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Abgesehen von Volksentscheiden über Länderneugliederungen (Beispiel: Abstimmung über den Zusammenschluß von Berlin und Brandenburg), gibt es auf Bundesebene keine Volksentscheide, ja nicht einmal Volksbegehren oder Volks-initiativen. Das Mißtrauen der Repräsentanten des Volkes gegen das Volk, dessen Interessen sie eigentlich vertreten sollen, sitzt tief. Volksentscheide im Bund könnte es nur geben, wenn der Bundestag sie mit Zwei-Drittel-Mehrheit einführen und damit den Artikel 20 GG konkretisieren würde. Dies hieße freilich, der Bundestag würde sich selbst ein Stück entmachten. Dazu war er bisher nicht bereit. Er hat nicht einmal gewagt, über die deutsche Wiedervereinigung den in Artikel 146 GG vorgesehenen Volksentscheid zuzulassen. Jetzt bietet sich aber eine einmalige Gelegenheit, endlich mehr direkte Demokratie zu installieren: eine Volksabstimmung über die europäische Verfassung. Wenn diese Chance nicht genutzt wird, muß man vermutlich auf lange Zeit das Projekt Volksentscheide in Deutschland als gescheitert betrachten. Denn die traditionellen Einwände gegen die direkte Demokratie gelten für den Volksentscheid über eine europäische Verfassung gerade nicht. Die Einwände sind ohnehin nur vorgeschobene Argumente, in Wahrheit geht es um Macht-erhalt. Vorgebracht wird vor allem, politische Entscheidungen seien zu kompliziert. Darauf hat der frühere Bundespräsident Roman Herzog (wie Richard von Weizsäcker ein Befürworter von Volksabstimmungen) die treffende, wenn auch etwas derbe Antwort längst gegeben: Er könne nicht erkennen, warum die Bevölkerung dümmer sein soll als die Politiker. Es wird auch eingewandt, für gesetzgeberische Entscheidungen ließen sich keine Ja/Nein-Alternativen formulieren. Das trifft jedenfalls für die Abstimmung über eine Verfassung nicht zu. Ferner wird behauptet, die Volksgesetzgebung sei zu schwerfällig und dauere zu lange. Da schwingt mit, daß das Frauenwahlrecht in der Schweiz erst sehr spät gekommen ist. Alles in allem funktionieren aber Länder mit Volksabstimmungen – auch die Schweiz – genauso gut wie rein repräsentative Demokratien. Besonders entscheidungsfreudig hat sich übrigens auch der Bundestag nicht immer gezeigt, und das bisweilen sich selbst blockierende System zweifacher Entscheidungsfindung in Bundestag und Bundesrat steht längst in der Kritik. Ernster zu nehmen ist die Angst, Volksabstimmungen würden von Agitatoren instrumentalisiert, es käme zu einer »Stimmungsdemokratie«, beispielsweise zu einer rigiden Ausländergesetzgebung (die wir aber auch im jetzigen System schon haben). Dem ist entgegenzuhalten, daß dann eben für vernünftige Lösungen um so mehr Überzeugungsarbeit geleistet werden muß. Bleibt noch der zutreffende Hinweis, daß Gesetze im Laufe eines Diskussionsprozesses vom Entwurf bis zur Schlußabstimmung verändert werden können, während die Volksgesetzgebung relativ starr sei. Dann muß man eben den Verfahrensgang so flexibel gestalten, daß Änderungen an einem einmal eingebrachten Text noch möglich sind. So oder so – egal ob traditionelles Gesetzgebungsverfahren oder Volksgesetzgebung – kommt es aber irgendwann zu einer Schlußabstimmung, sei es durch Parlamentsbeschluß oder durch Volksentscheid, so daß auch dieses Gegenargument nicht durchgreift. Dies alles ist schon tausendmal diskutiert worden, und es gibt längst den Praxistest. In den meisten Bundesländern existiert das Instrument Volksentscheid und wird mit Erfolg angewandt. Legendär ist etwa der Volksentscheid, mit dem in Bayern (dort steht die Volksgesetzgebung seit 1946 in der Verfassung) die konfessionelle Bekenntnisschule albgeschafft worden ist – sie war bis Ende der Sechziger Jahre die Regelform der öffentlichen Volksschule. Wo Volksentscheide stattgefunden haben, hat sich allemal