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Dabei betonte sie die »bedeutenden Fortschritte, die der Verfassungsentwurf zur klareren Abgrenzung der Zuständigkeiten, zur Vereinfachung der Entscheidungsverfahren sowie zur Erhöhung von demokratischer Legitimation, Transparenz und Effizienz der Institutionen erzielen konnte« (Drucksache 16/150). Wir haben davon auszugehen, daß die Abgeordneten wußten, worüber sie entschieden. Aber es bestehen Zweifel, ob sie es genau wußten. Denn das Interesse für die EU-Verfassung und die Diskussion über sie haben sich in der deutschen Öffentlichkeit erst in dem Augenblick eingestellt, als sie am Widerstand Polens und Spaniens fürs erste scheiterte. Seitdem beschränkt sich die Debatte im parlamentarischen Rahmen auf die Revision des Stimmenverhältnisses im Europäischen Rat, wovon jede weitere inhaltliche Analyse und Kritik überdeckt wird. Verfassungsfragen sind Machtfragen. Und so ist die im Verfassungsentwurf geplante Erhöhung des deutschen Stimmanteils von 8,4 Prozent auf 17 Prozent und des französischen, britischen und italienischen auf je 12 Prozent (während sich Spanien und Polen mit der minimalen Anhebung von 7,8 auf 8 Prozent zufriedengeben sollen) mehr als nur eine »demographische Angleichung«. Sie beseitigt die Sperrminorität der mittelgroßen Staaten im erweiterten Europa und bewirkt einen bedeutenden Machtzuwachs der großen Staaten, zumal seltener im Konsens, häufiger per Mehrheit entschieden werden soll. Doch der Widerstand Spaniens und Polens scheint gebrochen. Eine grundsätzliche Kritik plagt sich, überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Die Friedensbewegung wird zwar nicht müde, auf die Militarisierung der EU hinzuweisen, die jetzt konstitutionell verfestigt werden soll, und die sozialen Bewegungen warnen vor dem neoliberalen Grundtenor der Wirtschaftsverfassung – aber wer schon nicht zur irakischen Variante des Widerstandes greifen will, bleibt gegenüber dieser politischen Klasse genauso erfolglos wie die Kritiker der »Agenda 2010«. Die Kritik muß sich allerdings auch darüber klar sein, daß der Verfassungsentwurf nur festschreiben will, was sozialpolitisch die Entwicklung in der EU seit langem bestimmt. Die Wirtschaftsordnung des Entwurfs nimmt den alten Maastricht-Vertrag auf. Alle Koordinaten einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind fast unverändert aus dem Vertrag in die neue Verfassung übernommen worden, darunter das ausgewogene Wirtschaftswachstum und die »in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt zielt« (Art. I-3 (3)). Gelangt man nach einigem Blättern in den umfangreichen dritten Teil des Entwurfes, hat sich auch das soziale Element weitgehend verflüchtigt: Die Mitgliedstaaten werden in Art. III-69 auf den »Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet«; werden. Bei Verstoß gegen das vorrangige Ziel der Europäischen Wirtschafts- und Währungspolitik, die Preisstabilität, werden strikte und detaillierte Sanktionen angedroht (Art. III-77), während die angeblich gewünschte Vollbeschäftigung nur zur Zusammenarbeit, Unterstützung und Ergänzung ohne jegliche Sanktionsmöglichkeiten verpflichtet. Auf die Allgemeinwohlverpflichtung des Eigentums entsprechend Art. 14 II des deutschen Grundgesetzes und die Sozialisierungsmöglichkeit gemäß Art. 15 GG verzichtet der Entwurf ohnehin. Vielmehr bemüht er sich, das oft gerügte Versäumnis des Grundgesetzes, die Unternehmerfreiheit ausdrücklich verfassungsrechtlich zu adeln, in Art. I-16 nachzuholen. Der durchgängig neoliberale Ansatz dieser Wirtschaftsverfassung wird besonders in der