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Krista Sager, Bundestag im Reichstag, Berlin. – Als Fraktionsvorsitzende der Grünen haben Sie die Gewerkschaften harsch kritisiert, weil diese die rot-grüne Regierungspolitik kritisieren: »Die sollen mal darüber nachdenken, was die Alternative wäre – andere politische Machtverhältnisse!« Damit wollten sie offenbar vor einer Regierungsübernahme der Unionsparteien warnen – aber wieso eigentlich? Die Agenda-Politik, für die Sie so heftig streiten, hat doch der CDU/CSU Zutreiberdienste geleistet. Außerdem kann es gut sein, daß die Unionsparteien, wenn sie an die Regierung gelangen, nach einer Weile die Grünen zu Koalitionspartnern machen. In diesem Fall müßten Sie Ihr Argument variieren. Sie würden dann – nicht wahr? – den Gewerkschaften sagen: Seid dankbar, daß wir dabei sind, ohne uns Grüne würden es Merkel und Stoiber noch viel toller treiben.

Klaus Uwe Benneter, SPD-Generalsekretär. – Ein glückliches Erlebnis, das Ihnen zuteil wurde, haben Sie, frisch ins neue Amt gehoben, möglichst vielen Mitmenschen gewünscht: »Ein zweites Mal in die SPD einzutreten!« Aber dabei haben Sie etwas durcheinandergebracht. Die schöne Erfahrung des zweiten Parteieintritts war in Ihrem Fall ein Geschenk von oben: Die SPD hatte Sie ausgeschlossen. Ihr Abgang geschah unfreiwillig. Die zigtausende von Sozialdemokraten, die in jüngster Zeit die SPD verlassen haben, sind aus eigenem Entschluß gegangen.

Wolfgang Thierse, Vizevorsitzender der SPD. – »Wenn ich diesen Satz mal sagen darf«, sagten Sie, »ich glaube an die SPD. Daß wir einen im Grundsatz richtigen Kurs fahren. Über jede Einzelheit wird man streiten dürfen.« Es sind die Einzelheiten bei der Bestimmung des Kurses, die dazu führen, daß ein Schiff in die falsche Richtung fährt. Ein unangenehmer Gedanke. Aber Sie haben sich schon als Bordprediger auf der »Titanic« eingeübt: Im Glauben fest und die Augen zu!

Edmund Stoiber, bayerisches Milchmädchen. – Auf den zweiten Blick geht Ihre Rechnung doch noch auf. Indem Sie fordern, die Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich zu verlängern, sichern Sie tatsächlich Arbeitsplätze: sowohl den eigenen, da Sie sich einmal mehr vor der Grauen Eminenz Rogowski als gnadenloser Neoliberalist profilieren können, als auch den des Bundeskanzlers, ihres heimlichen Bruders im Geiste, den Sie vor dem beruflichen Aus retten. Ihm drohten gewerkschaftsnahe SPD-Anhänger scharenweise zu einer neu zu gründenden Linkspartei zu entlaufen. Doch Ihre Drohkulisse treibt die Abtrünnigen gleich wieder zurück in die Arme des Kanzlers und den Irrglauben, die Agenda 2010 sei ohne jede Alternative.

Horst Köhler, Präsident in spe. – Bei Edmund Stoiber haben Sie etwas gutzumachen, und so sind Sie ihm argumentativ zur Hilfe gekommen, als er die 42-Stunden-Arbeitswoche forderte. Es sei »zwar nicht Sache eines Bundespräsidenten, sich mit Arbeitszeiten zu befassen«, sagten Sie, aber im Grundsatz wollten Sie doch Stellung nehmen: »Jeder muß im Interesse des Ganzen mehr Einsatz bringen. Früher habe ich öfter die Wohnung geweißt und tapeziert und auch nicht gesagt, ich höre um 18 Uhr auf, wenn ich am Montag wieder in meinem Institut an der Universität sein mußte.« Da haben Sie schon wieder etwas verpatzt. Der bayerische Ministerpräsident will die Deutschen nicht dazu animieren, ihre Kräfte mehr für sonntägliche Tätigkeiten zu Hause einzusetzen, sondern er verlangt längere Arbeitszeiten – ohne Lohnausgleich – im Job. Ein Weltökonom sollte das unterscheiden können.

Keratoconjunctivitis-epidemica-Virus. – Liebes Virus, du hast laut Mitteilung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr und Berichten der Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen durch die Augenentzündungen, die du ausschließlich bei Militärpersonal hervorrufst, in den letzten Wochen für mehr Kasernenschließungen gesorgt als die Friedensbewegung seit ihrem Bestehen. Wenn du diese hochansteckende Krankheit weiterhin nur bei Soldatinnen und Soldaten, nicht aber in deren zivilem Umfeld verbreitest, sollte dir der nächste Friedensnobelpreis sicher sein. Oder bist du die Antwort friedensbewegter Biowissenschaftler auf gentechnisch veränderte Krankheitserreger aus den Horrorlabors der Militärstrategen?

Erschienen in Ossietzky 7/2004