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Anfang der achtziger Jahre begann sich allmählich das Verhältnis der DDR zu ihrem prominenten Dramatiker zu entkrampfen. Vorher fanden seine Stücke eher auf westdeutschen Bühnen ein Forum als dort, wo er lebte und arbeitete. Nicht wenige seiner Texte erlebten sogar nur im Westen eine szenische Realisierung. Mit der 15 Jahre verspätet erfolgten Uraufführung seines Stückes »Der Bau« in der Ostberliner Volksbühne schien der Bann gebrochen, aber die folgende Uraufführung des »Auftrag« am 16. November 1980 wurde dann schon fast versteckt: im kleinen Theater im 3. Stock der Volksbühne, das knapp 50 Zuschauern Platz bot. Der späte Beginn um 22 Uhr tat ein Übriges, die Premiere ins Abseits zu drängen. Nach über drei Stunden endete die spannende authentische Interpretation des Textes durch den Autor, der hier zum ersten Mal selbst Regie führte, zusammen mit seiner damaligen bulgarischen Lebensgefährtin Ginka Tscholakowa. Viel zu spät also für den aus Westberlin angereisten Kritiker, der nach gültigen Bestimmungen spätestens um Mitternacht die Hauptstadt der DDR hätte verlassen müssen. Da blieb nur, den Verursacher der Gesetzesübertretung um eine Bescheinigung für verspäteten Grenzübertritt zu bitten, wozu der Meister auch bereit war. Ausgerüstet mit seinem »Propusk« versuchte ich's am normalen Grenzübergang Bahnhof Friedrichstraße, wurde aber vom einzig dort übriggebliebenen Wachhabenden an die Heinrich-Heine-Straße verwiesen. Das dort verantwortliche »Organ« staunte erst einmal ob des in seinen Dienstanweisungen nicht vorgesehenen Dokuments mit der Unterschrift eines Theaterautors und zog sich damit in seine Baracke zurück. Nach offenbar eingehender Beratung mit einem Vorgesetzten gab der Grenzoffizier schließlich den Weg frei. Den nur noch kurzen Rest der Nacht saß ich am Schreibtisch und pünktlich 8.30 Uhr als »Frühkritiker« vorm Mikrofon. Mein Auftrag war erfüllt. Nicht so der Auftrag der drei Emissäre der jungen französischen Republik von 1789 im Stück, die ausgesandt waren, auf Jamaika einen Aufstand der Negersklaven zu organisieren. Heiner Müller schrieb darüber im Sommer 1979 nach Motiven der in der DDR auch schon mal verfilmten Erzählung »Das Licht auf dem Galgen« von Anna Seghers. Natürlich war »Der Auftrag« wie andere von fremder Literatur angeregte Werke des Autors ein völlig eigenständiges Produkt, nicht gerade prädestiniert für eine DDR-Bühne und wohl deshalb ins Ghetto eines »Nachtprogramms« verbannt, ist es doch geprägt vom tiefen Geschichtspessimismus des Verfassers. Zwei der Emissäre kommen bei der Erfüllung ihres Auftrags um: Sasportas, ein ehemaliger Negersklave, und Galloudec, ein Bauer aus der Bretagne. Der Dritte, Debuisson, Arzt und Intellektueller, kehrt in den Schoß seiner Sklavenhalter-Familie zurück, als bekannt wird, daß in Frankreich Napoleon die Macht übernommen hat. Diesem Debuisson, seinen Reflexionen über die Revolution und Kommentaren zum eigenen Verrat ist im Stück der breiteste Raum gewidmet. Verrat ist überhaupt ein zentrales Motiv in vielen Müller-Texten. »Erinnerung an eine Revolution« lautet der Untertitel des Stückes, und gemeint ist damit wohl nicht nur die ferne französische Revolution. Gerade heute kann man den Text als ein Requiem auf alle revolutionären Hoffnungen lesen, als – wie es ein Interpret des Autors in der Zeitschrift Theater heute einmal formulierte – »Umschreibung eines wiederkehrenden Mechanismus gerade für unsere Gegenwart: des Verrats der revolutionären Bewegung, des Scheiterns der Utopie, der Restauration von Macht«. Als Ulrich Mühe beschloß, zum 75. Geburtstag seines Freundes gerade den »Auftrag« wieder auf eine Bühne zu bringen, war zu vermuten, daß auch der Gedanke an eine solche Aktualität ihn dazu bewogen hätte. 1982 holte Müller den damals 29jährigen für seine spektakuläre »Macbeth«-Inszenierung aus Karl-Marx-Stadt an die Volksbühne: Beginn einer großen Karriere mit unvergeßlichen Rollen am Deutschen Theater, von dem sich Mühe im März 1990 als Hamlet wieder in einer Müller-Inszenierung grandios verabschiedete. Seitdem gastierte er nur gelegentlich zwischen Wien und Hamburg oder stand vor der Kamera, weil ihn ein Theater ohne soziale Relevanz nicht interessierte. Als sein eigener Auftraggeber verdiente sich der nun als Regisseur Debutierende erst einmal jede Sympathie, zumal sein Engagement einem zum wirkungslosen Klassiker evaluierten, kaum noch gespielten Autor galt. Die der Premiere am 9. Januar vorausgehende PR-Kampagne stimmte allerdings mißtrauisch. Vielleicht läßt sich heute Theater außerhalb gewachsener Strukturen kaum noch öffentlich machen ohne Koproduzenten wie die Wiener Festwochen und Unterstützer wie Wolfgang Joop, Helmut Markwort und Udo Walz. War ein Preis dafür, auf das Reizwort Revolution zu verzichten? Jedenfalls fehlte der Inszenierung der Untertitel. Dafür lockte sie mit prominenten Namen: eine Mischung aus Bühnenveteranen wie Ekkehard Schall und Inge Keller und Filmschauspielern wie Herbert Knaup, Florian Lukas und Christiane Paul, dazu Allzweckmime Udo Samel. Sie alle wirkten etwas verloren auf der für Müllers Kammerspiel viel zu großen Bühne des Hauses der ehemaligen Freien Volksbühne und lieferten nicht viel mehr als den Text ab, wobei immerhin noch etwas von der poetischen Kraft und Schönheit der Sprache Heiner Müllers übrigblieb. In ihren Kostümen erinnerten die Männer an Marsmenschen, was zu Erich Wonders Bühnenbild verstreuter Felsbrocken paßte. Die in Müllers Text vage aufscheinende Zukunftshoffnung auf die Kräfte der »Dritten Welt« von heute ging in der Konturlosigkeit der ganzen Aufführung unter. Das Schicki-Micki-Premierenpublikum sparte bis auf einen einsamen Buhrufer trotzdem nicht an Beifall – schließlich winkte noch Sekt, und eine Vergleichsmöglichkeit mit Müllers eigener Inszenierung von 1980 hatte wohl sonst keiner. Der Kommentar des Autors steht im Text: »Was glotzt ihr. Unsere Firma steht nicht mehr im Handelsregister. Die Ware, die wir zu verkaufen haben, zahlbar in der Landeswährung, Tränen Schweiß Blut, wird auf dieser Welt nicht mehr gehandelt.« Auf ein anderes Müller-Zitat hatte sich Regisseur Ulrich Mühe in einem Interview zur Charakterisierung seiner Inszenierung berufen und damit sicher ungewollt deren Eindruck vorweggenommen: »Die erste Erscheinungsform des Neuen ist der Schrecken.«
Erschienen in Ossietzky 3/2004 |
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