Handelspolitik deutlich, für die ausschließlich die EU zuständig sein soll. Auch der Handel mit Dienstleistungen und geistigem Eigentum wird der Verantwortung der nationalen Regierungen und Parlamente entzogen. In einer wohl eher notgedrungenen Koalition haben Sylvia-Yvonne Kaufmann von der PDS und der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Erwin Teufel (CDU), versucht, elementare Dienstleistungen wie Gesundheit, Bildung, Sozialdiensten und Medien durch das Einstimmigkeitsprinzip vor dem Kommerz zu schützen, was die Mehrheit im Verfassungskonvent allerdings ablehnte. Geist und Faust dieses »Gemeinschaftskonzepts der offenen Wirtschaft« hat bisher am unbekümmertsten der deutsche Bundesverfassungsrichter Udo di Fabio in der Juristenzeitung als »Logik der wirtschaftlichen Harmonisierung« gepriesen. Für ihn gruppieren sich »die Gesetzgebungszuständigkeiten der Gemeinschaft ... als Politiken wie die Handelspolitik, die Wirtschafts- und Währungspolitik, die Sozial- und Umweltpolitik rund um die Marktfreiheiten... und (sind) sachlich auf sie bezogen«. Seine »Grundfreiheiten«, die als »machtvolle Hebel gegen die Beharrungskräfte der Mitgliedstaaten« eingesetzt werden müssen, sind: »Freizügigkeit, Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs«. Um der Gefahr der »zentralistischen Wiederkehr politischer Interventionen in die Wirtschaft« zu begegnen, sei es »sinnvoll, die Grundfreiheiten deutlicher als bisher um Grundrechte gerichtet gegen die Gemeinschaftsgewalt zu ergänzen. Grundrechte wie die Berufs- und Eigentumsfreiheit, Freiheit der Wohn- und Geschäftsräume...«. Verbunden mit seinen Warnungen vor »Rechten auf soziokulturelles Existenzminimum« und vor »Verbürgungen zum Schutz vor den Gefahren der Gentechnik oder der Informationstechnologien« ist dieses Konzept dann genau das, was, wie di Fabio meint, die Europäische Verfassung nicht sein könne: ein »bloßes Credo wirtschaftsliberaler Grundüberzeugungen«. Soweit, meint Konventspräsident Valéry Giscard d'Estaing, bewegt sich alles in den Spuren der alten Verträge. »Aber wir wagen uns auch mit Gründergeist auf neue Handlungsfelder. Etwa in der gemeinsamen Außenpolitik, bei der Verteidigung oder dem einheitlichen Recht zur effizienten Kriminalitätsbekämpfung und Sicherung der Bürgerrechte. Das wird wie eine Neugründung wahrgenommen.« Eine Neugründung, auf die Europa verzichten könnte, wenn man nicht unter Verteidigung den weltweiten Kreuzzug zur Einrichtung atlantischer Stützpunkte und Protektorate im Geist der bereits 1992 auf dem Petersberg bei Bonn verkündeten Aufgaben verstände: »humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen«. Die Militarisierung der EU wurde dann im Dezember 1998 während des französisch-britischen Gipfels in St. Malo endgültig auf den Weg gebracht, der in seiner Abschlußerklärung forderte, daß die »Union in der Lage sein muß, ihre Rolle in der internationalen Arena voll und ganz wahrzunehmen«, und daß sie dafür »eine autonome Handlungskapazität« benötige, »unterstützt von glaubwürdigen Streitkräften mit den Mitteln und der Bereitschaft, sie zu nutzen«. Ein Jahr später verpflichteten sich die Mitgliedstaaten auf der Ratstagung von Helsinki, Militärverbände bis zu einer Stärke von 15 Brigaden (50 000 bis 60 000 Mann) für mindestens ein Jahr einsatzfähig zu halten – und der Druck auf die Haushalte zur Erhöhung der Militärausgaben begann. Der Verfassungsentwurf betritt unter friedlichen Gesängen das militärische Gelände. Als Ziel gibt er an, »den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen der Völker zu fördern« (Art. I-3). In Art. I-40 räumt er