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Der Vers wird kunstvoll behandelt. Von Angela Winklers Worten verstehe ich wenig. Aber diese Zwei spielen so intensiv-innig ihre Mutter-Sohn-Beziehung, daß ich die Szene trotzdem genießen kann. Eine schöne, reiche Märchenwelt öffnet sich, das Reich der Trolle. Noch zwei Szenen nehmen mich gefangen: mit Solveig (Anett Renneberg) und die Sterbeszene der Mutter. Naiv, märchenhaft, lauter; hier sind die Darsteller ganz dicht an der Geschichte. Danach Massenaufläufe, Geschiebe, Gedränge, Drollerie und Trollala, Irre, Hexen, Schweine, Pferde, Affen, Löwen, Araber, Matrosen, Sennerinnen, Sphinxe, Fiedler, Volk. Entfesselte Phantasie. Da sollte die Regie Prospekte und Maschinen nicht schonen. Doch vor schön gemalten Hintergründen, auf denen Schiffe unter-, Monde aufgehen, versandet die Geschichte. Im hellerleuchteten Saal kommt kein Licht in die Sache. Worum geht es: Ein armer Schlucker, Peer Gynt, ausgestattet mit überbordender Vorstellungskraft, will reich werden, Kaiser sein! Solveig liebt ihn. Er verläßt sie, geht in die Welt, wird (beinahe) König der Trolle, reich in Marokko, Prophet bei den Arabern, Kaiser eines Tollhauses, ist ein Leben lang unterwegs, seine Träume wahr werden zu lassen. Als er meint, alles gewonnen zu haben, verliert er alles. Peer hat nicht begriffen: Der Mensch muß zu sich selbst finden. Glaube, Liebe, Hoffnung sind es, die ihn leiten könnten, hin zu sich. So sagt es der Dichter mit schier endlosen Wortkaskaden und mannigfachen Situationen, die dem Helden zur Erkenntnis verhelfen sollen. Doch Gynt findet nie zu sich, scheitert an seinen Halbheiten. Solveig, Inbegriff des Ewig-Weiblichen und Mütterlichen, rettet ihn. Indem er zu ihr findet, findet er zu sich. Die furiose Dichter-Geschichte wird, bis auf wenige zitierte Ausnahmen, unentschieden erzählt. Halbherzig. Kraftlos. Uwe Bohm fehlt es an Vielschichtigkeit. Er überzeugt als tolldreister Lügner, als liebender Sohn. Die vielfältigen Zerreißproben, Altersstufen und Abgründe im Leben Peer Gynts bleibt er schuldig, auf diese Wege nimmt uns seine Einbildungskraft nicht mit. Gleichwohl: Das Premierenpublikum jubelt, das Ensemble ist glücklich. * Im Deutschen Theater Berlin wird »Wolken ziehen vorüber« nach dem gleichnamigen Film von Aki Kaurismäki uraufgeführt. Der Titel ist poetische Metapher auf das Schicksal eines Ehepaares, das die Arbeit verliert, aber einen Weg aus der Notlage findet. Dieser Film war Kaurismäkis Solidar-Beitrag zur wachsenden Arbeitslosigkeit in Finnland nach dem Zusammenbruch des Ostblocks. Regisseur Stephan Kimmig und Dramaturg Roland Koberg adaptierten das Drehbuch fürs Theater, weil es »gegenwärtig an aktueller Bühnenliteratur zum Thema Arbeitslosigkeit« mangele, wie ich in einem Radiobeitrag höre. Ich bin gespannt. Das Bühnenbild (Claudia Rohner) für das kleine Stück – Restaurant, Neubauwohnung, Straße – wird aufwendig auf die große Bühne gehievt. Damit beginnt gleich die Verzerrung des Themas. Verschwendung – als wüßte man nichts von der vielzitierten Geldnot der Theater. Die Geschichte: Ehepaar, mittlere Altersgruppe. Er fährt Straßenbahn, sie oberkellnert. Ein Leben auf Ratenzahlung, Alltags-Tristesse. Beide trifft Arbeitslosigkeit. Möbel, Fernseher werden abgeholt, das Auto verkauft. Endzeitstimmung. Eine Idee reift: gemeinsam mit Kollegen das alte Restaurant renovieren und wieder aufmachen. Die ehemalige Chefin gibt das Geld. Gesagt – getan. Das Speiselokal »Arbeit« wird eröffnet. Dreißig Ringer vom Helsinki-Club sagen sich zum Essen an. Auf geht's. Solidarität der kleinen Leute löst alle Probleme. Wolken ziehen vorüber. Auch im Kapitalismus. Ein Märchen. Offenbar. Regisseur Kimmig läßt die Schauspieler marionettenhaft agieren und über Mikroports sprechen. Man versteht sie, doch die Technik beschädigt den Ausdruck der Stimmen. Die dargestellten Menschen gleichen virtuellen Wesen, seelenlos, blutleer. Ich kann mich nicht mit ihnen solidarisieren, sie gehen mich nichts an. Damit wird die Absicht des Autors ins Aus geschickt. Stilistische Ansätze, der Geschichte Form zu geben, fehlen nicht, doch es kommt nichts zusammen. Die Humorlage stimmt nicht, Tragik berührt nicht, Einfälle sind aufgepappt, nicht aus der Situation entstanden. Die Darsteller sind deutlich unterfordert. Gesellschaftliche Zusammenhänge werden nicht hergestellt, der politische Kommentar der Regie zum brisanten Thema Arbeitslosigkeit bleibt aus, die Geschichte zerbröselt. Es herrscht gähnende Langeweile. Entleertes Leben. Mein Mitgefühl gilt den Darstellern: Katharina Schmalenberg, Ingo Hülsmann, Christine Schorn, Horst Lebinsky, Michael Gerber. In einer Publikation, verfaßt von Karl Strecker, Titel: »Der Niedergang des Berliner Theaters«, las ich: »Es soll nicht verschwiegen werden, daß die Hofbühne sich noch ihrer guten Darsteller erfreuen kann, leider werden sie nicht immer gut geleitet ... Wie denn überhaupt der Niedergang Berlins als Theaterstadt schon längst zu einer Krisis geführt haben würde, wenn nicht so viele befähigte Künstler ... den im Sumpf steckenden Thespiskarren immer wieder in Gang brächten.« Geschrieben 1911. Das läßt hoffen.
Erschienen in Ossietzky 8/2004 |
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