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Auch ich gründe eine Ich-AG, selbstredend nicht irgendeine beliebige in der Art eines mobilen Hundewaschsalons oder Babywindelentsorgers, wie sie in jüngster Vergangenheit aus dem Boden schossen, sondern eine, für die ich spezielle Voraussetzungen mitbringe, die mir nicht allzu viel Arbeit macht, die ich beim täglichen Zeitungsstudium sowie Rundfunk- und Fernseh-Nachrichten-Konsum nebenbei betreiben kann und die mir hilft, den dabei immer wieder aufkommenden Frust abzubauen. Kurzum, ich gründe eine Ich-Aktiengesellschaft zum Aufspüren politischer Lüge und Irreführung. Für das spätere Auftreten im Internet, wie es für Ich-AG's allgemein empfohlen wird, habe ich bereits den passenden Namen: www.lug-und-trug-detektei.de ; im Falle des erhofften geschäftlichen Erfolges werde ich demzufolge im gleichen Medium unter lug-und-trug-detektei@gmx.de zu erreichen sein. Die Idee verdanke ich Georg Milbradt, Biedenkopf-Nachfolger im Amt des sächsischen Ministerpräsidenten, der mich kürzlich, an einem Sonntagabend gegen 19.20 Uhr, in meiner Wohnstube aufsuchte, via Fernsehen natürlich. In der allseits beliebten ZDF -Sendung »Berlin direkt«, die den Zuschauer auf den im Ersten Programm wenig später folgenden »Tatort« einstimmt, äußerte er sich zur Lage im Osten Deutschlands. Auf die Frage des Moderators Peter Hahne, ob sich die Leute im Osten nach Helmut Kohls Ankündigung blühender Landschaften und Gerhard Schröder Zusicherung, der Osten sei Chefsache, nicht auf den Arm genommen fühlen, erwiderte er, in den letzten 13 Jahren sei viel erreicht worden – schließlich sei zu bedenken, daß das ökonomische Leistungsverhältnis zwischen Ost- und Westdeutschland im ersten Jahr der Einheit 30 zu 100 betragen und jetzt schon bei 60 zu 100 angelangt sei. Diese Aussage ermutigt: Im 14. Jahr der Einheit sind die Landschaften im Anschlußgebiet zwar noch nicht erblüht, aber ein gewisses Aufblühen ist nicht zu übersehen. Verwundern könnte allerdings der Umstand, daß Milbradt als in Statistik bewanderter ehemaliger Finanzminister, studierter Mathematiker, Volkswirtschaftler und Rechtswissenschaftler das Jahr 1991 zum Ausgangspunkt des Vergleiches nahm, anstatt 1989, das letzte Jahr der DDR, zu wählen oder 1990, das Jahr der deutschen Vereinigung. Aber das ist kein Zufall, sondern entspricht dem üblichen Vorgehen derer, die den wirtschaftlichen Verfall des Ostens in ein milderes Licht stellen wollen. 1991 war das Jahr des völligen Zusammenbruchs der in der DDR geschaffenen Wirtschaft. Infolge der überstürzten, rein politisch motivierten Währungsunion, des Beginns der Tätigkeit der Treuhandanstalt und der Zerschlagung nahezu aller Großbetriebe der DDR sank die Industrieproduktion schon im ersten Halbjahr 1991 gegenüber 1989 um 67 Prozent. Im Maschinenbau betrug der Rückgang 70, in der Elektrotechnik 75 und in der Feinmechanik 86 Prozent. Ende 1991 erreichte die Industrieproduktion im Osten nur noch ein knappes Drittel des Vorwendestandes. Der ehrenwerte Herr Milbradt, der diese Tatsachen kennt, hat also versucht, einige Millionen Fernsehzuschauer in die Irre zu führen. Bestärkt wurde ich in meiner AG-Gründungsidee durch ein cineastisches Kunstwerk, das offenkundig eine Antwort auf den Erfolgsfilm »Good bye, Lenin!« und die danach einsetzende Nostalgiewelle darstellen sollte. Im Rahmen eines abendfüllenden Programms zum Thema »Lenin ante portas – Ein DDR-Rückblick« wurde es kürzlich unter dem Titel »Es war nicht alles schlecht« vom Kultursender arte ausgestrahlt. Meiner Aktiengesellschaft könnte es reichlich Arbeitsstoff bieten. Nicht etwa, daß ich den Schöpfer des Films, Gerald Schubert, und die aufgebotenen, sorgsam ausgewählten und jeglicher einseitigen Betrachtungsweise unverdächtigen Zeitzeugen Christoph Links, Erich Loest, Ines Geipel, Peter Ensikat und Claudia Rusch als Lügner bezeichnen würde. Nein, sie haben sich redlich bemüht, den Filmtitel umzukehren und aus persönlichem Erleben und Empfinden heraus nachzuweisen, daß alles schlecht war. »Das Grundgefühl der Ostdeutschen war ohne Frage eine existentielle permanente Demütigung«, wie Ines Geipel es auf den Punkt brachte. Der Filmemacher richtete den Focus auf dieses »Grundgefühl« und ließ sich glücklicherweise durch nebensächliche, die DDR-Entwicklung begleitende Faktoren wie die Hinterlassenschaft des Faschismus, Alleinvertretungsanspruch und Wirtschaftskrieg seitens der BRD, Blockkonfrontation und Kalter Krieg nicht ablenken – sie blieben ausgeblendet. Ausblendung ist überhaupt die wirksamste Lug-und-Trug-Methode: Man kann die Wahrheit ins Gegenteil verkehren, ohne bei einer direkten Lüge ertappt werden zu können. Ganz im Sinne des erwähnten Fernsehfilms scheint mittlerweile auch der Bildungssenator des rot-roten Berliner Senats, Klaus Böger, die Erinnerung an die DDR auf die Stasi reduzieren zu wollen. Am passenden Ort, in der Stasi-Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, forderte er, daß sich die Schüler der Bundeshauptstadt künftig intensiver mit der DDR-Geschichte auseinandersetzen. Er kündigte an, hier eine pädagogische Koordinierungsstelle einzurichten. Man kann Böger nur raten, den Film »Es war nicht alles schlecht« in das Lehrmaterial aufzunehmen. Für meine ins Auge gefaßte Ich-AG gibt es Arbeit zuhauf. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich von der zuständigen Bundesagentur die monatlichen Zuschüsse, im ersten Jahr immerhin 600 Euro, erhalten werde. Ich befürchte, leer auszugehen, allein schon deshalb, weil auch sie mit großer Wahrscheinlichkeit Gegenstand meiner Arbeit werden könnte, zum Beispiel dann, wenn sie weiter die Regierungswünsche erfüllt, die Arbeitslosenstatistik zu »bereinigen«. Und wer schließlich bezahlt meine beabsichtigten Dienstleistungen? Lügen verkaufen sich leicht, die Wahrheit hat es schwerer.
Erschienen in Ossietzky 7/2004 |
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