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Graue Gestalten wälzen sich heran, unter uns, neben uns, berühren uns, kein Ausweichen möglich. Das ist die Szenerie des »Fünften Evangeliums« von Slobodan Snajder nach »Das KZ an der Save«, dem erst 1999 veröffentlichten Tagebuch von Ilija Jakovljevic. Uraufgeführt vom Theater »Ze Kae M« aus Zagreb, inszeniert von dem kroatischen Dramaturgen Branko Brezovec. Tatort ist ein Nebenlager des vom Ustascha-Regime errichteten Vernichtungslagers Jasenovac. Das Lager Stara Gradiska war für politische Gefangene vorgesehen, ab 1942 wurden auch Frauen interniert. Hier mußten die Häftlinge Klinker herstellen – so wie in dem Hamburger Lager Neuengamme. Der Schriftsteller Jakovljevic notiert alles, für sich und die Nachwelt. Dieses Buch wird das fünfte Evangelium sein, heißt es – Dokumente der Gewalt. Da ist die Figur des Erhabenen, der später zu einem Unbekannten wird, sich im Nicht-Sein unsichtbar machen will, schwarz, ohne Gesicht, wie andere auch. Einige verwandeln sich, wie Maks Luburic, der Ustascha-General, der 1941 durch Deutschland reiste, KZ-Lager besuchte zum Studium für Kroatien. Und der auch in Sarajevo wütete. Der sich alles notierte über Zyklon-B, die Vernichtungsmaschinerie. Er ändert seine Identität später, wird Zigeuner – die es nicht mehr gibt im Lager, im Staat. Musik wird gebraucht, zum Töten, zum Feiern. Gesang und Musik auf traditionellen Instrumenten geben der Aufführung eine besondere Eindringlichkeit, sie gehören dazu als Teil des Ganzen. Und die Poesie des Dichters, die so gar nicht paßt zur Grausamkeit. Die Pflanzenwelt als Utopie des Karla Kovacevic, genannt Onkel Karla. Ein altjugoslawischer Politiker, Mitglied des Belgrader Parlaments. Der hingerichtet wurde im Lager. Auf einer Glasscheibe über dem engen Raum, wie ein Fenster nach draußen, bleiben Blätter liegen aus Onkel Karlas Herbarium. Er verwandelt sich in einen haarigen Käfer ohne Flügel – will kein Mensch mehr sein müssen. Ein Gespräch über Pflanzen im KZ – kroatisch gesprochen? Auf der Wand gegenüber erscheint der deutsche Text: »Aus dem Verräterschwein ist ein ganzes Faß Blut geflossen.« Ein Haus wird hereingefahren, eine Baracke aus Spiegeln, mit Fenstern, darin sitzt der Erhabene, er, der jede Gestalt annehmen kann. Das Mädchen Dika, davor kauernd, fragt: »Sie töten also aus Angst?« Er: »Nein, weil es sein muß.« Ein absurdes Gespräch über den eigenen Schatten folgt. Dika fragt: »Ich habe geglaubt, ihr Ustaschi habt keinen Glauben.« Er zitiert einen anderen: »Ich werde in der Hölle schmoren, aber ich schmore wegen Kroatien.« Sie will ihn streicheln – er denkt an ihre Hinrichtung, bei der er helfen würde: »Es wird dir nicht weh tun…« Sie wickelt sich frierend in ihren Schatten aus weißem Papier. Die Angst ist immer präsent. Wenn eine Holzwand zwischen die Zuschauer geschoben wird, wenn sich der Boden zu bewegen scheint. Nein, das Podest, auf dem ich sitze, bewegt sich nach vorn, erzeugt Beklemmung. Vor mir Jakovljevic, gequält, mit einem Knebel im Mund, greifbar nah, unausweichlich. Ich sehe mich selbst, gespiegelt, irgendwo auf der Wand. Oder wenn die Folter- und Mordwerkzeuge, folkloristisch verziert, mich zu berühren scheinen. Ante Pavelic, wie er als Riesenfoto aus der Wand hervorsieht, wirkt eher lächerlich. Der Erhabene spricht mit dem Dichter auf der Latrine: »Unsere Aufgabe war die Reinigung des völkischen Organismus… Was immer mit uns geschieht, was immer die Großen in diesem Krieg entscheiden werden, der Kroate wird nie mehr etwas Gemeinsames haben mit dem Serben.« Jakovljevic zaghaft: »Trotzdem, ihr könnt nicht anderthalb Millionen Orthodoxe umbringen.« Der Erhabene: »Auf diesem heiligen, vaterländischen Boden… Sie verstehen das nicht.« Das Haus aus Spiegeln, es kommt gefahren, mit der jugoslawischen Fahne geschmückt – fährt vorbei. Dann erscheint Maja Buzon, die Leiterin des Frauenblocks, Seile und Kreuze tragend, die sie verteilt – zur Buße? Die Ustaschi singen – so steht es im Textbuch. In der Aufführung aber – eine Änderung zum fünften Jahrestag der Bombardierung Belgrads? – singt ein anderer. Der General Edmund Glaise von Horstenau, als Bevollmächtigter Deutscher General nach Zagreb berufen, kommt mit einem geflügelten Gefährt auf die Bühne und singt: Brechts Kinderhymne, »…daß ein gutes Deutschland blühe«, singt »und nicht über und nicht unter andern Völkern wolln wir sein«. Karla Kovacevic, Onkel Karla, hört ihm zu, zitternd vor Wut. Joseph Fischer, der gute Deutsche sagte: »Nie wieder Auschwitz!« und trat ihn nieder, den Satz – fünf Jahre ist es her. Die nächste Szene führt zurück in ein deutsches Lager. Der General ist zum SS-Mann geworden, der Maks Luburic herumführt, der Erhabene dolmetscht. »Kroaten, alle Achtung! Ihr führt schon seit Jahrhunderten Krieg. Kennen Sie Schillers Wallenstein?« fragt er, mit großen Schritten über die Baracken steigend. Die Tribüne mit den Zuschauern gerät in Bewegung, geht in Richtung der großen los, schiebt die KZ-Baracken zusammen wie ein Bulldozer. »Das fünfte Evangelium« gehört zum Beiprogramm der neuen, gesäuberten Wehrmachtsausstellung, die hier in Hamburg, gleich nebenan auf Kampnagel, ihrer letzten Station, noch bis Ende März zu sehen ist, bevor sie in einem Museumskeller verschwindet.
Erschienen in Ossietzky 6/2004 |
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