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Menschenrechte und GemüseUm die Arbeits- und Lebensbedingungen zigtausender marokkanischer Saisonarbeiter
im spanischen Gemüseanbau geht es in der »Republikanischen Vesper« am
25. März um 19 Uhr im Berliner Haus der Demokratie und Menschenrechte:
Viele schlafen in »chabolas« aus Karton und Plastik, ohne Wasser
und Strom in einer von Pestiziden verpesteten Umwelt, unter den Augen der Polizei
und örtlicher PP-Politiker schutzlos rassistischen Überfällen
ausgesetzt. Die Macht liegt weniger bei den Bauern als bei den Gemüsegroßhändlern,
die auch den deutschen Markt mit Paprika, Tomaten, Erdbeeren beliefern. Experten
des Europäischen Bürgerforums berichten. Red. Mottes SiegIst es wirklich wahr, daß »dieses Buch über den Zweiten Weltkrieg ... den letzten Mythos der ehemaligen Sowjetunion« demontiert? Die Berliner Zeitung meint damit Michail Kononows »Die nackte Pionierin« und den Sieg der UdSSR 1945. Ich behaupte: nein, auch wenn der Roman mit vielen Tabus bricht. Die unerhörte Geschichte der vierzehnjährigen »Motte«, die an die Front strebt, um »für das Vaterland zu sterben«, demontiert den sowjet-offiziellen Puritanismus, persifliert hohle Propagandasprüche. »Motte« wird nach »behutsamer und zärtlicher Vergewaltigung« zum Sex-Objekt der Offiziere ihrer Kampfeinheit – was sie in der gestalteten Vielfalt zwischen Brutalität und Liebesbekundung als Dienst am Kollektiv erduldet; nur Küssen darf nicht sein, weil davon die Kinder kommen. In Traumvisionen lebt »Motte« freilich ein »anderes Leben«, fliegt nach Leningrad, nach Berlin Einsätze gegen den »schwarzen Lindwurm«, und es ereignen sich erstaunliche, dem Tode spottende Metamorphosen. Gegen Ende des Romans schwebt »Motte« mit ihren weißen Schlüpfern als Fähnchen den Soldaten beim Durchbruch durch den Blockadering voran. Das Buch ist kein Bilderbuchroman über den Großen Vaterländischen Krieg, aber es steht – auch in der ausgezeichneten deutschen Nachschöpfung von Andreas Tretner – in der Tradition großer Literatur, nicht nur von Bulgakow oder Woinowitsch. Der sowjetische Sieg kann durch den Roman von der »Hure« und »Heiligen« nicht abgewertet werden – schon gar nicht aus der Perspektive hiesiger Gegenwart mit Sex-Industrie und importierten Sex-Sklavinnen. Leonhard Kossuth Michael Kononow: »Die nackte Pionierin«, Kunstmann-Verlag München, 287 Seiten, 21,90 €
Wie auf einem fremden PlanetenWarum leben Juden in Deutschland, im »Land der Täter«? In einem eben erschienenen Buch erzählen dreizehn Menschen, wie es für sie dazu gekommen ist. Man muß sich eine kaum bekannte Situation vergegenwärtigen: Die Amerikaner brachten rund 50 000 meist osteuropäische Juden, die nach der Verfolgung ohne Familien und ohne Heimat waren, rund um München in Lagern für »displaced persons« unter. Traumatisierte Menschen, deren Angehörige ermordet worden waren. Darunter Kinder, die nicht wußten, wohin. Die übrige Welt interessierte sich kaum für sie. Roman Haller, 1944 in Polen geboren, engagiert in internationalen Organisationen, hat nun Berichte aus jenem »Leben nach dem Holocaust« veröffentlicht. In Lagern wie zum Beispiel Föhrenwald nahe München lebte man unter sich fast wie in den vernichteten Schtetln. Einer sagt: »wie ein Raumschiff auf einem fremden Planeten«. Die Deutschen der Umgebung kannte man zumeist nicht. Diese Lager galten als »Tor zur Welt« – bleiben wollte keiner. Man wartete auf Auswanderungsmöglichkeiten. Doch es gab unendliche Hindernisse. Und so sind viele geblieben. Die meisten leben heute noch in München. Die Geschichten sind so spannend, vielschichtig und aus unterschiedlichen Sichtweisen erzählt, daß man das Buch kaum aus der Hand legen möchte. Hier ein Beispiel, es ist nicht das schwerste Schicksal der Auswahl: Charlotte Knobloch, heute Vizepräsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, 1932 in München geboren, hat für ihren Beitrag einen schönen, vielsagenden Titel gewählt: »Doch ich hatte die Tiere, Kühe, Gänse, Hühner und Katzen als Verbündete.