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Über ihre Wintermäntel haben sie helle Hemdchen gestreift, Überzieher aus Plastik, die der deutsche Tagesschau -Seher sonst nur von Metallarbeitern oder Müllwerkern kennt. »Wir streiken!« steht dort in roten und schwarzen Lettern unter den Symbolen der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) und des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV). Mit klammen Fingern reichen die Frauen und Männer Flyer in die Autos der nach und nach eintrudelnden Techniker der Frühschicht und der Angestellten der Verlagsverwaltung. Neue Informationen über den Stand der nunmehr seit August 2003 laufenden Tarifauseinandersetzung in den Zeitungsredaktionen. Immer wieder entwickeln sich Diskussionen: »Mir macht das Streiken keinen Spaß, aber das, was die Verleger fordern, empfinde ich als Mißachtung unserer Arbeitsleistung«, erläutert Juliane K., eine Lokalredakteurin, warum sie vor dem Tor steht. »Die Forderungen der Arbeitgeber sind ein Angriff auf den Journalistenberuf«, ergänzt ihre Kollegin Heide S. »Hier geht es um Grundsatzfragen«, klärt die junge Redakteurin über Desinformationsversuche des Bundesverbandes der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) auf. Der erweckt in Presseerklärungen und Anzeigen den Eindruck, die Journalisten würden maßlose Forderungen stellen. Dabei ist es andersherum: »Wir führen einen reinen Abwehrkampf«, betont Kulturredakteur Karl-Ludwig B.; gestreikt werde »nicht für mehr, sondern für weniger weniger«, formuliert er gewitzt die Haltung der Journalisten. Die hätten sich – der Wirtschaftsflaute Rechnung tragend – mit einer bescheidenen Gehaltserhöhung um 1,5 Prozent zufrieden gegeben. Einer Art Inflationsausgleich, wie ihn ver.di im vergangenen Jahr für Verlagsangestellte und Zeitungstechniker ausgehandelt hatte. Doch die Verleger wollen tief in den Gehalts- und Manteltarifvertrag der Redakteure einschneiden, wollen die Arbeits- und Entlohnungsbedingungen massiv verschlechtern: Dreieinhalb Stunden pro Woche unbezahlte Mehrarbeit, fünf Tage weniger Jahresurlaub, 32 Prozent weniger Urlaubsgeld, Streichung einer ganzen Gehaltsstufe, Einschränkung der urheberrechtlichen Vergütungsansprüche, zwölf Monate null Cent Gehaltserhöhung und für die nächsten zwölf Monate nur ein Prozent mehr Lohn – dieses »Angebot« des Verlegerverbandes hat in den Redaktionen Wut und Empörung ausgelöst. »Das ist doch pure Habgier!«, schimpft Wirtschaftsredakteur Ralph H. und mahnt seine Kollegen, entschlossen aufzutreten, denn das Ziel der Verleger sei der »Billig-Redakteur«. Nach einigem Zögern und verhaltenen Warnstreiks im November, Dezember und Anfang Januar sehen immer mehr Journalisten diese Gefahr. Eine Urabstimmung in mehr als 50 Zeitungshäusern ergab am 28. Januar eine Zustimmungsquote von rund 95 Prozent der in ver.di und DJV organisierten Redakteure zu einem unbefristeten Streik. Ob Schnee, Nieselregen oder Sonnenschein – seitdem sind in Hannover etwa 100 (rund 50 Prozent) der Tageszeitungsredakteure im Dauerstreik. Bei den beiden Bremer Tageszeitungen streiken sogar rund 100 von etwa 120 Redakteuren. Ähnlich stark ist die Streikbeteiligung inzwischen bei der Oldenburger Nordwest-Zeitung . Auch bei zahlreichen Titeln im Ruhrgebiet wie der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung oder der Westfälischen Rundschau und auch beim Volksfreund in Trier streiken Redakteurinnen und Redakteure nun schon drei Wochen lang. Andernorts wie in Kiel oder Lübeck, Delmenhorst oder Syke, Stuttgart oder München, Freiburg oder Darmstadt, Mainz oder Heilbronn folgen Redakteure einer flexiblen Arbeitskampftaktik: drei Tage streiken, fünf Tage arbeiten, dann wieder streiken. Nur der Osten ist noch – abgesehen von Rostock – seltsam ruhig. Zeitweise waren von Garmisch bis Flensburg mehr als 3000 Tageszeitungsredakteure in mehr als 100 Betrieben im Ausstand. Was sich da entwickelt hat, ist die größte Streikbewegung unter Journalisten in der Bundesrepublik seit jeher. Wer Ende vergangenen Jahres so etwas zu prophezeien gewagt hätte, wäre belächelt worden. Journalisten haben schließlich kaum Streikerfahrung. Der letzte mehrere Tage währende Arbeitskampf datiert von Ende der 80er Jahre, als es nach jahrelanger Vorbereitung gelang, die Volontärsausbildung tariflich zu regeln. Seitdem ging es (auch) mit den Redakteurstarifen fast nur rückwärts. Die in einem Stufenplan vereinbarte 35-Stunden-Woche wurde von den Verlegern Ende der 90er Jahre wieder einkassiert, das Urlaubsgeld um fünf Prozent gekürzt. Doch der gewerkschaftliche Organisationsgrad blieb unterdurchschnittlich. Er steigt erst jetzt langsam wieder an, seitdem erkannt wird, daß die Arbeitgeberverbände zum sozialen Kahlschlag entschlossen