sogar den zivilen Mitteln der Konfliktschlichtung den Vorrang vor den militärischen ein und vergißt auch nicht die Anrufung der Charta der Vereinten Nationen. An diesem Punkt hätte der Konvent einhalten sollen. Doch wollte er eigentlich anderes, was er dann in den hinteren Absätzen und Abteilungen der Verfassung unterbrachte: eine Verpflichtung, die »militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern« in Art. I-40 Abs. 3, die in feiner Umschreibung nichts anderes als eine Pflicht zur Aufrüstung normiert. Zudem eine »Europäische Agentur für Rüstung, Forschung und militärische Fähigkeiten« (Art. I-40 und III-207), die nicht nur den militärindustriellen Komplex koordiniert, sondern auch die Haushaltsverpflichtungen kontrolliert. Darüber vergaß er wohl, auch eine »Europäische Agentur für Abrüstung, Forschung und zivile Fähigkeiten« einzurichten. Die Forderungen etlicher Nichtregierungsorganisationen, ein ausdrückliches Gewalt- und Kriegsverbot wie in der UNO-Charta und darüber hinaus ein Verbot des Einsatzes von Nuklearwaffen in den Text aufzunehmen, überging der Konvent. Es soll ein militärisches Kerneuropa geben. Der deutsche Außenminister Fischer äußert sich zwar neuerdings wieder skeptisch über das Konzept des Europas zweier Geschwindigkeiten. Aber der Verfassungstext legt unzweideutig fest, daß »die Mitgliedstaaten, welche anspruchsvolle Kriterien in bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und im Hinblick auf Missionen mit größeren Anforderungen verbindliche Zusagen machen wollen« (Art. III-213), in Zukunft unter dem Schild »Strukturelle Zusammenarbeit« die Avantgarde europäischer Militäroperationen rund um die Welt bilden sollen. So steckt das, was auf Taubenfüßen die Verfassung betrat, am Ausgang in den harten Stiefeln der »humanitären« Kriege in Jugoslawien, Afghanistan und dem Irak. Die Beteiligung an derartigen Missionen zur Zivilisierung der Welt bedarf zwar nach wie vor der einstimmigen Entscheidung des Rats, aber nicht des Europäischen Parlaments, das daran ebenso wenig mitzubestimmen haben soll wie bisher. Man braucht nicht immer das Grundgesetz unter dem Arm zu tragen, um zu wissen, daß die Ausschaltung des Parlaments in dieser Frage sich eindeutig gegen die deutsche Verfassung und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts stellt. Aber offensichtlich will uns der Konvent hier eine zweite Möglichkeit der Verfassungsänderung neben dem Zweidrittelvotum des Parlaments bescheren: die Änderung durch internationalen Vertrag, der zur Ratifizierung nur der einfachen Bundestagsmehrheit bedarf. Wie die Dinge aber heute im erweiterten Tal der Ahnungslosen liegen, würde der Verfassungsentwurf mindestens 90 Prozent der Abgeordneten für sich begeistern. Ob sich ein solches Votum durch eine Volksabstimmung (»jetzt oder nie«, wie sie Max Stadler in Ossietzky 4/04 forderte) korrigieren ließe, hängt von dem kritischen Bewußtsein der Öffentlichkeit ab. Um dieses in der allerdings knappen noch verbleibenden Zeit zu bilden, ist die jüngste Publikation des PapyRossa-Verlags hilfreich: »Europa ohne Demokratie? Die europäische Verfassungsdebatte – Bilanz, Kritik und Alternativen« von Andreas Wehr, der als Mitarbeiter der »Konföderalen Fraktion der Vereinig-ten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke« die Arbeit des Verfassungskonvents begleitet hat. Eine lesenswerte Kritik, die erst recht nach der Verabschiedung des, wie wir befürchten müssen, unveränderten Verfassungsentwurfes ihre Gültigkeit behalten wird.
Kontext:
Erschienen in Ossietzky 8/2004 |
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