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Ringier hofft wohl, als hätte er ein Kavaliersdelikt wie Steuerhinterziehung oder Bestechung begangen, auf ein unverdient mildes Urteil. Im Falle des Cicero kann es jedoch nur lauten: Lohnt nicht, gelesen zu werden. Die Strafe wird sein, daß ernstzunehmende LeserInnen die neue Monatszeitschrift rechts liegen lassen. Das härteste Urteil sprach jedoch, Tage vor der Auslieferung der Erstausgabe, der Verleger selbst, als er von seinem Cicero sagte, er sei »etwas, was kein Mensch braucht«. Diesem Richterspruch bleibt nichts hinzuzufügen außer einer Begründung. Sie sei hier für jene angefügt, die den Heftpreis von sieben Euro lieber für etwas Sinnvolles aufsparen wollen, zum Beispiel für ihren nächsten Arztbesuch oder eine Zyankalikapsel für die Endphase der Agenda 2010. Der hohe Preis läßt sich nur psychologisch begründen: Er soll, wie die englischen Untertitel vieler im Heft eingestreuter Witzzeichnungen, ein Gefühl von Exklusivität erzeugen. Dazu trägt auch die Werbung bei, die fast jede dritte der gut 150 Heftseiten verpestet: Man wirbt für Fabergé-Eier, Porsche, Land's End, IBM, Commerzbank, EADS, Financial Times , Metro-Märkte, Focus und natürlich für sich selbst. Hier miefen, auf engstem Raum, die Duftspuren der Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik, die sich der Cicero erklärtermaßen als Stammleserschaft zulegen will. Man kann schon beim raschen Durchblättern riechen, ob man den Heftmachern und Lesern willkommen ist oder nicht. Unter den kürzeren der insgesamt 48 Artikel befindet sich eine Handvoll, deren Verfasser den Bundeskanzler als »Mann ohne Eigenschaften« verhöhnen oder die Manager als »global operierende Kaste« bloßstellen dürfen. Viel schärfer wird die Kritik dann aber nicht mehr, man will ja sein Publikum nicht vergraulen. Also lassen die Redakteure den als »Querdenker« vorgestellten ehemaligen Bundeswirtschaftsminister Werner Müller zu Wort kommen. Das klingt dann so: »Nur die individuelle Eigenverantwortung belebt die Zukunft [...] Die Sozialismen in unserer Gesellschaft müssen zurückgedrängt werden [...] Die [Unternehmer] sind oft der Motor unserer Gesellschaft. Nur im Parlament findet man sie kaum.« Was daran quergedacht sein soll, läßt sich nicht enträtseln; so steht das schon allwöchentlich in Spiegel und FAZ . Aber auch weniger bekannte Menschen dürfen sich äußern, zum Beispiel ein Finanzberater zum Thema »Darf ein Chef das 250fache vom Gehalt eines Facharbeiters verdienen?« Aber natürlich, lautet die wirklich überraschend begründete Antwort, denn das war ja beim Feldherren Wallenstein noch viel extremer, der verdiente das 600fache eines einfachen Söldners. Nur so läßt sich nämlich verhindern, daß die Mächtigen verbrecherisch in die eigene Tasche wirtschaften (was sie als richtige Spitzenverdiener natürlich niemals tun). Kommen wir zum Aushängeschild des Magazins. Als Carl von Ossietzky Anfang der 30er Jahre seine Leitartikel für die Weltbühne schrieb, drohten ihm Gefängnis und Schlimmeres. Das soll Wolfram Weimer, dem Chefredakteur des Cicero, nicht geschehen. Unheil ahnend, versteckt er seinen Leitartikel am Heft-ende und schreibt dort sicherheitshalber Sätze hinein wie »Wir leisten uns noch Kreuzfahrten zum Nordkap und Windräder in der Heide und Integrationskurse für Kurdenkinder. Die Nobelpreise aber holen andere, die Investitionen auch, die Elitestudenten sowieso.« Das Ganze noch schnell garniert mit Namen wie Marcuse, Schopenhauer und Buddenbrook – fertig ist die Dankesrede zum Großen Bundesverdienstkreuz! Um seine Harmlosigkeit zu unterstreichen, läßt der Chefredakteur es sich nicht nehmen, den unvermeidbaren Bundespräsidenten Köhler persönlich mit Fragen zu verwöhnen wie »Glauben Sie an Gott?«, »Sind Sie auch patriotisch?« oder »Das heißt im Klartext: Wir müssen den Sozialstaat noch weiter zurückdrängen?« Wer so schreibt, hat von den Mächtigen des Landes nichts zu fürchten außer kumpelhaftem Schulterklopfen. Harter investigativer Journalismus? Es brauchte den Mut gleich zweier Journalisten, um den Nachweis zu erbringen, daß US-Präsident Bush und sein Herausforderer Kelly derselben Burschenschaft »Skull and Bones« angehören. Deren aktive Mitglieder treffen sich zum wöchentlichen Festbankett und erzählen einander detailliert von ihrem Geschlechtsleben. Wer hätte das gedacht – außer vielleicht den Schmierenjournalisten der Bild -Zeitung. Freunde des hintergründigen Humors werden im Cicero ganz unerwartet von Roland Koch versorgt. Auf die Fragebogenfrage »Was lieben Sie an anderen?« antwortet er doch glatt: »Zuverlässigkeit, Aufrichtigkeit und Freundschaft«. Man sucht bei anderen ja oft, woran es einem selbst mangelt. »Woran glauben Sie?« »An einen barmherzigen Gott.« Was aber, oh Barmherzigen, ist unter der Heftrubrik »Weltbühne« zu verstehen? Da beginnt Madeleine Albright ihren Text so: »Kim Jong Il ist böse. Er wurde aufgezogen und trainiert in einem total abgeschotteten, marxistischen System.« Dieses Thema wiederholt sie in schier endlosen Variationen eine ganze Seite lang. Einzig mögliche Erkenntnis hieraus ist: Man kann sogar mit einem Kindergarten-Weltbild Außenminister der USA werden. Lauschen wir zum Schluß noch einmal den Worten des Chefredakteurs. In seinem Geleitschreiben zur Erstausgabe behauptet er: »Wir glauben an das gedruckte Wort, klar und schnörkellos.« Um welches leitmotivische Wort es sich hierbei handelt, verrät er leider nicht. Könnte dieses Zauberwort, das über nahezu allen Einträgen im Cicero schwebt, »Neoliberalismus« lauten? Oder ist das gesuchte Wort, an das die Blattmacher inbrünstig glauben, die klare und schnörkellose »Arschkriecherei«? Mag sein, daß die zweite Ausgabe der neuen Monatsschrift eindeutige Antwort bereit hält. Ich werde sie bestimmt nie erfahren. Aber zumindest weiß ich jetzt, auf welchem geistigen Niveau die deutschen Eliten in Wirtschaft und Politik vegetieren. Und es fühlt sich auf einmal unerhört gut an, dieser gesellschaftlichen Auslese nicht angehören zu müssen.
Erschienen in Ossietzky 7/2004 |
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