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Die von dem britischen Nationalökonomen David Ricardo (1772–1823) formulierte Freihandelstheorie geht davon aus, daß es für das Wohl der Menschheit das Beste sei, wenn jedes Land sich auf die Herstellung derjenigen Güter spezialisiert, für die es den vergleichsweise geringsten Arbeitsaufwand benötigt, und die anderen Güter durch den Handel erwirbt. Damit wird nicht nur das Prinzip der produktivitätssteigernden Arbeitsteilung, sondern auch das liberale Gesellschaftsprinzip auf die internationalen Beziehungen übertragen: »Bei einem System des vollkommen freien Handels wendet natürlich jedes Land sein Kapital und seine Arbeit solchen Zweigen zu, die jedem am vorteilhaftesten sind. Dieses Verfolgen des individuellen Vorteils ist bewundernswert mit dem allgemeinen Wohl des Ganzen verbunden.« Freilich hatte Adam Smith das auch schon so gesehen. Die Pointe Ricardos liegt jedoch in der Zuspitzung, daß der Handel sich auch für die Länder lohne, bei denen die Arbeitsproduktivität in allen Branchen höher ist als bei den durchschnittlichen Konkurrenten, und selbst für die Länder, bei denen sie in allen Branchen niedriger ist. Auch sie sollten sich spezialisieren, nämlich auf den Bereich, in dem die Produktivität komparativ – d.h. im Vergleich mit den anderen Bereichen, in denen sie selber bisher tätig sind – am höchsten ist. »Zwei Menschen können sowohl Hüte als auch Schuhe erzeugen, und einer ist dem anderen in beiden Tätigkeiten überlegen. Aber in der Herstellung von Hüten kann er seinen Konkurrenten nur um 20 Prozent überflügeln, während er ihn in der Schuherzeugung um 33 Prozent übertrifft. Wird es nicht in beider Interesse liegen, daß der Überlegene sich ausschließlich mit der Schuherzeugung und der Unterlegene mit der Hutmacherei beschäftigt?« Es sollen also alle am Handel teilnehmen, sowohl die, die sich auf allen Gebieten für so überlegen halten, daß sie den Austausch nicht brauchen, als auch die, die aufgrund ihrer Unterlegenheit auf allen Gebieten der Meinung sind, sie könnten aus ihm keinen Vorteil ziehen. Indem Ricardo so die Extreme einbezieht, will er deutlich machen, daß im freien Handel keiner Verluste erleide. Angesichts der heutigen Realität des Welthandels hat uns Ricardos Lehre wenig zu sagen. Das liegt nicht nur an der üblichen Differenz zwischen Theorie und Empirie. Erst recht kann sie nicht einfach durch willentliche Verstöße gegen das Freihandelsprinzip widerlegt werden. Wenn an die Stelle von Zöllen Vorschriften treten, die bei Importgütern die Einhaltung bestimmter Standards verlangen, so ist das leicht als Spielart von Protektionismus erkennbar. Ebenso, wenn die einheimischen Unternehmen zwar nicht gegen äußere Konkurrenz geschützt, aber z.B. durch Steuervergünstigungen, Staatsaufträge, günstige Kredite oder Export-Bürgschaften gefördert werden. So verbreitet solche staatlichen Eingriffe auch sind, sie stellen noch nicht das Ricardosche Theorem infrage. Ins Wanken gerät es aber, wenn die Staaten systematisch Forschung und Entwicklung fördern und die Arbeitenden höherqualifizieren. Denn diese Möglichkeit, der eigenen Exportwirtschaft zu einem technologischen Vorsprung zu verhelfen, ist bei Ricardo gar nicht berücksichtigt, obwohl sie heute eine notwendige Bedingung dafür ist, auf dem Weltmarkt mitzuspielen. Man erinnere sich, daß es beispielsweise die Zukunftsbranchen Informations- und Kommunikationstechnologie oder Biotechnologie ohne die massive Förderung durch das Pentagon und das US-Gesundheitsministerium gar nicht gäbe. Zugleich widerspricht die Technologiepolitik der These Ricardos, der Handel erfolge immer zu beiderseitigem Vorteil, denn technologische Überlegenheit bedeutet selbstverständlich die Chance zur Verdrängung anderer vom Markt, und eigene höhere Qualifikation der Arbeit heißt möglicherweise nicht nur niedrigere Qualifikation, sondern Dequalifikation der anderen. Edward Luttwak (»Turbo-Kapitalismus«) vergleicht die Forschungs- und Entwicklungsförderung daher mit der Artillerie im Krieg, die die feindlichen Linien sturmreif schießt, so daß sie dann von der Infanterie besetzt werden können. Der beiderseitige Vorteil beziehungsweise der allgemeine Wohlstandsgewinn, den der Handel verspricht, folgt nach Ricardo aus der strikt durchgeführten internationalen