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Zwei Wochen wurden sie von Angela de Castro geschult, einer international gerühmten brasilianischen Clownsfrau, welche die einschlägigen Festivals der Welt bereist und bespielt hat, jetzt in England lebt, respektierte Sprecherin für die spezifische Kunstform Clown ist, als Solo-Clown arbeitet und mit eigenem Ensemble weltweit auf Tour geht. Sie engagiert sich speziell für den weiblichen Clown, entwickelte eine Clowns-Oper, arbeitet süchtig, lebt ausschließlich ihrem Herzensauftrag, übt sich im Ukulelespiel und füttert Enten, wo immer sie ihnen begegnet. Angela de Castro ist ein Kraftpaket. Klein, quadratisch und rund (ja, das gibt's), braunhäutig, schwarzäugig, schwarzhaarig mit Irokesenschnitt. Die Studenten erzählen, noch nie seien sie so hart gefordert worden wie in diesen zwei Wochen. Sie sagen es mit verklärtem Blick. Einmarsch der Clownsriege. Auffällig der Minimalismus bei ihrem Auftritt. Abgetaucht in ihr Wesen, konzentriert aufs Wesentliche gehen, stehen, lächeln sie, zwingen uns in ihren Bannkreis. »Der Zustand des Clowns«, sagt de Castro, »ist nicht eine Technik, der Zustand des Clowns ist die Phantasie.« Ringsum an den Wänden stehen Reizworte, jedes benennt eine unerläßliche Eigenschaft des Clowns: Naivity, simplicity, happiness, pleasure, discipline, motivation, truth, love, courage, fun, charisma, curiosity, generosity, innocence. Nach einer kleinen Vorführung erhalten neun Studenten ihre Zertifikate. Angela de Castro erzählt zum Abschluß ein Gleichnis, welches sagt: Wir gehen und gehen, lange Wege, mühevolle Wege, unverzagt erklimmen wir den Berg vor uns, viele bleiben zurück, anderen gelingt es, höher und höher zu gelangen, am Gipfel aber, wo wir innehalten, fällt vor den Unermüdlichen steil der Berg ab ins Bodenlose. Was nun? Springen! Aus dem angstbesetzten, tollkühnen Sprung heraus kann das Fliegen gelingen. »Ich wünsche euch, daß ihr fliegen werdet.« Standing ovations für den beflügelten, beflügelnden Gast. Inmitten der Clownsschar entdecke ich Annika. Sie sieht heiß aus. Schwarzes Minikleid, rote Strumpfhosen, etliche Schlipse kunstvoll ins Haar gewunden, eine goldene Tasche. Wow! Ich schaue Annika seit etlichen Wochen bei ihrer Arbeit zu. Das Überraschendste an ihr ist: Erscheinungsbild/Typ sind absolut konträr zu ihrem Rollenpotential. Sie gleicht dem traditionellen Bild einer Luise Millerin oder Gretchen, kommt jedoch als verrucht-elegante Dame der Gesellschaft oder blutdürstige Lady Macbeth daher. Lacht perlend die Tonleiter rauf und runter, bewegt sich auf »high heels« wie andere in Joggingschuhen. Verwandelt sich. Eine seltene Eigenschaft bei Frauen auf der Bühne. Sagt man. Annika Martens besitzt diese Fähigkeit. Sie gehört zu den älteren Studenten (1977 nahe Hamburg geboren). Vater Metallfacharbeiter, Mutter Krankenschwester. Annika besuchte eine Waldorfschule, hatte dort erste Erfahrungen mit Theaterspielen, das Abitur folgte. Sie wollte Schauspielerin werden, wagte nicht, vorzusprechen. Vier Monate arbeitete sie in Kolumbien, ein Projekt mit Straßenkindern. Danach bewarb sie sich an den Schauspielschulen des Landes. Zwölfmal hat sie sich vorgestellt, zwölfmal wurde sie