ein wesentlicher Vorteil gezeigt: Das jeweilige Thema wurde intensiv öffentlich diskutiert, und daraus ergab sich dann eine Entscheidung mit höchster Legitimationskraft, mit der der politische Streit abgeschlossen wurde – Roma locuta, causa finita. Die Akzeptanzkraft, die einem Volksentscheid innewohnt, ist dessen markanter Vorzug. Um die festgefahrene Debatte voranzubringen, müßte es nun gelingen, auf der Bundesebene wenigstens einen ersten Schritt zu wagen. Der Volksentscheid über die europäische Verfassung bietet sich an. Das Thema ist ja keineswegs von der politischen Agenda verschwunden, nachdem der erste Versuch der Regierungen, sich auf einen Text zu einigen, mißglückt ist. Längst haben die diplomatischen Bemühungen eingesetzt, dieses Projekt doch noch abzuschließen. Die Frage, ob die Deutschen darüber per Volksentscheid abstimmen dürfen, kommt also unausweichlich wieder auf die Tagesordnung. Die meisten oben genannten Standardargumente gegen eine Volksabstimmung passen offenkundig nicht. Hier kann sehr wohl ein Ja/Nein-Alternative formuliert werden, es ist auch möglich, über den wesentlichen Inhalt breit zu informieren, das Abstimmungsverfahren wäre alles andere als kompliziert. Deshalb haben sich die Plebiszit-Gegner diesmal ein anderes Argument einfallen lassen: Man dürfe nicht riskieren, daß die Zahl der Nein-Stimmen überwiege. Deutschland wäre dann international blamiert (wieso eigentlich?). Mit dieser Argumentation hintertreibt vor allem das Auswärtige Amt – in Person Joseph Fischer – eine Volksabstimmung. Es muß schon schlecht bestellt sein um die Sache der Anti-Plebiszitisten, wenn zu einem solch dürftigen Argument gegriffen wird. Selbstverständlich besteht bei jeder Abstimmung die Gefahr, mit der eigenen Position zu scheitern. Wer dies nicht in Kauf nehmen will, muß sich schon nach seinem Demokratieverständnis fragen lassen. Dennoch, der Druck von oben war stark genug, um im deutschen Bundestag eine Blockade-Mehrheit zu organisieren. Es gab nämlich bereits einen Gesetzentwurf der FDP vom 4. Juni 2003 zur Einführung des Volksentscheids über die EU-Verfassung. Viele sonstige Volksentscheid-Befürworter erwiesen sich plötzlich als Sonntagsredner. Die angeblich »basisdemokratischen« Grünen stimmten gegen diesen Gesetzentwurf, ebenso die CSU, deren Kanzlerkandidat Stoiber im Wahlkampf noch den Volksentscheid befürwortet hatte. (Für den Volksentscheid stimmte der Münchner CSU-Politiker Peter Gauweiler, der niemals eine Möglichkeit ausläßt, um Stoiber – auf bayerisch gesagt – eins auszuwischen.) Wann soll denn der Volksentscheid eingeführt werden, wenn nicht bei Gelegenheit einer neuen Grundlegung der Europäischen Union? Warum soll das Volk nicht entscheiden dürfen, ob die EU in ihrer Ausgestaltung und politischen Ausrichtung akzeptiert wird? Warum wird den Bürgerinnen und Bürgern in Deutschland verwehrt, was in vielen anderen EU-Mitgliedsstaaten möglich ist? Wird nicht eine über die Köpfe der Menschen hinweg beschlossene EU-Verfassung dasselbe große Akzeptanzdefizit haben, wie es nach vielen Meinungsumfragen die EU jetzt schon hat? Gerade, weil Straßburg und Brüssel für viele Menschen Welten entfernt erscheinen. Und weil die EU mit Geldverschwendung, Oberbürokratie, mangelndem Umweltbewußtsein und anderen Fehlentwicklungen assoziiert wird, braucht ihre Verfassung die direkte Zustimmung des Volkes – oder diese Verfassung verdient es eben nicht, Geltung zu erlangen. Bei einer Sachverständigenanhörung im Bundestag hat ein Schweizer Verfassungsrechtler erklärt, in einem Land mit Volksabstimmungen lebe man glücklicher. Das mag übertrieben sein. Aber man lebt demokratischer. Max Stadler ist innenpolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion.
Erschienen in Ossietzky 4/2004 |
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