Schmierentheater

Arno Klönne

Die deutsche Sozialdemokratie in ihrer historischen Form wird die »Agenda 2010« nicht überstehen. Ihre Mitgliederbasis bröckelt weg, gewerkschaftlich engagierte ArbeitnehmerInnen trauen ihr nicht mehr über den Weg. Es bleibt nicht ungestraft, wenn Parteiführer und Regierungspolitiker einen gesellschaftlichen Umsturz betreiben, den die Mehrheit derjenigen, die sie zu repräsentieren vorgeben, für zerstörerisch hält. Und eine Mitgliederpartei läßt sich nicht von ober her in eine Marketingtruppe fürs Machtmanagement verwandeln, ohne daß Menschen auf die Idee kommen, in diesem Verein seien sie fehl am Platze.

Der Verdruß über die soziale Demontage und den Demokratieverlust im Parteien- und Parlamentsbetrieb trifft derzeit vornehmlich die SPD, aber er wird sich zunehmend auch gegen die Unionsparteien richten. Außerparlamentarisch kommt eine neue Opposition auf, soziale Bündnisse und politische Initiativen gewinnen an Einfluß. Und es ist nicht verwunderlich, daß sich manche Bürgerinnen und Bürger auch Gedanken darüber machen, wie eine Alternative zu Grün-Rot-Schwarz-Gelb bei den Wahlen zustande kommen kann.

Aber nun haben Profis in Publizistik und Politik es verstanden, das Thema als Schmierenstück auf die Bühne zu bringen – möglicherweise die einen wohlberechnet, andere aus Mangel an Unterscheidungsvermögen. Zeitungsberichte malen Gruselbilder von verschwörerischen Gewerkschaftsfunktionären, die in geheimen Datennetzen ein »linkspopulistisches« Parteiunternehmen konstruieren. Der Noch-Generalsekretär der SPD animiert zur innerparteilichen Fahndung nach »Dissidenten«. Im Hintergrund lauere Oskar Lafontaine, so wird journalistisch vermutet – und hatte nicht auch schon mal Gregor Gysi derartige Ambitionen? Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer warnte beim Erfurter Kongreß der SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen vor einer Neugründung und meinte: »Auch wenn es schwerfällt, wir gehen nicht raus, wir gehen rein in die SPD.« Eine kuriose Äußerung, denn als ideeller Gesamtgewerkschafter dürfte Sommer weder zum Aus- noch zum Eintritt in die eine oder eine andere Partei auffordern, und außerdem sollte er hinreichend damit zu tun haben, Menschen zum Eintritt in eine Gewerkschaft zu animieren. Kirsten Rölke vom Vorstand der IG Metall hieb (in einem Interview der Frankfurter Rundschau ) in dieselbe Kerbe: Auf keinen Fall sollte sich eine neue linke Partei gründen, vielmehr müsse man »in den bestehenden Parteien, vor allem in den Regierungsparteien, für gewerkschaftliche Positionen werben.«

Sie selbst sei in dieser Absicht bei der SPD, ein Vorstandskollege bei der CDU tätig. Man kann nur hoffen, daß möglichst wenig IG Metall-Mitglieder unter den Leserinnen und Lesern der FR dieses Interview studiert haben, denn solche Aussagen könnten die Austrittswelle bei der Gewerkschaft verstärken.

Immerhin gab es, wie mitunter in einem Schmierenstück, auch einen Lichtblick: Frank Bsirske, der Vorsitzende von ver.di, nahm zur Parteigründungsdiskussion mit dem Satz Stellung. »Eine Partei kann gründen, wer will.« Das legt die Ausdeutung nahe, er, Bsirske, werde keine Partei gründen, aber auch: Niemanden werde die Gewerkschaft daran hindern, eine neue Partei zu gründen. Beides eigentlich selbstverständlich – aber offenbar verdient in diesem Schauspiel ein Gewerkschaftsakteur schon Beifall, wenn er auf Absurditäten verzichtet.

Erschienen in Ossietzky 6/2004