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Jahrzehntelang sah es so aus, als hätte die damalige politische Spitze Finnlands – getragen von einer Koalition aus Bürgerlichen und der damals von dem rechtsorientierten Politiker Väinö Tanner geprägten Sozialdemokratischen Partei – in dieser Hinsicht eine reine Weste. Dem Ansinnen der mit ihr verbündeten Auschwitzbetreiber, auch die finnischen Juden ins Gas zu schicken, hatte sie sich anscheinend erfolgreich widersetzt. Ein offizielles Auslieferungsersuchen Berlins gab es nicht, aber der frühere finnische UNO-Botschafter Max Jacobson und andere Autoren berichten übereinstimmend, Nazi-Führer Heinrich Himmler habe bei seinem Finnland-Aufenthalt im Sommer 1942 in einem Gespräch mit dem damaligen Premier J. W. Rangell die Auslieferung der Juden gefordert. Rangell soll darauf geantwortet haben, Finnlands Juden seien Bürger wie alle anderen und nähmen zum Beispiel auch am Krieg gegen die Sowjetunion teil, es gebe es in Suomi »keine Judenfrage«. Aber diesen Mythos hat die heute 56-jährige finnische Historikerin und Sozialwissenschaftlerin Elina Sana in zwei Etappen zerstört. Bereits 1979 sorgte sie mit ihrem Buch »Todesschiff S/S Hohenhörn« für eine erregte Debatte über das Thema »Finnland und der Holocaust«. Darin schildert sie, daß am 6. November 1942 acht jüdische Flüchtlinge (darunter eine Frau und zwei Kinder), die in Finnland Schutz gesucht hatten, von den finnischen Behörden mit dem Schiff S/S Hohenhörn in deutsche Konzentrationslager deportiert wurden; nur ein Mann überlebte, die anderen wurden in Auschwitz umgebracht. Finnland, das zunächst etwa 500 jüdische Flüchtlinge aus Zentraleuropa aufgenommen hatte, schloß alsbald die Tore. Während 350 von ihnen nach Schweden oder in die USA ausreisen konnten, wurden die verbliebenen 150 in Lagern konzentriert, wo viele der männlichen Flüchtlinge Zwangsarbeit leisten mußten. Eine Folge der rigiden Flüchtlingspolitik war die Abweisung von zwei größeren Gruppen jüdischer Flüchtlinge. Das betraf 60 jüdische Schutzsuchende aus Österreich, die im August 1938 an Bord des Schiffes »Ariadne« nach Helsinki kamen, und eine noch größere Anzahl von Juden, die im Februar 1939 von Stettin aus mit der »Nordland« den Nazischergen zu entkommen hofften. Elina Sanas neues Buch »Luovutetut« (Die Ausgelieferten) erregte bei seinem Erscheinen im November 2003 nicht weniger Aufmerksamkeit als ihr erstes Werk. Denn nach ausgiebigen Recherchen in finnischen und deutschen Archiven sowie Gesprächen mit Angehörigen von Opfern fand sie heraus, daß die finnische Staatspolizei Valpo von 1941 bis 1942 und in einigen Fällen bis 1944 mindestens 129 Zivilisten (darunter finnische Kommunisten, die sich zeitweise in der UdSSR aufhielten, Esten und Flüchtlinge aus Zentraleuropa) an das faschistische Deutschland auslieferte. Außerdem deportierten die finnischen Militärbehörden im Rahmen eines Gefangenenaustausches annähernd 3000 sowjetische Kriegsgefangene – vielfach Politkommissare, wohl wissend um den Liquidierungsbefehl Hitlers. Die Grundlage dafür, so weist die Forscherin nach, war eine intensive Zusammenarbeit der Valpo mit der Gestapo zur »Bekämpfung des Kommunismus«. Unter den Ausgelieferten beider Gruppen identifizierte Elina Sana 70 Juden. Das hat die finnische Öffentlichkeit um so mehr schockiert, als man geglaubt hatte, nach dem Gedenken an jene acht Ausgelieferten von der S/S Hohenhörn – am 6. November 2000 enthüllte der damalige finnische Premier Paavo Lipponen in Helsinki ein Denkmal für sie und bat die jüdische Gemeinde um Vergebung – sei dieses Kapitel beendet. Aber nun sahen sich die Finnen mit dem Satz Sanas konfrontiert: »Finnlands Anteil am Holocaust ist bedeutend größer, als bisher zugegeben wurde.