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Februar eingegangen, in dem es heißt: »Die Kustodie der Universität Leipzig plant eine Ausstellung zu den Leipziger Jahren Ernst Blochs, die vom 13. Mai bis 17. Juli 2004 im Ausstellungszentrum Kroch-Haus gezeigt werden soll. Thematisiert werden die Berufung Blochs nach Leipzig, seine Philosophie im Kontext der geistigen Strömungen der 50er Jahre, die Situation der Universität in dieser Zeit und sein Weggang aus Leipzig. Das Projekt wird von einem interdisziplinären Gremium von Wissenschaftlern, bestehend aus Vertretern der Universität Leipzig aus den Fachbereichen Philosophie und Geschichte, des Zentrums für Höhere Studien, dem Leiter des Universitätsarchivs und dem Direktor der Universitätsbibliothek in Zusammenarbeit mit dem Bloch-Zentrum in Ludwigshafen bearbeitet und von mir, als Kustos der Kunstsammlung, geleitet. – Durch unsere bisherige Recherche sind wir auf Sie aufmerksam geworden und möchten die Anfrage an Sie richten, ob Sie zu einem Interview bereit wären. Ferner suchen wir für unser Vorhaben Ausstellungsexponate, vor allem Fotos aus der Zeit oder auch andere Objekte. – Wir hoffen, dass Sie unser Projekt unterstützen werden. Mit freundlichen Grüßen« (Unterschrift). Am 10. Februar antworteten wir: » ... auf Ihre Anfrage vom 5. 2. teilen wir Ihnen mit, daß wir zum Thema Ernst Bloch zwei Bücher herausbringen werden. Das erste zur diesjährigen Buchmesse im Herbst in Frankfurt/Main. Zu Ihrer Information folgen auf diesen Brief einige Seiten, aus denen Sie Näheres erfahren.« In einem zweiten Schreiben vom 29. Februar boten wir an: » ... nachdem wir auch von anderer Seite auf Ihre geplante Bloch-Ausstellung verwiesen wurden, möchten wir unserer Antwort vom 10. 2. einige Informationen hinzufügen. Es gibt hier im Hause Fotos aus der Leipziger Zeit, Briefe von Bloch an Zwerenz, Bücher des Philosophen mit handschriftlichen Widmungen sowie hunderte Seiten auf ihn bezogener Materialien. Gerhard Zwerenz berichtete in Zeitungen, Zeitschriften und Radiosendungen über Bloch in Leipzig. An Büchern sind zu nennen ›Kopf und Bauch‹, S. Fischer Verlag 1971, ›Der Widerspruch‹, S. Fischer Verlag 1974 (die Aufbau-Verlag-Taschenbuchausgabe von 1991 enthält keine Fotos und Dokumente). Vorhanden ist außerdem die Broschur ›Ernst Bloch in Leipzig‹ der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen von 2002, sie enthält den Essay ›Kirche gesprengt – Hörsaal 40 verschwunden‹ . Auf Anregung Blochs schrieb Gerhard Zwerenz 1954 eine Rezension über die Deutsche Zeitschrift für Philosophie und einige Arbeiten von Ernst Bloch. Diese Rezension erschien in Die Weltbühne ( 24. 2. 1954) , exakt vor 50 Jahren. Falls Sie also an den hier genannten Materialien interessiert sind, lassen Sie von sich hören.« Da auf unsere freundliche Bereitschaft keinerlei Reaktion erfolgte, erlauben wir uns, die Buchmessen-Nachfrage des Archivars Prof. W. der Leipziger Universität als indirekte Antwort zu werten. Schuldbewußt studiere ich mit erhöhter Aufmerksamkeit hundert Meter meiner Geheim-Unterlagen und erfahre gravierende Neuigkeiten. Zum Beispiel das Ding mit der Leipziger Kreisleitung. Laut Protokoll vom 30. 10. 