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Weltsozialforum

Karneval der Marginalisierten. Ein Rückblick auf das Weltsozialforum in Mumbai.

von Steffen Schülein

 

Es war eine Veranstaltung der Superlative: Anstelle von hunderttausend erwarteten TeilnehmerInnen kamen gleich doppelt so viele zum vierten Weltsozialforum in die indische Wirtschaftmetropole Mumbai. Die offiziellen 31 Konferenzen, 1.200 Seminare sowie 500 Ausstellungen und Kampagnenstände wurden ergänzt durch selbstorganisierte Straßentheater, Gesangsprogramme und Demonstrationen. Mit Trommelwirbeln und Slogans sorgten diese für eine enorme Geräuschkulisse und schreckten auch nicht davor zurück, die eine oder andere Podiumsdiskussion zu stürmen. Für viele NGOs hingegen gehörte das Verteilen von Informationsmaterial beim WSF zum Pflichtprogramm.

Der Aufmerksamkeitswert der einzelnen Flugblätter oder Redebeiträge tendierte allerdings schon allein durch ihre Flut gegen Null. So wurde das WSF zu einem »Irrenhaus der Selbstdarstellung«, wie es eine Teilnehmerin aus dem indischen Uttaranchal formulierte. Die volksfestartige Atmosphäre ging nicht zuletzt auch darauf zurück, dass in Mumbai – im Gegensatz zu den von NGOs geprägten WSF in Porto Alegre – die indischen Massenbewegungen und Basisorganisationen dominierten. Dies mag auch am Organisationskomitee gelegen haben, zu dem NGOs nicht zugelassen waren, geht aber vor allem auf die immense Mobilisierungsarbeit der Basisbewegungen in Indien zurück.

Deutlich wurde beim WSF, dass die indischen Bewegungen auf Widerstand gegen die Prozesse neoliberaler, kapitalistischer, imperialistischer (je nach Wortwahl der betreffenden Bewegung) Entwicklungsideologie drängen. Dies steht im Gegensatz zum Großteil der europäischen NGOs, die sich an Reformen und Lobbypolitik orientieren. Ein augenfälliges Beispiel waren die noch immer nicht entschädigten Opfer der Bhopal-Katastrophe von 1984, die Widerstand gegen »Corporate Crime« leisten wollen, anstatt wie die NGOs an die »Corporate Social Responsibility« zu appellieren. Ähnlich artikulierte sich beim WSF der Widerstand gegen »entwicklungsbedingte Umsiedelungen«, etwa seitens der Fischer in den Sunderbans, die durch ein Tourismusprojekt vertrieben werden sollen.

Besonders stark vertreten waren die Frauenbewegung, die hauptsächlich von Adivasis (die autochthonen Einwohner Indiens) getragene Landrechtsbewegung und die Dalits (die »Unberührbaren«). Das WSF war Endpunkt einer von der National Council of Dalit Human Rights (NCHDR) organisierten Mobilisierungsreise. In über zwanzig indischen Bundesstaaten wurde unter dem Motto »another world must be made« die nach wie vor existierende Diskriminierung von Dalits angeprangert. Beim Marsch durch Rajasthan wurde die Dalitgruppe von Dorfbewohnern höherer Kasten daran gehindert, einen Tempel zu betreten, der bereits 1988 zum Streitfall im Kampf gegen die Unberührbarkeit geworden war. Dass die Polizei dabei nicht zugunsten der Dalits eingriff, zeige, wie schlecht es um die Durchsetzung der Antidiskriminierungsgesetze in Indien stehe, kommentierte dies der Vorsitzende der NCDHR. Seit 15 Jahren habe sich an der Diskriminierung der 170 Mio. Dalits in Indien nichts geändert. Am WSF wollten sie daher mit anderen marginalisierten Gruppen wie Frauen, Muslimen und Adivasis, aber auch auf globaler Ebene Allianzen schmieden und dadurch den Druck auf die Regierungen erhöhen.

Der internationale Bezug des WSF wurde von der Mobilisierung gegen Krieg und die USA dominiert. Gegen die amerikanische Besatzung des Irak protestierten auffällig viele Gruppen aus Japan und Korea. Der Nahostkonflikt hingegen war deutlich weniger präsent als noch beim Europäischen Sozialforum in Paris (siehe iz3w 274).

Wie bei allen großen Weltkonferenzen gab es nun auch beim WSF eine Art Gegenveranstaltung, die zum Boykott aufrief. Das Forum Mumbai Resistance 2004 versammelte den radikaleren Teil der sozialen Bewegungen. Einer der Hauptkritikpunkte, die zu seiner Entstehung geführt hatten, war die Finanzierungspraxis des vorangegangen Asian Forum in Hyderabad, bei dem Gelder der »imperialistischen« Ford-Stiftung angenommen worden waren. Einen weiteren Streitpunkt stellten die Teilnahmekriterien des WSF dar, die es auch einer UN-Organisation wie dem UNDP erlaubten, eine Veranstaltung auszurichten. Auch die von den Organisatoren des WSF proklamierte Gewaltfreiheit stieß auf Ablehnung: Die bloße Kritik der Globalisierung sei unzureichend, sie müsse durch militanten antiimperialistischen Widerstand ersetzt werden. Die »andere Welt« könne nur auf den Trümmern des alten Systems entstehen. In dieser Logik wurde das WSF als trojanisches Pferd des Imperialismus bezeichnet.

Doch obwohl sich derlei Parolen wie das Programm einer kommunistischen Partei anhören, machte Mumbai Resistance auch Front gegen die diversen KPs in Indien. Aufgrund der verheerenden Bilanz von über zwanzig Jahren kommunistischer Regierungstätigkeit im Bundestaat West Bengal und der allgemeinen Skepsis gegenüber politischen Parteien wurden sie sowohl vom WSF als auch vom Mumbai Resistance ausgeschlossen. Das führte wiederum dazu, dass 15 kommunistische Parteien aus unterschiedlichen Bundesstaaten unter dem Motto »a communist world is possible« noch ein weiteres Alternativforum abhielten.

Die Abspaltung vom WSF bescherte Mumbai Resistance die Aura der militanten Alternative und den strategischen Vorteil, aus der Masse der am WSF Beteiligten hervorzustechen. Tatsächlich gelang es der maoistischen Naxalitenbewegung durch die Opposition zum WSF, trotz altbekannter Rhetorik wie z.B. den positiven Bezug auf Stalin neue AnhängerInnen zu mobilisieren. Immerhin entschieden sich neben der moslemischen Jugendbewegung Indiens auch zwei große Bewegungen, die der Fischer und Teile der Bauernbewegung, für die Teilnahme an Mumbai Resistance.

An solch verstaubtem Antiimperialismus, der mit aufpeitschenden Reden die Einigkeit der sozialen Bewegungen beschwor, störte sich jedoch auch auf dem WSF niemand groß. Arundhati Roys Loblied auf den irakischen »Widerstand« blieb weitgehend unwidersprochen. Das WSF ist eben weniger ein Ort für kritische Debatten als vielmehr eine Konsensmaschine, bei der nach Gemeinsamkeiten und »Vernetzung« gesucht wird. Das wohl fruchtbarste Ergebnis des WSF ist daher, dass die indischen Basisbewegungen hier an Motivation gewannen. Denn sie stehen mit ihrem ganz alltäglichen Kampf gegen himmelschreiende Ungerechtigkeiten selbst innerhalb Indiens meist auf verlorenem Posten.

 

Steffen Schülein ist Mitarbeiter im iz3w.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift informationszentrum 3. welt - iz3w, Nr. 274.

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sopos 2/2004