Ein Monopol der Bundeswehr

Eckart Spoo

Hartmut Berger, Diakon, hauptamtlicher Mitarbeiter in der Evangelischen Jugend der Landeskirche Braunschweig, besuchte die Leipziger Buchmesse. Wie andere fragte er sich, was dort die Bundeswehr machte, die ohne irgendeinen Bezug zu Büchern die größte Fläche einnahm. Er ging hin und erfuhr, daß Jugendliche an einem Strategie-Spiel teilnahmen, aufgeteilt in Gruppen, die einzelne Regionen der Erde vertraten. Ihr Ziel sei, durch politische Aktionen für sich Vorteile zu erreichen, ohne die Sicherheit der Welt aufs Spiel zu setzen. Von den millitärischen Optionen der Spieler war nicht die Rede, schon gar nicht von Kriegsopfern. Ein Jugendlicher, der Osteuropa vertrat, sagte dem Besucher, das Spiel sei »unheimlich stark«. Zu so etwas sei nur die Bundeswehr in der Lage.

Berger stellte sich einem der zahlreich anwesenden Offiziere vor und fragte ihn, wo man das Spiel beziehen könne. Antwort: Es werde allein von der Bundeswehr angeboten. Wenn der evangelische Jugendpfleger mit einem Jugendoffizier aus seinem Regierungsbezirk Kontakt aufnehme, könne man sich in ein Tagungshaus verabreden, wo dann das Spiel unter Leitung der Bundeswehr stattfinden werde. Berger fragte, ob ihm die Möglichkeit geboten werden könne zu lernen, das Spiel anzuleiten. Antwort: Nein, das sei nur Jugendoffizieren erlaubt, die in der Bundeswehrakademie eigens fortgebildet worden seien. Die Bundeswehr besitzt die Rechte an diesem Spiel, das an der Universität Erlangen entwickelt wurde, um den Studierenden weltpolitische Zusammenhänge näherzubringen. Sie nutzt dieses Monopol mit großem finanziellem und organisatorischem Aufwand – und sie nutzt die Begeisterung der Spieler, die auch am Ossietzky -Messestand von der Bundeswehr schwärmten: Nur sie biete diese Gelegenheit zum Spielen und Lernen – als spräche dieses Argument für die Bundeswehr.

»Die Schule der Nation ist die Schule«, sagte einst Bundespräsident Heinemann, der damit sagen wollte, daß das Militär sich da heraushalten sollte.

Auf der Leipziger Buchmesse präsentierte sich die Bundeswehr wie in den Vorjahren in unmittelbarer Nachbarschaft zu Jugendbuch- und Comic-Verlagen. Daß der renommierte ostdeutsche Scheunen-Verlag seine Ankündigung wahrmachte, in diesem Jahr nicht mehr in Leipzig auszustellen, wenn sie wieder teilnehme, störte sie nicht. Wie viele derartige Siege über die Literatur wird ihr die Messeleitung noch gestatten?

Als am Messesamstag in einer kleinen Demonstration vor dem Bundeswehrstand Dietmar Koschmieder (Verlag 8. Mai) per Handmegafon den Inhalt eines Appells von 41 Verlegern und Autoren vortragen wollte, stürzte sich eine Gruppe von Feldjägern ohne Vorwarnung auf ihn. Zahlreich bereitstehende Polizisten fesselten ihn an Händen und Füßen – angeblich zu seinem eigenen Schutze. Beamte rissen ihn zu Boden und knieten sich auf ihn. Er erlitt Verletzungen und Prellungen. Feldjäger in Zivil versuchten, Bild- und Wortjournalisten abzudrängen, und bedrohten sie. Vorübergehend erteilte die Messeleitung Koschmieder Hausverbot – Begründung: Leib und Leben der Messebesucher seien gefährdet worden. Eine von mehreren Verlagen gemeinsam geplante, beim Messe-Pressebüro angekündigte Pressekonferenz konnte nicht stattfinden, weil die Messeleitung den gebuchten Raum entzog.

Den Appell der 41 Verleger und Autoren unterstützten am Ossietzky -Stand mehr als 750 Besucher per Unterschrift. An mehreren anderen Ständen wurden ebenfalls Unterschriften gesammelt. Mehr als 60 Aussteller solidarisierten sich inzwischen mit Koschmieder.

Daniela Dahn hatte im vorigen den beauftragten der Messeleitung, Oliver Zille, gefragt, ob das Erziehungsziel durch einen Messestand der fünf deutschen Friedensforschungsinstitute nicht besser zu erreichen wäre. Zille reagierte erfreut und versprach, für dieses Jahr einen solchen Stand anzuregen ( Ossietzky 6/03). Dabei blieb es. Es gibt eben Unterschiede. Einer ist der, daß die Bundeswehr Geld hat und sich den größten Messestand mit viel Personal leisten kann – um Jugendliche spielend lernen zu lassen, wie großzügig die Bundeswehr ist.

Erschienen in Ossietzky 7/2004