1956 war sie unter Prof. Alfred Kurella zusammengetreten zwecks »Aussprache über Gerhard Zwerenz«. Resultat: »Zwerenz ist absolut harmlos«, andererseits »stilistisch nicht ungeschult mit negativen Tendenzen«, weshalb er »1 Jahr in die Produktion« zu schicken sei, jedoch »ohne zum Märtyrer der freien Meinungsäußerung zu werden«. Gegen die streng monierte Geringschätzung des sächsischen Dialekts durch Zwerenz wagt eine tüchtige Frau von Koerber einzuwenden, sie lebe seit 40 Jahren in Leipzig, ohne Leipzigerin zu werden, weil sie Sächsisch nicht ausstehen könne. Ärgerlich merkt der Volkskammer-Präsident Dieckmann an, er verstehe wegen der Veröffentlichung des Zwerenz-Artikels »Leipziger Allerlei« in der Wochenzeitung Sonntag die DDR-Kulturpolitik nicht mehr. Soviel zur »erweiterten Kreisleitungssitzung« vom 30. 10. 1956 – es war die Kreisleitung des Kulturbundes. Im übrigen ist Zwerenz wie Loest ein »feindlicher Charakter«, der »öfter nach Berlin fährt«, morgens seine »Brötchen beim Bäcker über der Straße holt« und »mit einer gewissen Ingrid Hoffmann verlobt ist, die im selben Haus wohnt« und »durch Referat 1 aufgeklärt« werden soll oder »an die bei moralischen Schwächen ein geeigneter GI auf der Linie Universität anzusetzen« sei. Zusammenfassend heißt es: Zwerenz ist wie Loest »kein Schriftsteller, sondern eine Mißgeburt«, ruft »feindliche Diskussionen« hervor, teilt »die revisionistischen Anschauungen aus Ungarn und Polen« und unterstützt »die Gruppe Harich«, weshalb gilt: » ... gegen Leute, die ... bei uns konterrevolutionäre Tätigkeit entfalten, gibt es nur eine Schlußfolgerung: Sie müssen eingesperrt werden ...« Natürlich ist das alles nur Tarnung zur Bildung einer Legende. Denn am 8. 12. 1956 soll Zwerenz vom MfS als Agent für den Westen angeworben werden und schlägt sogar noch Loest dafür vor, wie ein Ob.Ltn. Simon protokolliert. Allerdings teilt Zwerenz diesem Loest den Anwerbungsversuch sogleich mit und spricht am nächsten Tag lauthals öffentlich darüber in einer Sitzung des Schriftstellerverbandes, was die anwesenden Dichter-Agenten dem Bezirks-Chef des Schwertes der Partei sofort flüstern, der den GZ am nächsten Morgen in seine Dienststelle holen läßt und das veranstaltet, was bei Genossen und Kameraden »zusammenscheißen« heißt. Zwerenz ist damit als Agent »verbrannt«, also wertlos. Doch auch dieser Umweg zählt zur geheimen Legendenbildung, denn offenbar dienen die allerschmutzigsten Tricks nur dazu, Zwerenz zum allergeheimsten Geheim- und Doppelagenten aufzubauen. Was nun die vom Archiv-Professor W. erwähnte Leipziger Kreisleitung betrifft, genügt die des Kulturbundes augenscheinlich nicht. Meine Lektüre eines weiteren Zentners Akten ergibt, daß sowohl jener Loest wie ich als »KP für die Kreisdienststelle Leipzig geführt« worden sind. KP heißt Kontaktperson. (Akte Lpz. – AOP 90/58 und BSTU 000029 und 000119). Das steht so verzeichnet und hat also Beweiskraft. Irgendwelche eifrigen Kerlchen schrieben eben irgendwas nieder. Ich räume ein, wir wurden MfS-Agenten. Nur wollte der sächsische Patriot Loest nicht im kapitalistischen Ausland verkommen und ging freiwillig für sieben Jahre ins Zuchthaus Bautzen, während ich tapfer den westlichen Sumpf wählte, wo ich ja dann vom Lemmer-Ministerium bis zum SPD-Ostbüro, von der Frankfurter Rundschau bis hin zu Spiegel und stern meinem sozialistischen Vaterland als Doppelagent treue Dienste leistete. Aus Tarnungsgründen wurde ich auch aus der Partei ausgeschlossen und mit Haftbefehl gesucht. Was aber unseren Prof. Ernst Bloch angeht und wie er es fertigbrachte, in der DDR unverfolgt zu bleiben, das verrate ich euch, liebe Leser, beim nächsten Mal. Wir wollen doch ruhig abwarten, was der tüchtige Leipziger Universitäts-Archivar W. über unser aller geheimdienstliche Umtriebe weiter herausfindet. Fortsetzung folgt
Erschienen in Ossietzky 8/2004 |
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