abgewiesen. Ihre Spielfreude kam abhanden. Sie entschloß sich zu einer Ausbildung als Stimmlehrerin und Therapeutin. Im Rahmen ihrer Ausbildung begegnete sie einer Dozentin von der »Busch«. Die ermutigte die junge Frau. Annika überwand ihre Selbstzweifel und wurde angenommen. Die Professoren Ulrich Engelmann (Schauspiel) und Klaus Klawitter (Sprech erzieher) erkannten ihr Potential. Seither arbeitet sie für das Ziel ihrer Träume. Konsequent, konzentriert, bedingungslos der einen Sache verpflichtet. Auf der Bühne zu stehen, Geschichten und Schicksalen nachzuspüren, ist ihr Bedürfnis, Herausforderung, Lust. Viele Leben zu leben, nicht nur das eine, eigene. Höchstes Vergnügen für sie ist, wenn es gelingt, diese Vielfalt in sich zu entdecken, sie ans Licht zu befördern, für den Zuschauer sinnlich erfahrbar zu machen. Diesen Prozeß kann ich miterleben im Szenenstudium bei Professor Michael Keller, Leiter der Abteilung Schauspiel. Geprobt wird »Platonow« von Tschechow. Annika probiert die Generalin, Olé Lagerpusch den Platonow. Schnell wird deutlich: Annika braucht das Gespräch, um einer Figur nahekommen zu können. Keller ist der beste Partner dafür. Sachkundig, witzig sprudeln und fluten Assoziationen über fragestellende Studenten. Gleichnisse, Zitate quillen und schäumen aus ihm, seine pralle Lexik konfrontiert die Studenten permanent mit unbekannten Begriffen: »emblematisch«, »Grandezza«. Seine Antworten wirbeln neue Fragen auf, es entsteht ein Netzwerk, das die jungen Menschen trägt, in dem sie sich vertrauensvoll erproben können. Ich erlebe die Beziehung Dozent-Student partnerschaftlich, ironisch auch. Stellt »der Prof« seine Bildung zu heftig aus, wird er sarkastisch auf die Schippe genommen. Insonderheit Olé ist schnell im Kopf und mit der Zunge, ebenso schnell und gescheit setzt er Kellers Vorschläge um, ahmt nicht nach, verleibt sie sich ein, macht seins daraus. Annikas heftiges, auch aufreizendes Lachen signalisiert unentdeckte innere Landschaften, ambivalent zu ihrer klaren Ausstrahlung. Reizvolle Mischung. Ein Glücksfall in diesem Arbeitsprozeß: Die Partner, sehr verschieden, sind einander ebenbürtig. Spannung entsteht, das Abnehmen der Töne sitzt, die Körpersprache stimmt, sie steigern sich gegenseitig, ihre Erfindungen sind schön. Ich bin begeistert. Keller auch. Von »emotionaler Intelligenz«, spricht er, »laßt uns träumen«, sagt er, »ja, benutze dein mentales Bäuerchen« und »wichtig, daß es zarte Anpflanzungen bleiben«. »Jede Probe ist für mich ein Fest.« Keller strahlt und »möchte noch lange feiern«, Man glaubt es ihm. Olé (beiseite): »Let it flow!« Da ist es wieder: Ironie und tiefere Bedeutung. Diese Art Umgang miteinander sensibilisiert, macht locker und zugleich gespannt, schöpferische Stimmung entsteht, in der die Herausgeforderten sich sichtbar entfalten. Beim Vorsprechen vor Dozenten und Kommilitonen findet die Arbeit von Annika und Olé großen Beifall. Erwartungsvoll und im Bewußtsein der hohen Schwierigkeit, die zu bewältigen sein wird, geht Annika Martens in die nächste Runde. Lady Macbeth wartet darauf, von ihr erkannt zu werden. Alles auf Anfang.
Erschienen in Ossietzky 7/2004 |
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