« Als sie elf Jahre alt wurde, war, ihre Kindheit vorbei. In einem Dorf in Mittelfranken lebte sie unter einer anderen Identität, durfte keine Jüdin sein. Eine fromme Bäuerin nahm in dieser katholischen Umgebung den »Makel« auf sich, sie als ihr uneheliches Kind auszugeben. Sie erzählt von Angst, Not, Einsamkeit, Trennungsschmerz. Wie sie zuletzt noch im Versteck leben mußte. Wie ihr Vater mühevoll alles überstand. Und wie glücklich sie nach der Befreiung war, wieder jüdisch leben zu dürfen. Trotz aller Sorgen der Gegenwart ist sie gern geblieben und vertraut unserer Demokratie. Dafür haben die nichtjüdischen Deutschen ihr und vielen anderen zu danken. Im Mittelpunkt der meisten Berichte stehen – und darauf kommt es hier an – die Existenzen in den DP-Lagern. Meist waren die Heimatlosen ohne Perspektiven. Erst als die Kinder in die Schulen und in die Sportvereine kamen, ergaben sich vorsichtige Freundschaften mit den Deutschen. Die Eltern hatten weiterhin Angst, die hier geborenen Kinder aber verstanden die Sorgen nicht: Sie wollten doch wie normale Kinder leben. Ein zweites Beispiel dieser Auswahl: Der kleine Zelig Rosenbaum, 1935 in Polen geboren, überlebte im Ghetto versteckt in einem Schrank, später als Straßenkind, bis sein Vater ihn fand. Freundlich blickt uns sein Bild an, freundlich erzählt er, als wäre ihm nie Schlimmes widerfahren. »Fußball war mein Leben«, sagt der heutige Kaufmann, der für »1860 München« spielte. Auf einem Foto sieht man ihn mit berühmten Fußballgrößen, Es ist gut, daß wir ihnen, die zur Normalität zurückkehren konnten, heute zuhören dürfen: Man sollte Föhrenwald und die vielen anderen Lager nicht vergessen. Ingeborg Hecht Roman Haller: »...und bleiben wollte keiner.
Jüdische Lebensgeschichten im Nachkriegsbayern«, Dölling
und Galitz Verlag, 171 Seiten, 12.80 € Die Ausnahme und die Regel»Die Schweizer Asylpolitik ist nicht beschreibbar aus der Sicht der großen Namen, die die Behörden akzeptieren, mit denen sich die offizielle Schweiz zu gegebenem Anlaß gerne schmückte.« Doch jenes Berner Bundesamt für Flüchtlinge, das nach 1933 vielen an Leib und Leben bedrohten Menschen den Schutz versagt hat, schmückt sich weiterhin mit diesen Namen – bald 60 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und ein Vierteljahrhundert nach der wegweisenden Arbeit des DDR-Wissenschaftlers Werner Mittenzwei zum »Exil in der Schweiz«, der das Zitat entnommen ist. Die Berner Behörde, die nun selber ein Buch vorgelegt hat, hofft, daß die Auseinandersetzung mit dem Vergangenen Einsichten für das heutige Handeln ermöglicht. »Die in der Publikation gewonnenen Erkenntnisse sollen als Plattform des Nachdenkens dienen und den notwendigen permanenten Dialog zwischen den Entscheidungsträgern des Bundesamtes, dem Gesetzgeber und der Öffentlichkeit fördern.« Es ist erfreulich, daß die Autoren das Handeln ihrer Vorgänger im Amt kritisch/selbstkritisch überprüfen. Sie wagen damit einen großen Schritt in der Aufarbeitung der Flüchtlingspolitik 1933–1945. Aber da sie sich auf Beispiele für das Verhältnis zwischen den damaligen Behörden und einzelnen prominenten Schutzsuchenden beschränken, vermittelt das Buch verglichen mit der exzellenten Analyse von Mittenzwei kaum neue Einsichten und Erkenntnisse, z.B. zu Bertolt Brecht, Thomas Mann, Robert Musil und Ignazio Silone. Interessante Ergänzungen finden sich zu Michel Olian, Frederica Spitzer und Ste-phan Hermlin. Die Aufarbeitung der Flüchtlingsdossiers beeindruckt. Die Autoren haben akribisch recherchiert, zurückhaltend interpretiert und maßvoll redigiert. Die Herausgeber betonen, dies sei ein Einstieg in die Aufarbeitung der im Bundesamt für Flüchtlinge aufbewahrten und noch nicht ausgewerteten 440 000 Dossiers. Das wären dann nicht die Unterlagen »der kleinen, bevorzugten Schicht der anerkannten politischen Emigranten«, sondern die »der großen Masse von Flüchtlingen«, um noch einmal Werner Mittenzwei zu zitieren. Herbert Altenburg Bundesamt für Flüchtlinge:»Prominente Flüchtlinge im Schweizer Exil«, mit einer Einleitung von Peter von Matt, Medien & Kommunikation Bern, 387 Seiten, 32 SFr