Arbeitsteilung. In Wirklichkeit findet jedoch unter den Industrieländern, zwischen denen sich 80 Prozent des Welthandels abspielt und die in der Tat Wohlstandsgewinne zu verzeichnen haben, gerade keine strikte Arbeitsteilung statt. Vielmehr wird die Mehrzahl der Güter – mit geringen Produktivitätsunterschieden – in vielen Ländern gleichzeitig produziert und untereinander ausgetauscht (»intra-industrieller Handel«), wofür es gute Gründe gibt (Produktvielfalt, ökonomische Größenvorteile). Ricardos Theorie ist damit für den weitaus größten Teil des Welthandels bedeutungslos, und alle Versuche, sie durch Ausbau und Modifikation zu retten, haben zu keinem schlüssigen Ergebnis geführt. Warum hält dann die herrschende Wirtschaftslehre an dem Theorem wie an einem Glaubenssatz fest? Ist es vielleicht auf das Verhältnis von Industrie- und Entwicklungsländern anwendbar, zwischen denen ja eine Arbeitsteilung besteht? Schon Adam Smith hatte nüchtern festgestellt, daß die betriebliche Arbeitsteilung nicht nur den Vorteil der Produktivitätssteigerung hat, sondern auch den Nachteil der Dequalifizierung der Arbeiter. Übertragen wir das auf die internationale Ebene, so läge der »komparative Kostenvorteil« der Industrieländer bei der qualifizierten Arbeit, und der der Entwicklungsländer bei der unqualifizierten – ohne daß es allerdings durch die Bewegung von Kapital und Arbeit zu einem Ausgleich zwischen ihnen kommt. Zum »intra-industriellen Handel«, für den Ricardos Lehre nicht gilt, kommt der »Intra-Firmenhandel« hinzu, d.h. der Güterverkehr innerhalb der multinationalen Konzerne, für den sie erst recht nicht gilt. Denn da die Güter nur innerhalb der Wertschöpfungskette im Konzern transportiert, aber nicht zwischen zwei unabhängigen Akteuren zu Marktpreisen gehandelt werden, fehlt hier der Marktmechanismus; die Preise können manipuliert werden. Der Anteil der Intra-Firmen-Exporte am Gesamtexport der USA betrug zwischen 1982 und 1998 fast gleichbleibend stattliche 34 bis 37 Prozent. Und der entsprechende Anteil der Intra-Firmen-Importe der USA lag im selben Zeitraum sogar bei 37 bis 44 Prozent. Ein weiterer Bereich des Handels, der im Sinne Ricardos gar keiner ist, aber heute ständig wächst, ist der der Dienstleistungen. Er erreichte 1999 immerhin einen Wert von 1,34 Billionen Dollar, macht damit ein Fünftel des Welthandels aus und spielt in den Abmachungen der Welthandelsorganisation (WTO) inzwischen eine wichtige Rolle. Abgesehen davon, daß Dienstleistungen als »unproduktive Arbeit« Ricardo ohnehin nicht interessiert haben, dürfte sein Theorem komparativer Kostenvorteile auf den internationalen Dienstleistungsverkehr auch deshalb nicht anwendbar sein, weil es hier hauptsächlich um Transport-, Finanz- und Versicherungsdienstleistungen geht, die eher dem Modell des intra-industriellen Handels folgen: Die Industrieländer organisieren keine Arbeitsteilung, sondern bieten sehr ähnliche Dienstleistungen konkurrierend an. Allerdings greift dieser Handel tief in die Entwicklungsproblematik ein. Zum weiten Feld der Dienstleistungen gehören auch die Finanzdienstleistungen, die nicht nur enorm angewachsen sind, sondern seit der Herausbildung eines von den nationalen Geldpolitiken unabhängigen globalen Finanzmarktes die Gütermärkte sogar dominieren. Das bedeutet zum Beispiel, daß sehr viele Entwicklungsländer nicht etwa am Welthandel teilnehmen möchten, weil sie ihre komparativen Kostenvorteile erkannt haben, sondern an ihm teilnehmen müssen, weil sie mit ihren Exporterlösen horrende Schulden abzutragen haben. Oder daß durch globale Kapitalbewegungen ganze Volkswirtschaften in die Krise getrieben werden. Von all dem wußte Ricardo noch nichts. Er glaubte auch noch geradezu rührend daran, daß die Abwanderung von Kapital gehemmt werde durch die »natürliche Abneigung jedes Menschen, das Land seiner Geburt und persönlichen Beziehungen zu verlassen und sich mit allen seinen eingewurzelten Gewohnheiten einer fremden Regierung und ungewohnten Gesetzen anzuvertrauen«; und daß diese Gefühle »die meisten Menschen mit Vermögen bestimmen, sich eher mit einer niedrigeren Profirate im eigenen Land zu begnügen, als daß sie eine vorteilhaftere Anlage für ihren Reichtum bei fremden Nationen suchen«.
Erschienen in Ossietzky 3/2004 |
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