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Sie erzählt vom Reifeprozeß der Studenten, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Ausgestattet mit genauem Gespür für die Empfindsamkeit und Empfindlichkeit seiner jungen Darsteller und mit dem feinen Impuls, im richtigen Moment eines entscheidenden inneren Vorganges die Gesichter mit der Kamera auszuforschen, kann Veiel Spannung erzeugen. Ein bewegender, sinnlicher Dokumentarfilm ist ihm gelungen, nachhaltiger als mancher Spielfilm. Dieser Dokumentarist beherrscht sein Handwerk: die Psychologie, das Drehbuchschreiben, die Schauspieler- und Kameraführung. Und er steigert das Handwerk zum Kunstwerk. Nationale und internationale Preise markieren seinen Weg. Gratulation zu diesem Film. Er wird ab April 2004 in die Kinos kommen. Für ihn steht dann schon lange wieder »Alles auf Anfang.« Zurück in die »Busch«. Von drei Studentinnen will ich erzählen, die mir durch ihre Arbeit aufgefallen sind: Margarita (21), Annika (26), Nora (20). Alles auf Anfang für Margarita. »Mach' mal, spiel' mal, mach' keine Zeichnung vorher. Das Leben ist anders«, provoziert Professor Angelika Waller Margaritas Arbeitsprozeß. Schicht um Schicht wird die Figur freigelegt, gleichzeitig entdeckt die Studentin neue Räume in sich. Das mitzuerleben ist aufregend, ist wie Geburt. Vor zehn Jahren kam Margarita mit ihrer Familie aus Sibirien. Gegenwärtig, im zweiten Studienjahr, hat sie sich Shakespeares Julia und die Dascha in Heiner Müllers »Zement« erarbeitet. Sie ist gut vorbereitet, arbeitet konzentriert, mit Lust, schindet sich. Dreht sich das Gespräch um den Studienplatz an »der Busch«, leuchten ihre Augen, und sie sagt: »Ich bin dankbar, hier sein zu können. In Sibirien hätte ich diese Gelegenheit wahrscheinlich nicht gehabt.« Nach dem Abitur wußte sie nicht, was tun. Sie hatte sich in Potsdam für Soziologie eingeschrieben, spürte jedoch bald: »Das ist nicht mein Ding.« In einer russischen Theatergruppe in Berlin brachte man sie auf die Idee, sich für das Schauspielstudium zu bewerben. Obwohl sie sich keine Chance gab (mit der deutschen Sprache tat sie sich noch schwer, in der Familie, mit Freunden spricht sie ausschließlich russisch), studierte sie zwei Rollen. Nach Brecht und Tschechow. Niemand wußte davon. Es folgten zwei Tests, darauf das Vorsprechen. Sie durfte die Rollen in ihrer Muttersprache spielen. Doch mitten im Text wurde sie unterbrochen. »Jetzt bitte in Deutsch. Improvisieren Sie!« Ihr Atem stockte. Dann: Kopfsprung hinein. Seither: Gesang, Körper- und Stimmtraining, Sprecherziehung, Akrobatik, Fechten, Bewegung, Tanz, Pantomime, Diktion, Theatergeschichte, Kultursoziologie, Schauspielunterricht an der »Busch«. Befragt man sie nach ihren Träumen, ist wieder dieses Leuchten in ihren Augen: »Clown sein ist schön!« Kaum ausgesprochen, erfüllt sich ihr Wunsch. In den Semesterferien können die Studenten einen Clownskurs bei Angela de Castro aus London belegen. Zwei Wochen, täglich acht Stunden. Strenge Auflage für eine heitere Disziplin. Margarita erlebt die Aussicht darauf wie ein Wunder. Das schlanke Mädchen mit den schwarzen Locken verhält sich dann und wann »gewöhnungsbedürftig«, höre ich. Margarita entspannt, schläft in jeder möglichen Situation, sammelt Kraft für den intensiven Alltag. Sie liegt auf einer Bank, auf einem Tisch, auf der Erde, ruht, schläft, »tankt auf« für die nächste Herausforderung. Eine beneidenswerte Fähigkeit. Kinder und Tiere machen das so. »Bei Preußens macht man das nicht so«, sagt jemand. Margarita arbeitet intensiv daran, ihre Aussprache, besonders die Lautierung im Deutschen, zu verbessern. Harte Arbeit. Ihre Stimme ist kraftvoll, hat Metall, kann differenzieren. Spricht sie jedoch in ihrer Muttersprache, erlebt man, wie genau Gedanken/Gefühle sich umsetzen in Sprache. Im Russischen ist sie stets dichter dran als bei der Übersetzung ihrer Innenwelt ins deutsche Idiom. Aber von Aufgabe zu Aufgabe macht sie Fortschritte. Weint Margarita als Dascha in Heiner Müllers »Zement« um ihr verhungertes Kind und schreit ihre Verzweiflung heraus, ob es rechtens ist, den Kommunismus auf den Knochen der Kinder aufzubauen, herrscht Atemlosigkeit im Zuschauerraum. Man fröstelt. Das hat Angelika Waller aufregend inszeniert, mit Genauigkeit und Poesie. Es war nicht leicht, die Studenten unterschiedlicher sozialer Herkunft zu motivieren, sich den schwierigen historischen Stoff »einzuverleiben«, sich auf Heiner Müllers klare Sprache einzulassen, ihre Schönheit zu entdecken. Eine harte Nuß. Sie haben sie geknackt und ernteten, nach betroffenem Schweigen der Dozenten und Studenten im Zuschauerraum der Wolfgang-Heinz-Bühne, intensiven Beifall. Ich versuche, herauszufinden, ob die Studenten politische Erkenntnisse aus ihren Arbeiten in ihren Alltag integrieren. Ob sie sich interessieren für die gegenwärtig geführten Kämpfe um die Mittel zur Erhaltung von Hochschulen, Theatern, Orchestern, Geld für freie Gruppen. Haben sie eine Meinung dazu? Gehen sie auf die Straße dafür? Zögerlich kommen die Antworten: »Ja, schon, einmal haben wir teilgenommen an einer Aktion. Es ist zu wenig Zeit. Das Studium fordert uns total.« Ein Dialog aus dem Foyer: »Morgen Demo!« – »Müssen wir dahin?« – »Sollten schon.« – »Sollten oder müssen?« Der Befragte hebt die Schultern. Schafft die Arbeit, tagein-tagaus im Kunstlicht, eine synthetische Welt, aus der die Wirklichkeit ausgeschlossen bleibt? Zündet die Idee, für die Busch und seine Mitstreiter lebten nicht mehr? »Verändert die Welt, sie braucht es!« Ich schaue in irritierte, nachdenkliche Gesichter. Margarita ist in Vorfreude auf die Rolle, welche sie nach den Ferien erwartet. Der tägliche Blick auf das schwarze Brett für die »Verkündigungen« ist gespannte Erwartung. Wieder einmal steht »alles auf Anfang«. Die ersten vier Teile der Reportageserie aus der Berliner Hochschule für Schauspielkunst »Ernst Busch« erschienen in Ossietzky 21, 23, 25/03 und 2/04)
Erschienen in Ossietzky 4/2004 |
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