Hein, der schonungslose Chronist»Das Vertriebenen-Problem zählte in der Literatur der DDR zu den Tabuthemen ersten Ranges«, so Ulf Heise kürzlich in der Märkischen Allgemeinen, und er ist nicht allein mit dieser Behauptung, die dennoch schlicht falsch ist. Es gab über dieses heikle Thema zwar nicht viele Texte, aber immerhin – Autoren wie Johannes Bobrowski, Franz Fühmann, Christa Wolf, Alfred Wellm haben darüber geschrieben. Christoph Hein erzählt in seinem neuen Buch vom Leben nach der Flucht bis in die neunziger Jahre, und da freilich bricht er mit seiner Darstellung wirklich ein Tabu: Sein Vertriebener, Bernhard Haber, kann nicht mit dem Mitleid und der Sympathie der Leser rechnen. Das aber war die Regel: Vertriebene, in der DDR Umsiedler genannt, sind redliche Menschen, weil sie Schlimmes erlebten, und die, die sie aufnehmen, haben ein schlechtes Gewissen ihnen gegenüber, weil sie das Schlimme nicht erlebten und dennoch nicht allzu viel Mitleid hatten. Bernhard Habers Art, sich anzupassen, ist für die Eingesessenen wiederum kein Ruhmesblatt: Der spröde, als fremd beargwöhnte und ausgestoßene Junge wird genauso rücksichtslos und egoistisch wie sie. Christoph Hein erweist sich wieder als der schonungslose Chronist deutscher Nachkriegsgeschichte. Weder schont er die Geschichtslegenden und die reichen Eingesessenen noch die Leser, die zu den heute Fremden nicht viel besser sind. Hein läßt fünf Leute erzählen, die Haber in den einzelnen Lebensstationen nahe gestanden haben. Das schafft noch einmal Distanz, aber auch Atmosphäre, und zugleich kommen andere Schicksale in den Blick. Jeder ist/war sich selbst der Nächste. Wer das am besten beherrschte und sich nicht erwischen ließ, kam zu etwas. Daß es dabei einen 17. Juni 1953 und Agitation für Genossenschaften gegeben hat, weist auf das Land, in dem das Ganze sich abspielte. Es wäre südlich oder westlich in einem Provinznest nicht viel anders gewesen. Deutsche Geschichte und Geschichten, ganz schön erbärmlich, aber sehr wahr. Christel Berger Christoph Hein: »Landnahme«, Suhrkamp, 357 Seiten, 19.90 €
Texte, Theorien und MethodenDie Germanistin Christa Bürger, die als Gymnasiallehrerin begann, bevor sie 25 Jahre an der Universität Frankfurt am Main lehrte, erkannte früh die Reformbedürftigkeit der westdeutschen Pädagogik. Ihr Lebensbericht zeigt, daß ihre reformatorischen Bestrebungen nicht nur auf Gegenliebe stießen, sondern oft auch und gerade in den eigenen Reihen auf Abwehr. Vor allem war ihr immer daran gelegen, Literaturwissenschaft und Literaturdidaktik nicht voneinander zu trennen. Sie ist in diesem Buch ihrem seit langem praktizierten intellektuellen Anspruch treu geblieben, demnach ein Fach wie die Literaturwissenschaft nicht allein literarische Texte und Theorien, sondern auch die eigenen Methoden zu reflektieren habe. Mit Christa Bürger entdeckt der Leser eine engagierte Wissenschaftlerin, die mit den Inhalten ihrer Forschungen auch ihren theoretischen und methodologischen Ansatz einer eingehenden Prüfung unterzieht. Bemerkenswert ist dieser Bericht nicht allein für Germanisten, die freilich eine Menge von ihrer Kollegin lernen können, vielmehr für alle Lehrenden, die einen ähnlich hohen Anspruch an ihren Beruf haben wie Christa Bürger. Kai Agthe Christa Bürger: »Mein Weg durch die Literaturwissenschaft 1968–1998«, Suhrkamp-Verlag, 289 Seiten, 12 €
