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Sicher: Curt Paul Janz' Grundlegung moderner Nietzsche-Forschung wird bestehen bleiben. Karl Löwith hat manches Richtige über den Kraft-Philosophen gesagt, der kaum je eine Frau umarmen konnte. Urs Martin ging 1993 auf Fragen von Revolution und Demokratie ein, diese von Nietzsche befeindeten Kategorien. Rüdiger Safranski in seiner gleichzeitig mit Losurdos Buch erschienenen »Biografie des Denkens« übt zwar behutsame Kritik am Idol, steht aber inmitten des Nietzscheanischen Denkens selbst, mit noch ein paar Schuß Heidegger, so daß er sich kaum über seinen Gegenstand erheben kann. Auch die meisten Vertreter der Marx-Seite kann man vergessen, weil sie den entstellten Nazi-Nietzsche einfach seitenverkehrten und verurteilten. Ausnahmen sind Ernst Bloch und vor allem Georg Lukács mit seiner »Zerstörung der Vernunft« von 1954. Der jüdisch-ungarische Autor hatte freilich zu wenig Quellenkenntnis, und in ihm war noch der Haß gegen das just Geschehene, das er aus dem dominanten Irrationalismus zu erklären gewillt war – seine Arbeit war Abrechnung: wenig differenziert, doch im Prinzip richtig. Sein Schüler Losurdo hat das nun viel besser gemacht. Der kennt sämtliche Quellen, geht von der großen, 15bändigen Ausgabe der beiden Italiener Colli und Montinari aus, kritisiert aber auch sie in einigen Teilen. Er ordnet Nietzsche streng in das Zeitgeschehen der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein, auf das sich dieser heftigst eingelassen hatte. Er weist nach, was Nietzsche gelesen hatte, er setzt ihn in die Debatten der Zeit und in das politische Geschehen, in die Revolutionen seit 1789, 1830, 1848 bis zur Commune von 1871. Sogar Nietzsches Kritik an sozialen Leistungen des Bismarck-Reiches war Ausdruck seiner aristokratischen Radikalität. Der Philosoph der antidemokratischen Reaktion, die er verhüllend als »Partei des Lebens« bezeichnete, war gegen Arbeiterbewegung und Sozialismus und haßte das Volk wegen seiner »Sklavenmoral«. Er trauerte um den Verlust an Kultur, befürchtete ihre Zerstörung, wie dies auch Heine tat, doch völlig anders. Heines Eliten sind die Künstler, die wie er dem Volke verbunden bleiben, Nietzsches Eliten, die großen Individuen, sind dem Volke enthoben. Gegenstand seines Hasses sind auch alle Aufklärer. Primitiven Antisemitismus lehnte er zwar ab, doch die Wurzeln aller Aufklärung und Demokratie bis zum Sozialismus führte er auf jüdische Ursprünge zurück, auf das nachexilische Judentum. Losurdo spricht, nicht ganz neu, von drei Etappen: 1869 bis 1876 die Schopenhauer-Wagner-Phase, romantisch und judenfeindlich; 1876 bis 1881 die besten Jahre, bisweilen sogar aufklärerisch, kirchenfeindlich, metaphysikkritisch, sogar realistisch zeitkritisch, der Naturwissenschaft gegenüber aufgeschlossen; schließlich die Jahre bis 1888 mit der Herrenmenschen-Formel des »Zarathu stra«, der Erfindung des »Übermenschen«, der legitimistisch-herrschaftssichernden ewigen Wiederkehr des Gleichen, damit der Ablehnung der Moderne, und dem »Willen zur Macht«, der Abwehr jeglicher Moral als Instanz, egal, ob von jüdischer, christlicher oder sozialistisch-demokratischer Herkunft. In seiner Totalkritik der »allgemeinen Schuld« verurteilte er jegliche Versuche und Bestrebungen der Völker, sich gegen Herrschaft und deren Kultur zur Wehr zu setzen. Dazu gehören seine Verteidigung der Sklaverei (die einmal Basis von Kulturschaffen war), seine Eugenik, seine Haltung gegen die Frau sowie sein Preisen männlichen Herrenmenschentums. Seine Kategorie des Dionysischen verführte ihn zu Visionen eines berauschenden Untergangs, seine unhistorische Denkweise verhinderte die Sinngebung richtiger Einsichten und Teilwahrheiten. Das macht seine Verwertung für heutige »Postmoderne«, die die Aufklärung abschreiben wollen oder bereits abgeschrieben haben, nützlich. Nietzsche hat nie richtig zu Ende gedacht, wenn ja, dann mit furchtbaren Widersprüchen. Und oft brillant formuliert. Als Dichter hat er Bleibendes geschaffen. Ein schwacher Mensch, ewig leidend, hat sich übers Denken stark machen wollen. Es ist ihm nicht gelungen, der Preis war hoch, das Denken ging verloren. Eine im Grunde tragische Gestalt mit schlimmen Folgen. Das hat Losurdo, der italienische Dialektiker, einprägsam bewußt gemacht. Man sollte das Buch bald übersetzen und ihm einen Marx-Preis geben – doch den gibt es ja nicht. Vielleicht den Heine-Preis, auf jeden Fall den eines Gegenspielers von Friedrich Nietzsche. Domenico Losurdo: »Nietzsche, il ribelle aristocratico. Biografia intelletuale e bilancio critico«, Bollati Boringhieri, Turin, 1167 Seiten, 68,- €
Erschienen in Ossietzky 3/2004 |
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