« Und laut Sana könnten es leicht noch mehr Opfer sein. Die finnischen Behörden hatten nämlich schon 1943 begannen, Dokumente zu vernichten. Das Sana-Buch hat sogleich auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Tel Aviv auf den Plan gerufen. In einem Brief an Präsidentin Tarja Halonen verlangte es von der finnischen Regierung eine Untersuchung der Deportationen von Juden und, sofern noch möglich, eine Bestrafung der Verantwortlichen – eine Forderung, auf die Halonen und Premier Matti Vanhanen schnell reagierten. Sie beauftragten den Historiker Heikki Ylikangas (in Deutschland durch sein Bürgerkriegsbuch »Der Weg nach Tampere« bekannt) mit einer ersten Bewertung der Angaben Sanas und erbaten Vorschläge, wie Finnland weiter verfahren sollte. Professor Ylikangas läßt in seinem Mitte Januar übergebenen Report keinen Zweifel daran, daß die Erforschung der Kriegsjahre teilweise neu bewertet werden müsse. »Nach dem Krieg«, meint er, »betrachteten es die Forscher lange Zeit als ihre patriotische Pflicht, Finnlands Ehre zu verteidigen und alle Entscheidungen möglichst günstig zu interpretieren. Aber wenn wir heute solche Forschungen unternehmen, wollen wir die Ehre des heutigen Finnland wahren – eines Finnland, das offen und demokratisch sein und nichts verbergen möchte.« Ylikangas empfiehlt in seinem Report zunächst die vollständige Aufklärung des Schicksals der von Elina Sana identifizierten Opfer finnischer Kriegspolitik, wobei er die Auffassung vertritt, jene 70 jüdischen Deportierten seien nicht in erster Linie wegen ihres mosaischen Glaubens auf die Listen der Staatspolizei gekommen, sondern weil sie zugleich Kommissare oder unliebsame Kommunisten waren. Nach seinen Erkenntnissen, so sagte er mir, seien nach dem Herbst 1942 keine Juden mehr nach Deutschland ausgeliefert worden. Denn nach dem »Hohenhörn«-Transport hätten sowohl finnische Zeitungen als auch einzelne sozialdemokratische Minister ihre Stimme gegen solche Deportationen erhoben. Zur weiteren Aufklärung finnischer Politik während des Zweiten Weltkrieges schlägt Ylikangas unter anderem vor, das Schicksal aller sowjetischen Kriegsgefangenen zu untersuchen; über ein Drittel der insgesamt 56 500 registrierten Gefangenen kamen in finnischen Lagern um. Darüber hinaus wünscht Ylikangas die Aufklärung des Schicksals der 56 000 Ingermanländer, die nach dem Waffenstillstand von 1944 von Finnland in die Sowjetunion überstellt wurden. Die finnisch-ugrischen Ingermanländer waren aus ihren von Nazitruppen besetzten Siedlungsgebieten nahe Leningrad nach Suomi evakuiert worden. »Das sind große Aufgaben«, meint Ylikangas, »die aber wohl nur in Zusammenarbeit mit russischen Forschern gelöst werden können.« Unterdessen hat die Regierung die Finnische Akademie der Wissenschaften mit der Aufarbeitung beauftragt. Bei ihren Untersuchungen stieß Elina Sana auf ein Stück eigener Familiengeschichte. Während des Krieges war ihr Vater Dolmetscher bei Wehrmachtseinheiten in Nordfinnland; sie hält es für wahrscheinlich, daß er von den Auslieferungen wußte. »Mein Vater erlitt schwere psychische Schäden durch den Krieg«, berichtet Sana. Sie brachte es bis zu seinem Tode nicht über sich, mit ihm über jene Zeit zu sprechen. Sana glaubt, daß hunderte Finnen die gleiche Bürde getragen haben, manche bis heute.
Erschienen in Ossietzky 5/2004 |
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