Bengschs WendeschicksaleJeder von uns kennt sie, Bekannte, Freunde, Verwandte, deren Lebenswege nach der Wende in ganz andere Bahnen gerieten: Ehemaliger Werksdirektor, der arbeitslos wird, zufällig erbt, zusammen mit einem kundigen Wessi ein Unternehmen aufmacht, Pleite geht. Ehe kaputt, Geld weg. – Regisseurin beim Deutschen Fernsehfunk, die es nach der Wende mit Serien über Tiere und Kinder versucht. Gerettet wird sie von einem alten österreichischen Hotelbesitzer, der sie heiratet. Happy end am Wörther See. – Ingenieur der Kältetechnik gerät nach der Wende aus der Bahn: Job, Familie, Häuschen weg. Er strampelt sich mächtig mit verschiedenen Frauen in unterschiedlichen Arbeiten und Gelegenheiten ab, nur hochstapelnd gelingt ein gewisses Vorankommen, intelligent und gerissen genug ist er ja mittlerweile. – Ehemaliger NVA-Major wird nach kurzen erfolglosen Versuchen Immobilienhändler und benimmt sich so, daß ihn Jupp Wonninger aus Dortmund für einen Wessi hält. Alles bekannt, aber wenn Gerhard Bengsch es erzählt, bekommt es den Carme, den gute Erzählungen brauchen: Humor und Mitgefühl, genaue Details, gelungene Pointen und gekonnte Dialoge tun das Übrige. Gerhard Bengsch ist Profi (zahlreiche Drehbücher für DEFA- und Fernsehfilme, in den 90iger Jahren Satiren), und er hat sich den Sinn für gute Stoffe und interessante Schicksale bewahrt. Man spürt den Spaß beim Schreiben, aber auch, daß ihn eigentlich der Ernst der Lage rührt. Da kann er nur noch satirisch oder komisch »zurückschlagen«. Aber was wird mit dem Dortmunder Jupp, der sein ganzes Leben »malocht« hat und nun überraschend reich werden könnte, wenn er es über das Herz bringt, seinen Ost-Kumpel unglücklich zu machen? Bengsch ist Realist... Christel Berger Gerhard Bengsch: »Der Colonel vom Cattenberg«, Erzählungen, Scheunen-Verlag, 288 Seiten, 9.90 € – Während der Vorbereitung dieses Heftes ist Gerhard Bengsch überraschend gestorben.
Erfolgreich unzufriedenDer Plot dieser »Midlife Story« des 1966 in Luzern geborenen Autors Rolf Dobelli ist nicht neu: Ein glänzender Kopf der Wirtschaftswelt hat mit 35 Jahren alles erreicht, was man sich wünschen kann – und ist dennoch unzufrieden. Von seiner Firma mit einem vierwöchigen Lehrgang in Harvard ausgezeichnet, flieht er nach nur drei Tagen nach Indien. Doch wie der Reisende in Bertolt Brechts Gedicht »Der Radwechsel« ist auch Gehrer nicht gern dort, wo er hin muß, noch dort, wo er herkommt. Zum Zeitpunkt der rasant und leichthändig erzählten Geschichte sitzt Gehrer, durchnäßt vom Dauerregen, am Zürichsee, um über sein Dasein nachzudenken. Als Manager ist er abgeklärt und routiniert, als Geschäftsmann eine geradezu Respekt gebietende Erscheinung. Sine Frau hat als Rechtsanwältin Erfolg. Er verkehrt in den besten Kreisen der Stadt und verheimlicht, wie rührend, seiner Mitwelt aus einem Rest von Bescheidenheit, daß er als Zweitwagen Porsche fährt. Der Grund für Gehrers Grübelei müßte dem Leser, der jede Münze zweimal umzudrehen hat, ein Rätsel bleiben, könnte man sich nicht mit der Binsenweisheit trösten, daß selbst der, der sich alles leisten kann, nicht davor gefeit ist, die Frage nach dem Sinn allen Tuns zu stellen. »Fünfunddreißig« ist ein zeit-gemäßer Roman über die Schwierigkeit, mit überdurchschnittlich großem beruf-lichem Erfolg umzugehen. Aber er ergreift nicht wirklich, weil Gehrers Welt nicht die unsere ist und man im Laufe der Lektüre immer wieder zu der Er-kenntnis gelangt: Mensch, Gehrers Probleme möchte ich haben! Kai Agthe Rolf Dobelli: »Fünfundreißig. Eine Midlife Story « , Diogenes Verlag, 203 Seiten, 16,90 €
Kreuzberger NotizenDieser Artikel ist aus urheberrechtlichen Gründen nicht verfügbar.
