühne des Albert-Theaters gestanden hatten. Das Buch des Theaterwissenschaftlers Schneider ist voller Namen, die mir noch vertraut sind aus meinen frühen Besuchen im Dresdner Schauspielhaus an der Ostra-Allee. Sie begannen mit Weihnachtsmärchen, die damals genauso mit Darstellern der ersten Garnitur besetzt waren wie später die DEFA-Kinderfilme. Noch heute sehe und höre ich vor mir Werner Hessenland als intriganten Schleicher Franz Moor in Schillers »Räubern« und habe das unverwechselbare Organ Erich Pontos im Ohr, der im Berlin der zwanziger Jahre bei der »Dreigroschenoper« dabei war, später in der »Feuerzangenbowle« ein Millionenpublikum im Kino fand und 1945/46 als einer, der die brauen Jahre integer und politisch unbescholten überstanden hatte, Generalintendant der Dresdner Bühnen wurde. Anderes, wie das Historiendrama »Maximilian von Mexiko« des »HJ-Dramatikers« Fritz Helke, wurde mir erst durch Schneiders Buch wieder in Erinnerung gerufen. Zugeständnisse an den Zeit(un)geist registriert der Autor ebenso wie Beispiele, wo man sich ihm entzog. Genau recherchiert hat er auch die »Säuberungswelle« 1933, bei der die Vertreibung des »arischen« Generalmusikdirektors Fritz Busch bis außerhalb Sachsens hohe Wellen schlug. Trotz aller Gleichschaltungsversuche hielten Oper und Schauspiel aber auch danach noch ein hohes Niveau, dank ihrer künstlerischen Kräfte, denen im letzten Teil des Buches noch zahlreiche Schauspielerporträts gewidmet sind. Bei der Uraufführung »Die schweigsame Frau« von Richard Strauß – der wie auch Gerhard Hauptmann Dresden besonders verbunden war – wurde 1935 noch Stefan Zweig als Librettist genannt. 1936 hob im Dresdner Anzeiger eine Kritik (erst Ende des Jahres verordnete Goebbels nur noch »Kunstbetrachtungen«) des später unerwünschten »Don Carlos« für jeden, der zwischen den Zeilen zu lesen verstand, unverkennbare Analogien der Inszenierung zur NS-Diktatur hervor. Mit der von Goebbels zum 1. September 1944 verfügten Schließung aller Theater endete auch in Dresden eine Bühnen-Ära. Ein halbes Jahr später sanken die Stätten mancher Triumphe in Schutt und Asche. Heinz Kersten
Hansjörg Schneider: »Dresdner Theater 1933 – 1945«, Henschel Verlag, Berlin, 256 Seiten, 19,90 €
Scheiben vom Berliner BrotJede zweite Ausgabe der im Lesesaal dank ihres persilweißen Einbandes quasi aus sich heraus leuchtenden Zeitschrift Merkur erwarte ich mit besonderer Vorfreude. Denn alle zwei Monate muß die Lektüre des Periodikums unbedingt mit dem letzten Beitrag begonnen werden. Der ist schlicht mit »Chronik« überschrieben, stammt von Iris Hanika und bündelt alltägliche Impressionen in einer unspektakulären und – gerade deshalb – aufregenden Prosa. Diese lakonischen Skizzen stehen in einem spannungsreichen Gegensatz zu den gelehrten Aufsätzen der »deutschen Zeitschrift für europäisches Denken«, in der sich intellektuelle Prominenz schreibselig tummelt. Vergleichbar der Spannung, die mich erfüllt, wenn auf dem Merkur -Titelblatt eine Fortsetzung der »Chronik« von Iris Hanika angezeigt ist, reagierte ich auf die Ankündigung ihres Buches »Das Loch im Brot« im Katalog von Suhrkamp. Mir war sogleich klar, daß diese Neuerscheinung unmöglich als Rezensionsexemplar beim Verlag geordert, sondern in der Buchhandlung des Vertrauens erworben werden wollte. Das war mein Beitrag zur, sagen wir, stillen Fankultur. Und noch etwas Ungewöhnliches ging der Lektüre des Buches voraus: Bei Betrachtung des Fotos der Autorin konnte ich zum ersten Mal feststellen, daß ich mir einen Menschen von seiner Physiognomie her genau so vorgestellt hatte, wie er mir dann im Bild begegnete. Auch der Band »Das Loch im Brot« ist mit »Chronik« untertitelt. Im Gegensatz zur Rubrik im Merkur sind die Aufzeichnungen Hanikas mit Tagebuch-Ge-nauigkeit bezeichnet. Jeder Absatz trägt ein konkretes Datum oder mehrere Daten, wenn an ihm wiederholt gearbeitet wurde. Aber die Autorin hält sich nicht sklavisch an die eigene Vorgabe: Die Auskünfte reihen sich nicht kontinuierlich, sondern springen lustig durch die Jahre. Sie sucht nicht ihre Schreibanlässe, sondern – Glückes Geschick – die Anregungen finden stets die Autorin. Günstig dafür ist ein Platz im, noch besser: vor einem Café. Das ist einer der Orte, wo die 1962 in Würzburg geborene und im »Zonenrandgebiet« aufgewachsene, seit 1979 in (West-)Berlin lebende Iris Hanika das hauptstädtische Leben nach Bewahrenswertem und Allzumenschlichem abschöpft wie der Bartenwal das Ozeanwasser nach Plankton. Am Ende solcher Streifzüge stehen Hanikas lesens- und liebenswerte Chroniken, ohne die