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Wer drauf tanzt, kann abgeschossen werden oder Neuland gewinnen. Wer gewinnt, ist Besetzer, wer verliert, wird Besetzter. Als Westdeutscher unterlag ich den Reisebeschränkungen der Ostdeutschen in umgekehrter Richtung: Sie durften nicht in die BRD, ich nicht in die DDR. Von Eisenach über Moskau bis Wladiwostok erstreckte sich für mich eine verbotene Zone. So reiste ich eben an die Adria, nach Jugoslawien, Mallorca oder auf die Kanaren. Da schwimmen heute überall Sachsen und Thüringer herum, lauter Folgen der verschwundenen Mauer. Die Ostdeutschen beklagen ihre fehlenden Arbeitsplätze. Die nahmen sie eben mit, als sie mit den Füßen abstimmten. Nur mangelt es komischerweise heute auch im Westen an Jobs. Dort, wo früher drüben war, jammern sie auch wegen der Rentenkürzungen, doch wie soll der Staat sonst die 100 DM Begrüßungsgeld von 1989 wieder hereinholen? Inzwischen darf ich die Ex-DDR bereisen, sooft ich will, so oft will ich gar nicht mehr. Wenn du auf der Autobahn ostwärts unterwegs bist, kommen dir lauter junge Leute entgegen – Flüchtlinge, die ihr Glück im ehemals verteufelten Westen suchen. In den prächtig hergerichteten östlichen Fußgängerpassagen spielen Arbeitslose mit evaluierten Akademikern und Frührentnern Schach oder Fußball, wer gewinnt, kriegt ne Cola. Die meisten trinken lieber Bier, doch wer schaut schon einem geschenkten Gaul ins Maul. In den Verwaltungen und Ministerien der jungen Länder finde ich Scharen alter Bekannter aus dem Westen, mit denen wir früher nicht wußten wohin und die nun im Protektorat Karriere machen zum Dank für ihren Widerstand, den sie leisteten, wenn von Hamburg bis München jeden 17. Juni der armen Zonenbrüderundschwestern gedacht wurde. Ich kenne auch zwei alte Genossen, die vor 1945 im KZ und nach 1945 zum Ausgleich in Bautzen einsaßen. Denen bringe ich jetzt meine Westpakete. Ihre Namen und Adressen darf ich nicht nennen. Die zwei gelten als Querulanten wo nicht Terroristen. Wenn ich bei ihnen einlaufe, schließen wir sorgfältig die Sozialbauwohnungstür hinter uns und werfen dem Fernseher ein modisches Ostalgie-Show-Video ein als Geräuschkulisse. Man weiß ja nie, wer lange Ohren macht, und so gedenken wir der alten Zeiten. Dann besaufen wir uns mit Rotkäppchen-Sekt, der bei Schlecker im Taunus preiswerter ist als dort, wo er produziert wird. Am Ende singen wir das Lied vom kleinen roten toten Trompeter und hauen uns in die Falle. * Nach 1945 ersetzten unsere Politiker die besiegte Diktatur durch zwei Großparteien. So entstand am Rhein die Bonner Republik, in der Pluralismus herrschen sollte. Hatten CDU/CSU einmal keine Mehrheit, durfte die SPD ans Ruder und umgekehrt. Seitdem wechseln von Wahl zu Wahl die Prügelknaben und Hoffnungsträger. Oder sie wechseln nicht. Damit die Eintönigkeit weniger auffällt, gibt's noch die FDP. Später kamen die Grünen hinzu und nach dem drübigen Ladenschluß die PDS. Das stabilisierte unser Zweiparteiensystem, da sind wir fast so amerikanisch wie die USA höchstselbst. Entweder die einen sind dran oder die anderen. Die Politik hat dabei eine relative Schwankungsbreite. Innerhalb bleibt alles, wie es ist. Anno 1990 gedachte die PDS infolge eines Vereinigung genannten Spaltungsprozesses ein wenig mitzuspielen. Acht Jahre lang ging es voran. Seit 2002 zeugen zwei einsame PDS-Genossinnen im Bundestag von den Fehlern der Partei und vom Zerfallsprozeß eines Parlaments, das immer mehr ans Frankfurter Pauls kirchen-Unglück von 1848 erinnert: Die Machtpolitik findet außerhalb statt. Wie das Volk. Neuerdings erfahren wir, Regierungs-Aktionen sind vorwiegend von professionellen Beraterfirmen gesteuert, die dafür fürstlich entlohnt werden. Es ist egal, welche Partei Regierung spielt, in Wirklichkeit herrscht eine Handvoll Schröpfköpfe, die immer genau wissen, was den Millionen Lohnempfängern genommen werden muß, damit es den Milliardären und Millionären wohl ergehe. Wenn das aber so ist, sehen wir nicht ein, wieso das Volk noch zu Wahlen animiert werden soll, da könnte der Einfachheit halber doch statt Schröder oder Stoiber oder Merkel gleich der gewisse Herr Roland Berger den Kram besorgen. Der ernennt dann sein bewährtes Mitarbeiterteam zu Ministern, Staatssekretären plus einigen weiblichen Alibi-Figurinen, und fertig ist der Führerstaat. Die Spitzköpfe der heutigen Regierung und der regierenden Opposition aber machen wir zu Professoren der neu zu gründenden Elite-Universitäten. Prof. Stolpe lehrt Verkehrswissenschaft, Prof. Gerster Arbeitsrecht und Recht auf Arbeit, Prof. Eichel liest über Insolvenz-Formen der Moderne, und Prof. Schröder kriegt den Lehrstuhl für Geschichte der Arbeiterbewegung. Rektor aller Elite-Unis wird ein gewisser Daniel Küblböck, das Überleben im Dschungel hat er bereits geübt. Bleiben noch die Oppositionsdarsteller. Da bieten sich kommode Lösungen an. Merz wird Botschafter im Sauerland, Stoiber Professor für bajuwarische Aschermittwochsrhetorik, Generalin Merkel befehligt das Sonderkommando zur Eroberung der Türkei und des Iran, danach nimmt sie die Befriedung des Irak in Angriff, um die USA zu entlasten. Was aber ist mit den Gewerkschaften? Man muß ihre Zentralen nicht gleich wie 1933 besetzen. Denn auch standfeste, bewährte Kollegen werden sich der Volksfront von Arbeitgebern, Betriebsrationalisierern, Werbegurus und Agenturen zur medialen Verblödung auf Dauer nicht verweigern können.
Erschienen in Ossietzky 5/2004 |
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