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Der junge Peachum (Jörg Schüttauf) singt seiner kleinen Tochter Polly (Nelly Thalbach) ein Schlaflied: das Lied von Mackie Messer (womit wir die vierte Generation Thalbach leibhaftig auf einer Berliner Bühne willkommen heißen konnten). Das Spiel beginnt. Bühnenbild (Horst Vogelgesang) wie Darstellungsstil (Regie: Johanna Schall) sind dem Expressionismus nachempfunden. Stürzende Linien, verschobene Rechtecke, bedrohliche Schatten kommen über uns. Krumme Gestalten schleichen, flüchten mit Todeskampf-Krampfhänden über die Szene. Beträchtliches Augenrollen im Einsatz. Auflebt »Das Kabinett des Dr. Caligari«. Erzählt wird die Liebesgeschichte von Polly (Maria Simon) und Macheath, genannt Mackie Messer (Pierre Besson), die eingebettet ist in das Elend der Armen, Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Deformation durch wachsende Not, Überlebenskampf. Wie nahe ist uns das. Die »Dreigroschenoper« geht zurück auf John Gays »Beggars' Opera« aus dem Jahre 1728 (Musik: John Christopher Pepusch). Elisabeth Hauptmann, Brechts Mitarbeiterin, entdeckte den Text und fertigte für BB eine Rohübersetzung an. Das war 1926. Bereits 1928 nahmen Brecht und Weill diese Anregung auf, schärften sie politisch-dialektisch, vertieften sie poetisch, pointierten sie musikalisch. Mit Gesang und Tanz wurde die gesellschaftliche Realität von Arm und Reich seziert, leicht und gnadenlos. Liebenswürdig balancierten Mord und Totschlag auf »Messers« Schneide. Das entzückte die Kulturindustrie. Ein Welterfolg war geboren. Und hält bis heute an. Lampenfieber ist deutlich an diesem Abend. Jörg Schüttauf ist anfangs unsicher, überhastet, glanzlos; er fängt sich im Laufe des Abends und es entstehen schöne Momente; er wird, da bin ich sicher, im Laufe kommender Vorstellungen zu seiner Form finden. Maria Simon weiß Talent und Können mit Geschmack und Verstand einzusetzen, sie agiert handwerklich perfekt, stilsicher, mitreißend. Der Szenenapplaus für sie steigert sich von Lied zu Lied. Pierre Besson zeigt, was er kann, und überzeugt. Eine Prise Bosheit, ein Gramm Arsen täten seiner Figur gut. Lucie (Anna Kubin) ist Asta Nielsen in Reinkultur. Artistisch schlingt und windet sie ihren hochschwangeren Leib, stakst klischeehaft, trällert soubrettengleich, läßt Wimpern klimpern. Amüsant. Polizeichef Brown, gespielt von Norman Schenk, gleicht einem expressionistischen Scherenschnitt. Er karikiert und wir assoziieren Dämonen, Diktatoren, Ausbeuter, die ihren Slogan »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral« zum Verderben anderer ausleben. Die Musiker der »dreigroschenband« arbeiten mit Schwung und Präzision. Die Kostüme von Jenny Schall sind wunderschön und würden genau passen, wenn die »Dreigroschenoper« eine Operette wäre. Ihre Ausstattung bedient den großen Unterhaltungswert dieses Abends. Eine gute Ensemblearbeit ist zu sehen. Das wird ein Erfolg in Serie. Sicher. Was mir fehlt, ist ideologische Schärfe. Ein Denkspiel wurde als leicht verdauliches Konsumprodukt angerichtet. Der Schlußchor mit dem »Haifischlied« machte Gänsehaut. Davon wünschte ich mir mehr. Trotzdem sang es in mir auf dem Weg zur Garderobe: »Ja, da muß man sich doch einfach hinlegen ...« * Armin Petras, Regie, hat in den Kammerspielen des Deutschen Theaters die Hinrichtung des Stückes »Die Gerechten« von Albert Camus zu verantworten. Ich kann im Theater, ist es gut, weinen und lachen, schludrige Arbeiten machen mich wütend, mißlungene traurig. Diese hier macht üble Laune. Camus hat ein (1949 uraufgeführtes) Stück zu dem heiklen Thema geschrieben: Ist durch Gewalt eine bessere Welt zu schaffen? Camus, wie Heiner Müller in »Zement« und »Auftrag«, wie andere Dichter und Philosophen vor und nach ihnen, hatte da Zweifel. Geschichtsschreibung wie Gegenwart belegen, Revolutionen werden ausgerufen, niedergerungen, lösen alte Machtstrukturen ab, um eine neue zu installieren. Waren Terroristen, Revoluzzer, Aufständische siegreich, wurden sie die neuen Machthaber, konnten sie schnell zu der eben noch blutig bekämpften Spezies werden: Ausbeuter, Monopolisten, Erniedriger. Darum geht es in dem Stück, das galt es zu inszenieren. Aber aus welcher Perspektive? Im konkreten Fall bedient sich Camus eines Ereignisses von 1905: das Attentat der sozialrevolutionären Terrorgruppe um Iwan Kaljajew auf den Großfürsten Sergej Aleksandrowitsch, einen Onkel des Zaren. Eingebettet in eine Dia-Show von stereotyp wiederholten Bildern verhungerter Kinder, einem ausgebeuteten Inder, Tschaikowskis Tanz der kleinen Schwäne, durchwirkt von Slapstick und Klamotte, Solonummern mit Witzchen zum Mauerfall, Mielke-Zitaten nebst Verhaltensmustern von psychisch Kranken mit intramuralen Affekten, sah ich eine unverzeihliche Verhöhnung derer, die, sich opfernd, für Gerechtigkeit kämpften, ihr Leben einsetzten für die Erniedrigten und Beleidigten auf dieser Erde. Leben ist fallen, aufstehen, weitergehen, handeln. Wieder und wieder. Im Schlußbild der fahrlässigen Aufführung baumelt ein Gehenkter. Der Regisseur verneigte sich nicht beim Applaus. Hat er sich selbst gerichtet?
Erschienen in Ossietzky 3/2004 |
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