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Manche junge Juden im Zarenreich wurden durch diese Erfahrung zu revolutionären Sozialisten: Die Herrschaftsverhältnisse sollten umgestoßen werden, damit in einer neuen Gesellschaft der Freien und Gleichen die Unterdrückung und Ausbeutung der Mehrheit ebenso wie die Diskriminierung von Minderheiten und die Instrumentalisierung von religiösem Wahn und Rassenhaß ihr Ende fänden. Dieser politische Wille drängte zur revolutionären Erhebung des Jahres 1905, der zwölf Jahre später die Oktoberrevolution folgte. Andere junge Juden aus Rußland gingen den Weg nach Palästina, um sich dort eine Heimstatt zu schaffen. Die beiden Reaktionen auf die Pogrome, die sozialrevolutionär-internationalistische und die auf einen eigenen Staat gerichtete, lassen sich nicht scharf voneinander trennen; zudem gab es eine dritte: die massenhafte Auswanderung nach Deutschland und Nordamerika. Von denjenigen Juden, die sich in Palästina ansiedelten, hatten viele keinen eigenen Staat im Sinn, sondern dachten sozialistisch und bemühten sich um ein friedliches Zusammenleben mit den Arabern. Aber schon 1921 stellten jüdische Siedler erste militärische Einheiten auf. Die Nachrichten darüber machten auf den deutschen Pazifisten Carl von Ossietzky »keinen erfreulichen Eindruck«, denn, so schrieb er damals, »in den Juden verehrte ich das einzige unkriegerische Volk der sogenannten zivilisierten Welt, das Volk ohne Feldwebel... Spinoza hat philosophiert und, da er davon nicht leben konnte, Brillengläser geschliffen. Jehuda ben Halevi und Heinrich Heine haben Verse gemacht und Rothschilds Geld gescheffelt. Aber Ahasver im Stechschritt ist eine blanke Unmöglichkeit.« Damit formulierte der Pazifist Ossietzky, der stets gegen den Antisemitismus wie gegen den Militarismus gestritten und viele Autoren jüdischer Herkunft als Anreger und Mitstreiter gefunden hat, eine generelle Sympathie, ein positives Vorurteil, das sich wie jede generalisierende Feststellung über Menschen gleicher Herkunft – über die Polen, die Deutschen, die Briten, die Araber – nicht aufrechterhalten ließ. Ossietzky fuhr in seinem Artikel fort: »So holt Israel eifrig nach, was es seit der Evakuierung durch Titus versäumt hat: es stellt die geistigen Waffen ins Zierschränkchen und schafft sich eine schimmernde Wehr an. Diesen zeitgemäßen Fortschritt werden zunächst die armen Araberhorden zu spüren bekommen, die auf kargem Boden im Innern des Landes hausen..., ohne die geringste Ahnung vom historischen Recht, dessen tiefere Bedeutung ihnen nunmehr bald mit dem Maschinengewehr erschlossen wird...« Am Schluß seiner Betrachtung zitierte Ossietzky aus Goethes »Faust« (II): »Auch hier geschieht, was längst geschah,/ Denn Naboths Weinberg war schon da« – ein Vers aus der Szene, in der das alte Bauernpaar Philemon und Baucis durch den neuen Herrn, den Eroberer des Landes, vertrieben wird. Im Jahre 1929 befaßte sich Ossietzky ein zweites Mal, ausführlicher, mit Palästina, wo inzwischen immer mehr Blut um Land vergossen wurde. Er zeigte Sympathie für die sozialistische Tendenz, die damals unter den jungen zionistischen Siedlern vorherrschte, und hob ihre Tüchtigkeit hervor. Die Schwierigkeiten zwischen Juden und Arabern in Palästina stellte er jetzt in größeren außenpolitischen Zusammenhängen dar, vor allem als Folge britischer Kolonialpolitik, die willkürlich Grenzen zog, taktisch wechselnde Bündnisse schloß, Nationalismen anheizte und für eigene Zwecke nutzte. Jeder gegen jeden – zum Vorteil der britischen Weltmacht, deren Interessen weit über Palästina hinausreichten: nach Bagdad, wie Ossietzky schrieb, und nach Indien. Auch heute ist das, was im Nahen Osten geschieht, nicht nur eine Sache zwischen Juden und Palästinensern; stärker