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Wer reist schon nach Mittelamerika, um »Archaische Sozialbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert« zu untersuchen (»Sozialrebellen«)? Durch wen erfährt man die sozialen und politischen Hintergründe des Franco-Krieges (»Spanische Revolution«) ebenso wie die der italienischen Mafia und der kolumbianischen Violencia? Man erfährt all dies durch einen Hochschullehrer, der seinen Studenten in Cambridge nicht nur Lesungen aus seiner »Britischen Wirtschaftsgeschichte seit 1750« gehalten hat, sondern auch über die Volksfront-Regierung in Frankreich. Dieser Marxist ist 1932, als 15jähriger, in Berlin in eine kommunistische Schülerorganisation und dann in die Kommunistische Partei eingetreten und nie wieder ausgetreten, denn »die Gründe für einen Austritt waren einfach nicht stark genug«. In Deutschland oder in den USA wäre es nicht möglich gewesen, daß ein solches Parteimitglied zum berühmten Professor avanciert, in England waren die Verhältnisse anders. Hobsbawm glaubt, daß auch ein individuelles Motiv eine Rolle gespielt hat, denn »ich darf ein persönliches Gefühl nicht vergessen: Stolz. Wenn ich das Handikap meiner KP-Zugehörigkeit abgestreift hätte, wäre dies meiner Karriere zugute gekommen, nicht zuletzt in den USA. Es wäre ein leichtes gewesen, sich in aller Stille zu verabschieden. Aber ich konnte mich vor mir selbst beweisen, wenn ich als bekannter Kommunist erfolgreich sein würde – was immer ›Erfolg' bedeutete –, trotz dieses Handikaps und mitten im Kalten Krieg.« Doch auch Erfolg hätte ihn in der Bundesrepublik der Berufsverbote nicht vor dem Rausschmiß bewahrt. Der hannoversche Hochschullehrer Peter Brückner, der mir dabei in den Sinn kommt, war nie Kommunist, aber ein Linker, der deshalb von dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht aus dem Amt gejagt wurde und bald starb. Was denkt ein lebenslanger Kommunist heute? Er träumt: »Der Traum der Oktoberrevolution ist immer noch irgendwo in meinem Innern da, so wie gelöschte Dateien irgendwo auf der Festplatte eines Computers noch immer darauf warten, von Experten wiederhergestellt zu werden. Ich habe es aufgegeben, ja verworfen, aber es ist nicht zerstört worden... Der Hammer und die Sichel der Sowjetunion haben diese Hoffnung symbolisiert.« Über einen Traum reichen diese Erinnerungen heute nicht mehr hinaus, und man hat den Eindruck, daß inzwischen auch seine Kenntnis der Realität verschwommen ist. In seinem Buch »Das Gesicht des 21. Jahrhunderts«, das vor fünf Jahren erschienen ist, sagt er über die Armen unserer Länder: »Sie brauchen sich keine Sorgen mehr über ihr tägliches Brot zu machen, und sie müssen lediglich entscheiden, ob sie ein Baguette-Sandwich mit gekochtem oder mit Räucherschinken und mit frischen oder mit getrockneten und eingelegten Tomaten wollen...« Wie ist bei einem marxistischen Historiker eine solche Wahrnehmungsstörung möglich? Existiert für ihn die entsetzliche Hoffnungslosigkeit der Arbeitslosen nicht? Worauf gründet sich seine Überzeugung, »daß die vertikale Verringerung von Phänomenen wie endemische Armut und die Emanzipation der Menschheit aus dem Reich des Mangels zu mehr Glück und Zufriedenheit beitragen werden«? Seine Autobiographie entschlüsselt, daß sein Lebensweg auch von den Annehmlichkeiten des Reichtums beeinflußt wurde: Er flog, als Stipendiat der Rockefeller Foundation, erster Klasse, wohnte in Luxushotels und näherte sich allmählich einer Auffassung an, die er seiner New Yorker Kollegin Agnes Heller in den Mund legt: »Ich mochte die Reichen nicht, heute schäme ich mich dafür.« Noch etwas: Er nahm allmählich nicht mehr an den politischen Kämpfen teil und ist in der Rückschau »überrascht, wie gering meine direkte politische Aktivität in meinem Leben nach 1956 war, wenn man meinen Ruf als engagierter Marxist bedenkt. Ich übernahm keine führende Rolle in der Bewegung für atomare Abrüstung und hielt keine Rede vor großen Menschenmengen im Hyde Park wie Edward Thompson. Ich marschierte nicht an der Spitze einer öffentlichen Demonstration wie Pierre Bourdieu in Paris. Ich bewahrte keinen türkischen Redakteur vor dem Gefängnis, der einen meiner Artikel veröffentlicht hatte, indem ich anbot, ihm in seinem Prozeß als Mitangeklagter zur Seite zu stehen, wie Noam Chomsky dies 2002 getan hat... Abgesehen von vereinzelten Vorträgen erschöpfte sich meine politische Aktivität im wesentlichen darin, Bücher und Aufsätze zu schreiben... Selbst meine politischsten Schriften der sechziger und siebziger Jahre hingen nur indirekt mit aktuellen Themen zusammen...« Dieses Kapitel hat die Überschrift »Ein politischer Beobachter« – nicht ein politischer Kämpfer. Trotzdem bleibt er für mich ein außergewöhnlich interessanter Mensch. Es tut mir nur sehr leid, wie er »das Bild – wenn es denn eines gab – der wunderbaren Hoffnungen, die wir für das menschliche Leben hegten«, verloren hat, weil es überlagert wurde durch die Warenwelt, »durch die Vielfalt von Gütern, Dienstleistungen, Lebensschancen und persönlichen Wahlmöglichkeiten ..., die heute der Mehrheit der Männer und Frauen in den unglaublich wohlhabenden und technisch fortgeschrittenen Ländern der Welt zur Verfügung stehen. Marx und Engels haben es klugerweise unterlassen zu beschreiben, wie die kommunistische Gesellschaft aussehen würde. Doch das meiste von dem wenigen, was sie über das Leben des einzelnen in dieser Gesellschaft gesagt haben, erscheint heute – ohne ein Dazutun des Kommunismus – als das Ergebnis jener gesellschaftlichen Produktion einer potentiell fast grenzenlosen Fülle und jenes erstaunlichen technischen Fortschritts, die von ihnen in einer unbestimmten Zukunft erwartet wurden, heute jedoch als eine Selbstverständlichkeit gelten.« Auch den hunderttausenden Menschen, die in diesem Jahr in Deutschland ihre Arbeit verlieren werden? Eric Hobsbawm: »Gefährliche Zeiten«, Hanser Verlag, 500 Seiten, 24,90 Euro
Erschienen in Ossietzky 6/2004 |
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