sind. Noch zu Beginn der Streiks gehörte es zum guten Ton vieler Streikender, sich vom »gewerkschaftlichen Geklingel« oder sogar Begriffen wie »Neoliberalismus« zu distanzieren. Doch die Vorbehalte schwinden von Tag zu Tag. Redakteure, für die ver.di bis dato ein dunkelrotes Tuch war, beginnen zu begreifen, daß auch sie ohne diese Selbsthilfeorganisation abhängig Beschäftigter keine Einflußmacht gegen die Medienunternehmer werden gewinnen können – um so weniger, als die digitale Technik es immer schwerer macht, den Produktionsprozeß einer Zeitung zu stören. Viele Leser haben sich zwar über dünnere (Lokal-) Ausgaben mit weniger Inhalt gewundert. Da die Zeitungen aber trotz des Streiks pünktlich erschienen, bedurfte es der Berichterstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, um auf den Tarifkonflikt aufmerksam zu machen. Die bestreikten Zeitungen selbst kommen ihrer Informationspflicht nur dürftig oder gar nicht nach. Die geringe Beachtung in der Öffentlichkeit sorgte anfangs für Depressionen und Frust bei Streikenden. Zudem scheuen die Verleger nicht vor dem Spiel mit der Angst zurück. Mit ihren Einschüchterungsmethoden bezweckten und bewirkten sie, daß sich nicht nur die notorischen Opportunisten und Speichellecker zum Streikbruch bereit fanden. Angst um den Arbeitsplatz haben vor allem junge Kollegen, die nur befristet, ohne Kündigungsschutz beschäftigt sind und unter hohem Anpassungsdruck stehen. Aber auch ältere zeigen Wirkung, etwa wenn sie hören, es sei fraglich, ob sie nach dem Streik, falls sie sich an ihm beteiligten, noch ihre jetzigen Funktionen in der Redaktion bekleiden würden. Solche und ähnliche Drohungen – müßten sie nicht als Eingriffe in das Streikrecht angeklagt und bestraft werden? – wirken allemal verunsichernd. Gleichzeitig versuchen die Verleger, die Arbeitslaune der (inzwischen stark gestreßten) Streikbrecher mit Sekt und kalten Hühnerbeinen, Karten für Fußballspiele und Kinofilme oder mit Einkaufsgutscheinen beim Herrenausstatter zu heben. Vor dem Tor hagelt es dafür Hohn und Spott: »Unglaublich, wie würdelos sich manche kaufen lassen.« Diese Streikbewegung ist auch eine Gemütsbewegung mit immer neuen Höhen und Tiefen. Als die Verleger in der Verhandlungsrunde am 4. Februar den Katalog ihrer Zumutungen nur unwesentlich reduzierten, wurden etliche Redakteure vor dem Pressehaus kleinmütig. Einige wollten sogar aufgeben. Glücklicherweise kam just an diesem Tag eine Abordnung von Bremer Redakteuren zur gemeinsamen Diskussion nach Hannover. In einer offen geführten Debatte gelang es, die Geschlossenheit der Streikbewegung wiederherzustellen. Die Krise wurde zum Katalysator. Sie motivierte noch mehr Redakteure, sich aktiv in den Arbeitskampf einzubringen. Streikzeitungen wurden erarbeitet und in der Stadt verteilt. Delegationen schwärmten zu kleineren Zeitungen in der Umgebung aus, um die Redakteure dort zum Mitmachen zu bewegen. Ein Streikfest, Kundgebungen vor dem Pressehaus und in der Innenstadt wurden organisiert. Vor allem aber die tagtäglichen Debatten im Streiklokal bewirkten, daß die Bewegung an politischer Klarheit und Entschlossenheit gewonnen hat. Wütend wurde in Oldenburg ein DJV-Funktionär zum Rückzug getrieben, als er für eine Streikunterbrechung mit der Begründung plädierte, die Verleger müßten ihr Gesicht wahren können, Opfergaben seien unvermeidbar... Für die Stärkung der Bewegung war entscheidend, daß das hartnäckige Werben um die Solidarität der Verlagsangestellten und Techniker nicht vergebens war. Immer wieder haben beispielsweise die Streikenden in Hannover ihre Kollegen aus den anderen Abteilungen zum gemeinsamen Mittagessen an die Gulaschkanone vor dem Tor eingeladen. Schon während der Warnstreiks führten sie Erbenssuppe löffelnd gute Gespräche. Neue Kontakte quer durch die Abteilungen wurden geknüpft. Dabei mußten sich die Redakteure auch Kritik anhören: Während der Druckerstreiks in der Vergangenheit hatten sie zu wenig Solidarität gezeigt. Dennoch: In der Nacht zu Freitag, dem 13. Februar, trat (fast) die gesamte Technik im hannoverschen Pressehaus in den Solidaritätsstreik, die Verlagsangestellten folgten am Morgen. »Nur gemeinsam sind wird stark!« Die alte Parole erwachte zu neuem Leben. Ähnlich erfolgreich lief es in anderen Verlagen. Produktion und Auslieferung der Zeitungen wurden teilweise um mehrere Stunden verzögert. Leitende Angestellte gerieten an den Rotationen und Packstraßen in ungewohnten nächtlichen Streß. Zufrieden wagte ein hannoverscher Redakteur während einer Kundgebung mit dem ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske zu verkünden: »Wir werden immer stärker. Wir stehen das durch.«
Erschienen in Ossietzky 4/2004 |
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