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Zur Debatte steht Mel Gibsons Film »Die Passion Christi«, der, in den USA mit 4000 Kopien gestartet, nun auch bei uns angelaufen ist. Warum gerade jetzt diese christlich ummäntelte Gewalt- und Blutorgie – warum kommt sie aus den USA? Die Demütigung vom 11. September, die noch immer anhält, muß kompensiert werden. Das Ground-Zero-Land braucht eine, wenigstens spirituelle, Wiedergeburt. In diesem Klima wächst der christliche Fundamentalismus. Mel Gibson verhehlt seine Überzeugung nicht: Wer die Wahrheit über die Leidensgeschichte Christi erzähle, werde von Juden unter Druck gesetzt. Daß er – wie schon sein Vater – einer katholischen fundamentalistischen Sekte angehört, ist bekannt – auch, daß sie den Holocaust leugnet. Warum wird der Zuschauer dieser grauenhaften Tortur unterzogen, mitgefoltert durch Bilder und Töne? Oder er wechselt die Seite und schlägt mit, der Film läßt die Wahl. Vor mir liegt ein Buch über die visuelle Gewalt im Mittelalter, das den Titel »Ungestalten« trägt. Die Sicht auf das ausgehende Mittelalter schärft den Blick für Verhaltensweisen heute. Die »Ungestalten«, die durch Folter, staatlich sanktioniert, oder durch Krieg verletzten, verstümmelten menschlichen Körper, sind gesichtslos, anonym. Jedoch: »Die visuelle Kultur Europas und Amerikas ist zutiefst geprägt von der Figur eines blutigen Männerkörpers als Wahrheitszeichen«, erkennt der Autor Valentin Groebner. Ungestalt ist allein das Abbild von Gewalt außerhalb des eigenen Ich, das andere, das unförmig gemachte, das Nicht-Gesicht. Nicht nur das Mittelalter kannte die minutiöse Beschreibung der Peinigungen. Berichte über Greuel, über das »Abschlachten« – bekannt aus der Propaganda gegen Jugoslawien, die Scharping-Legende von den gebratenen Embryos gehört dazu – haben Kriege angefacht. Aber auch die Bilder – und die Bilder im Kopf. Im Irak-Krieg fand der Autor des Buches über das Mittelalter keine Fotos von toten amerikanischen Soldaten, auf denen man ihr Gesicht hätte erkennen können. Dafür Bilder verletzter GIs mit nackten, blutigen Oberkörpern, »denn die Guten bluten immer mehr als die Bösen«. Womit wir wieder bei dem Christus-Film sind. Jesus, der unter dem Blut fast nicht mehr als Mensch zu erkennen ist, wird zuletzt ans Kreuz geschlagen. Dieses Einschlagen der Nägel, die Lautsprecher brennen es ins Ohr. Warum dann noch das Binden mit Stricken? Weil, in Anspielung auf die Streckfolter im Mittelalter, auch hier dem Ohr und den Emotionen des Publikums etwas geschenkt wird: das extreme Auseinanderzerren der Glieder. Was soll all die Quälerei, hautnah vermittelt, heute bewirken? Braucht man Märtyrer auch im Westen? Und Blut als Erlösungssaft, der die unsichtbaren Mörder sichtbar macht? Der Antichrist, in den mittelalterlichen Passionsspielen als teuflisch-jüdischer Gerichtsherr dargestellt, taucht auch heute auf. Als androgynes Wesen ist er immer dabei, in Verbindung mit einer Schlange oder mit einem Raben, der Augen aushackt. Aushackt dem jüdischen Widerstandskämpfer Barabbas, dem häßlichen mit schlechten Zähnen – häßlich ist böse. Und als teuflische Widerspiegelung des Maria-Kind-Bildes mit einem uralten bösen, behaarten Baby auf dem Arm, dem Wechselbalg, Kielkropf der Sagen. Diesen Dualismus, die alten Klischees offeriert Gibson auch in der Darstellung der Hohepriester und des jüdischen Rates: Sie sind die, wie man heute sagt, Schreibtischtäter, feuern an, schauen zu – lassen töten. Eine ganz andere Sicht auf Christus-Darstellungen ermöglicht die Hamburger Ausstellung »Corpus Christi«. Die Deichtorhallen sind jetzt ganz der internationalen Photographie gewidmet. Die vom Israel-Museum in Jerusalem ausgeliehene Schau zeigt Fotos aus 150 Jahren künstlerischer Auseinandersetzung mit diesem Thema, noch bis Ostern. Hamburg ist die einzige Station dieser Ausstellung, die berühmte und bei uns unbekannte Fotografen vereint. Blutorgien fehlen hier ganz. Und wenn ein »streikender Arbeiter, ermordet« in einer Blutlache liegt (ein Schwarz-Weiß-Foto des Mexikaners Manuel Alvarez Brava), so ist es kein geiles Suhlen im Blutrausch wie im Film. Christus kann schwarz sein oder eine Frau oder als Versuchskaninchen mißbraucht werden, angeschlossen an Drähte, er kann homosexuell sein, kann die Dornenkrone mit sich tragen, eingewachsen ins Fleisch. Oder es kann ein halbwüchsiger Junge sein, der vor den Dächern Jerusalems auf einem Hügel steht, armselig in seinen kurzen Hosen, mit einem Anflug von Heiligenschein. In der Hand etwas wie ein Ball – oder eine Handgranate? Schön farbig wie ein Heiligenbildchen, auf achteckiges Holzpaneel geklebt (ein Bild des Israeli Ayelet Hashacher Cohen, »Jerusalem 1995« genannt, aktuell wie kein zweites). Merkwürdig, gegen diese ausgezeichnete ernsthafte Ausstellung gab es Proteste. Eine Kampagne der »Aktion Deutschland braucht Mariens Hilfe / DVCK e.V.«: Diese Deutsche Vereinigung für eine christliche Kultur schickte 2000 Postkarten, die von »Gotteslästerung« und »Blasphemie« sprachen. Ist es Blasphemie, wenn inmitten des größten Raumes fünf große Fototafeln von Rauf Mamedov, das Abendmahl darstellend wie ein Gemälde, die Jünger und Jesus als Behinderte mit Down-Syndrom zeigen? Valentin Groebner: »Ungestalten«, Hanser Verlag, 204 Seiten, 17,90 €
Erschienen in Ossietzky 7/2004 |
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