noch als damals die britischen wirken nun US-amerikanische Interessen hinein. Durch den vom deutschen Faschismus betriebenen Massenmord am europäischen Judentum hatte die Idee einer jüdischen Heimstatt inzwischen ungeahnte rettende Bedeutung erlangt. Der Gründung des Staates Israel folgte bald die internationale Anerkennung. Aber zur sicheren Heimstatt wurde dieser Staat bis heute nicht – hauptsächlich deswegen, weil der rechte, militaristische Flügel des Zionismus die Landnahme auf kolonialistische Art betrieb. Für die Araber in Palästina hatte die Staatsgründung zur Folge, daß gleich in den ersten Jahren, von 1948 bis 1952, 400 ihrer Ortschaften zerstört wurden, auf deren Boden sich Juden ansiedelten, und die Vertreibung ging weiter: Seit 1963, so resümiert Jeff Halper, Sprecher eines jüdischen Hilfskomitees, sind mehr als 10 000 Palästinenser-Häuser zerstört worden – oft mit der Begründung, dort hätten Familien von Terroristen gelebt. »Rechtswidrige Kollektivstrafe«, urteilt Halper. Solche Methoden, vor allem auch das Töten von Palästinensern, ohne daß ihnen richterlich eine Schuld nachgewiesen wäre, der Bau neuer Siedlungen in Gebieten außerhalb der anerkannten Staatsgrenzen, jetzt der Bau einer Mauer (»Sicherheitszaun«), die doppelt so hoch ist wie einst die Berliner und im Gegensatz zu dieser nicht an der Staatsgrenze verläuft, sondern Palästinensergebiet teilt, all die täglichen Untaten des Premiers Scharon wirken peinigend auf humanistisch gesinnte Juden weltweit, die sich dem Land der Bibel verbunden fühlen. In wachsender Zahl sagen sie jetzt: »Nicht in unserem Namen.« Eine neuentstandene Gruppe in Deutschland, die sich »Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost« nennt, beteiligt sich am heutigen Samstag an einer provokativen Aktion am ehemaligen Berliner Grenzübergang »Checkpoint Charly« unter der Parole »Stoppt den Bau der Apartheidsmauer! Für ein Ende der Besatzung!« Aber die Selbstmordattentate von Palästinensern – rechtfertigen sie nicht die Politik Scharons? Nein, sagt Richard Kuper, Generalsekretär der »European Jews for a Just Peace«, »den Anschlägen ging jahrelange israelische Besatzungspolitik in den Palästinensergebieten voraus.« Er scheut sich nicht, von Ghettos zu sprechen, in die die Palästinenser jetzt gezwungen würden. Fortdauernde Erniedrigung und Unterdrückung der Palästinenser werde zu immer mehr Haß und Gewalt führen. Der israelische Staatsterrorismus müsse beendet werden, so wie es viele humanistische Gruppen in Israel selber fordern, und Europa – auch und gerade »der europäische Schlüsselstaat Deutschland« – könne und müsse helfen. Notwendig sei vor allem, Israel, wenn seine Regierung Menschenrechte verletze, nicht nach anderen Kriterien zu beurteilen als jeden anderen Staat der Welt. Die Berliner Publizistin Ruth Fruchtmann hat öffentlich auf das »Rückkehrrecht« verzichtet, das Israel allen Juden nach 2000jähriger Vertreibung garantiert. »Ich habe nie dort gelebt; die vertriebenen Palästinenser dagegen werden gehindert, dahin zurückzukehren, wo sie geboren sind.« Aber ist den Juden heute in Deutschland Sicherheit garantiert? Nicht mit einer Sozialpolitik, die die Gesellschaft immer tiefer spaltet, so daß sie wieder Sündenböcke braucht. Und nicht mit einer Innenpolitik wie in Hamburg, wo dieser Tage Neonazis unbehelligt gegen die Ausstellung »Verbrechen der Wehrmacht« demonstrierten. Gegendemonstranten, unter ihnen die 79jährige Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano, gerieten in (unangekündigten) Wasserwerferbeschuß. Die Polizei nahm 15 von ihnen vorläufig fest und 221 in Gewahrsam. 30 wurden verletzt. Die Tagespresse nannte es »Krawalle«.
Erschienen in Ossietzky 3/2004 |
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