der Merkur mich nicht mehr seinem Erscheinungsdatum entgegenfiebern lassen würde. Zwischen den mit Humor, Ironie und Wehmut gefärbten Bruchstücken, die sich zu einem Berliner Kaleidoskop verbinden, finden sich auch Abschnitte, die spezielle Themen verhandeln. Über Aldi und Sex, einsame Frauen und Gespräche während des Verliebtseins wird ebenso reflektiert wie über Aufenthalte in Paris, Wien und Chicago. Das Loch im Brot mag, wie im Eingangstext »Normal sein« zu lesen steht, jene »leere Stelle« sein, an der man »durchs Brot hindurchschauen kann, um auf der anderen Seite dasselbe Nichts zu sehen, vor dem man auf dieser die Augen verschlossen halten möchte«, der Blick durch beziehungsweise in dieses Buch hingegen öffnet dem Leser die Augen. Man wird fortan jenes Faszinosum intensiver auf sich wirken lassen, das mehr oder minder abschätzig Alltag heißt. Kurzum: Heimlich, still und leise hat Iris Hanika eines der charmantesten Bücher des Jahres vorgelegt. Es sei allen Ossietzky- Lesern wärmstens aufs Brot, pardon, ans Herz gelegt. Kai Agthe Iris Hanika: »Das Loch im Brot«, Suhrkamp Verlag, 171 Seiten, 8,50 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Edith Piaf auf deutschVoilà – hier ist und so heißt die neue CD von Ina Deter. Sie singt Chansons der Piaf auf deutsch. Vor ihr hat sich das keine getraut. Ich würde gern uneingeschränkt loben. Ich kann es aber aus drei Gründen nicht. Erstens: Die Piaf-Lieder erzählen Geschichten und stellen Menschen vor, genau beobachtet, genau ausgedrückt. Die von Dichtern gearbeiteten Texte stehen für sich, auch ohne Musik. Die Übersetzungen werden dem Anspruch der Vorlagen oft nicht gerecht; sie bleiben im Poetischen blaß, vor allem wenn sprachlich ungenau gearbeitet wurde. Oft wackeln die Bilder wegen der Zugeständnisse an leichte Singbarkeit. Zweitens: Viele SängerInnen machen leider einen Bogen um Konsonanten, so daß der Text schwer zu verstehen ist. Lieber hangelt Ina Deter sich von Vokal zu Vokal, weil es so schön klingt, außerdem übernimmt sie Maniriertheiten aus der Popmusik: Kiekser, Jauchzer und Anschleifen von Tönen. Dabei hätte sie nur bei der Piaf kupfern müssen, die spuckte die Konsonanten, daß es nur so seine Art hatte. Drittens: Die Compagnons, ständige Begleitband, spielen die Kompositionen in wunderbar frischen, durchsichtigen Arrangements, allesamt ausgezeichnete Instrumentalisten. Erklärte Absicht war, die Sentimentalität, die bei der Piaf in den Arrangements steckt, dem heutigen Geschmack entsprechend nicht zuzulassen. Das ist im großen und ganzen gelungen – Streicherteppiche wurden ausgeklopft –, klingt jedoch eben aus diesem Grund manchmal, als dirigierte Max Pommer: zu plautzig, zu laut. Nebenbei: In den »Liebenden für einen Tag« gibt es am Schluß etwas, was ein Berliner Sender als zu erratendes Geräusch senden könnte. Das ließ mir keine Ruhe, ich legte eine Aufnahme mit der Piaf auf Vinyl auf und erhörte sofort, wie ein Glas zu Bruch ging. Trotz mangelhafter Ausführung – es ist Ina Deter gelungen, die Lieder der Piaf zu ihren eigenen zu machen. Vielleicht hätte sie nur respektloser und leichtfüßiger mit dem Vorbild umgehen sollen. Nach Ausflügen in die Rockmusik scheint sie dort angekommen, woher sie einst kam – beim Lied. Voilà. Thomas Bruhn
»Voilà«, erschienen bei Chroma Music, ca. 17 Euro
Press-KohlMein Freund Benny aus dem hoch gelegenen Schönhausen hat am 24. März 04 Neues Deutschland gelesen und weiß aus dieser Zeitung: »Schätzungen von Hilfsorganisationen zufolge sind heute nur noch knapp 100 000 der am schnellsten wachsenden Bevölkerung Europas keine Kosovo-Albaner , sondern Roma, Ägypter, Bosnier, Türken, Gorani oder eben Serben.« Nun wissen zwar weder Benny noch ich, wo die ominösen Gorani leben oder gelebt haben, falls sie überhaupt jemals existierten, aber unter Roma oder eben Serben können wir uns etwas vorstellen, so daß die Schätzungen von Hilfsorganisationen über die am schnellsten wachsende Bevölkerung Europas nicht ganz umsonst waren. Ein Hauptvertreter der am schnellsten wachsenden Bevölkerung Europas ist übrigens unser Neffe Rudolf, dem keine Jacke mehr paßt, wenn wir sie ihm schenken, nachdem wir uns vierzehn Tage vorher seine Maße notiert hatten. * Nebenbei bemerkt ist dieser Neffe Rudolf ein zurückhaltender, angenehmer Mensch. Etwa so einer wie der Schauspieler Johannes Brandrup. Den ehrte das feinsinnige rtv-Fernsehmagazin (11/04) mit der fett gedruckten Überschrift: »Scheuer Sympath.«. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 8/2004 |
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