Stille DiplomatieWas geht in den Köpfen derjenigen vor, die in der Zentrale des Deutschen Gewerkschaftsbundes von Berufs wegen sich Gedanken machen? Als schlichtes Mitglied einer DGB-Gewerkschaft wüßte ich das gern, und deshalb nehme ich mir von Zeit zu Zeit einblick vor, den DGB-Infodienst. In der jüngsten Ausgabe desselben beschreibt Konrad Klingenburg (in der Grundsatzabteilung des DGB für den Kontakt zu den Parteien und politischen Organisationen zuständig), wie seiner Meinung nach das Ansehen und der Einfluß der Gewerkschaften gemehrt werden können: »Seriös, nicht marktschreierisch« sollen die Gewerkschaften auftreten, die »Dinge auch einmal unkommentiert und die Mikrophone unbeachtet lassen«, »weniger drohen und mehr überzeugen«, es müsse sich auch nicht »jeder mit einer eigenen Kampagne in gesellschaftliche Debatten einmischen«, »stille Diplomatie« könne »wirksamer sein als lautstarker Protest«. Jetzt weiß ich Bescheid. Wären die deutschen Gewerkschaften nicht so geräuschvoll gewesen, dann hätte der Bundeskanzler sich die »Agenda 2010« gar nicht erst einfallen lassen, und die Unternehmerschaft würde ihnen nichts Böses antun wollen; gewerkschaftliche Schreihalsigkeit ist es, die das kapitalistische Behagen an der Sozialpartnerschaft unnötigerweise verunsichert hat. Marja Winken
Press-KohlDie Nachrichtenagentur dpa rühmte die »außergewöhnliche Gesundheit und das hohe Engagement« eines ungenannten Lehrers, »der in 34 Dienstjahren kein einziges Mal krankgeschrieben war. Und nun kommt das Wichtigste: »Bildungssenator Klaus Böger (SPD) bezeichnete den ununterbrochenen Einsatz als bemerkenswertes Zeichen und würdigte das pädagogische Engagement mit einer Urkunde.« Nett. Eine hübsche Urkunde ist billiger als eine gute Uhr. Der Berliner Bildungs-Bildner hätte den dpa -Leuten den Namen des 34 Jahre lang ununterbrochen tätigen Erziehers nennen können, aber wichtiger ist der Name des Senators: K. Böger, der unlängst, als er überdurchschnittlich begabten Schülern mitteilte, Pompeji sei ein Ort in Griechenland, nicht mal in Verlegenheit geriet. Ein Bildungssenator muß nicht gebildet sein, solange er weiß, daß die schönsten Blumen aus dem spanischen Athen kommen: die Zirrhosen, von uns Sitzenbleibern Zier-Rosen genannt. * Joachim Bennewitz ließ uns diesen Ausschnitt aus einer hiesigen Zeitung zukommen: »… Die überfällige Währungsreform, die die Diskrepanz zwischen Kaufkraft und Warenangebot beseitigen sollte, entwertete alle Guthaben bis zu 10 000 Kronen um das Fünffache, darüber liegende Beträge bis ums Dreißigfache «. Aus Gründen der Zuständigkeit haben wir diese interessante Rechenkünstler-Anregung des Blattes Neues Deutschland an den Minister für Rechenkunst, Herrn Eichel, weitergeleitet. Felix Mantel
Erschienen in Ossietzky 6/2004 |
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