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Immer mehr Leute legten einen Notgroschen an und bauten sich eine Altersvorsorge auf, sagte Dresdner-Bank-Volkswirtin Renate Finke. Geldvermögen sind Bargeld, Spareinlagen, Anlagen bei Versicherungen, Aktien und Wertpapiere.« Schon der manipulierende Sprachgebrauch läßt Unmut aufkommen: »Die« Bundesbürger sollen mehr gespart haben – etwa alle? Mehr als zwei Millionen Haushalte sind derart überschuldet, daß sie Konkurs anmelden müßten, und im vergangenen Jahr sind fast 50 000 Firmen pleite gegangen, aber pro Kopf sollen auf alle Deutschen 47 000 Euro Vermögen entfallen! Mein Kopf weiß bisher nichts von dieser Summe, und wenn ich mir die Köpfe im Familien- und Freundeskreis anschaue, scheinen deren Konten ebenfalls ziemlich leer zu sein. Die Banksprecherin behauptet sogar, sie kenne die Motive von »immer mehr Leuten«: Die legten sich nämlich einen »Notgroschen« an und »bauten« sich eine Altersvorsorge auf – seit Riester haben wir da offenbar eine Großbaustelle. Nur von den Meinen will bisher keiner auf diesen Bau gehen... Interessant würde eine solche Meldung erst, wenn man sie in einen Kontext stellte, den aber weder dpa noch FR herzustellen für nötig hielten: Nach ersten Schätzungen ist im vergangenen Jahr das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland real um 0,1 Prozent zurückgegangen und hat nominal – also in aktuellen Preisen – nur noch um ein Prozent zugelegt. Wenn unter solchen Umständen das Geldvermögen um fünf Prozent vermehrt werden konnte, muß an anderer Stelle ein entsprechender Rückgang der Einnahmen erzwungen worden sein. Tatsächlich hat die offensiv agierende Kapitalseite sowohl den Anteil der Bruttolöhne und -gehälter durch »moderate« Lohnabschlüsse und »Verschlankung« der Belegschaften senken können wie auch die staatliche Abgaben- und Steuerpolitik zu weiterer »Entlastung« der Unternehmergewinne veranlaßt. Daraus folgt im Umkehrschluß, daß bei gleichen Verteilungsraten wie im Vorjahr weder die staatlichen Leistungen noch die Gesamtlohnsumme (und damit auch die Zahl der Beschäftigten) hätten abgesenkt werden müssen – wenn es gelungen wäre, den Heißhunger der Kapitalseite im Rahmen der Produktionsmöglichkeiten zu halten. Doch das Geldvermögen muß »wachsen«, auch wenn es anderen das Wasser abgräbt und die Luft zum Atmen nimmt. Geldvermögen ist nur ein Teil des Gesamtvermögens, hinzurechnen muß man neben dem privaten Konsumgüterbesitz das Anlage- und Immobilienvermögen, soweit es nicht in Aktien und Krediten als Teil des Geldvermögens erscheint, also insbesondere den personengebundenen Firmenbesitz. Die Entwicklung des Geldvermögens ist ein wichtiger Gradmesser für Tendenzen in einer kapitalistischen Volkswirtschaft. 1993, im ersten Jahr nach dem Vereinigungsboom von 1990 bis 1992, betrug es 1925 Milliarden Euro; in den zehn Jahren seitdem hat die Kapitalseite es demnach geschafft, ihr Geldvermögen auf 3900 Milliarden Euro zu verdoppeln, genau gesagt auf 202,5 Prozent; real, also unter Berücksichtigung der Preissteigerungsrate, wuchs es auf 176 Prozent. Das Bruttoinlandsprodukt dagegen, das 1993 bei 1654 Milliarden Euro lag, erhöhte sich bis 2003 lediglich auf 128 Prozent (2130 Milliarden Euro); real betrug in dieser Dekade das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nur 15 Prozent. Auch im Zehnjahresvergleich läßt sich also zeigen, daß mehr als das gesamte Mehrprodukt auf die Konten der Kapitalbesitzer gelenkt worden sein muß; anders ist die Steigerung des Geldvermögens um real 76 Prozent bei nur 15 Prozent Wirtschaftswachstum nicht zu erklären. Diese Umverteilung von unten nach oben ist weitgehend das Werk der regierenden Politiker mit ihrer Steuer- und Abgabengesetzgebung. Die realen Nettolöhne gingen in diesen letzten zehn Jahren zurück (auch auf Grund der zu niedrigen Lohnforderungen der Gewerkschaften), die staatlichen Transferleistungen für Arbeitslose, RentnerInnen, Kranke oder Kinder und Jugendliche wurden gekürzt, die kommunalen Dienste eingeschränkt, mit höheren Abgaben belastet oder privatisiert. Einsichtige Ökonomen, die noch nicht zu Theologen der neoliberalen Glaubenslehre konvertiert sind, weisen nach, daß das Gebot des Kapitalwachstums, das nach dieser Lehre unbedingten Gehorsam und auch Opfer am Lebensstandard der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung verlangt, die Volkswirtschaften in Stagnation und Krise führen muß. Denn wo es infolge sinkender Staatsausgaben und zurückgehender Massenkaufkraft an Nachfrage mangelt, muß die Produktion eingeschränkt werden, was für die letzten zehn Jahre nachzuweisen ist. Nicht nur Verarmung, soziales und kulturelles Elend oder ökologische Zerstörungen sind die Folge. Auch manche Kapitalvermögen brechen zusammen, Aktien, Immobilien, Versicherungen verlieren an Wert, ganze Firmenkonglomerate und unzählige Einzelbetriebe gehen pleite. Nur wenn es gelänge, durch gewerkschaftlichen Kampf die Reallöhne zu steigern sowie durch Massenproteste die staatlichen Sozial-, Bildungs- und Kulturausgaben zu erhöhen, könnten Sta gnation und Krise überwunden werden. Man sollte meinen, all die vom Kränkeln der Kapitalverwertung angesteckten Klein- und Mittelunternehmer würden aus bloßem Selbstbehauptungswillen die trügerische Hoffnung auf die sogenannte Sparpolitik aufgeben und mithelfen, die Regierenden zur Raison zu bringen. Aber wer einmal von den Gewinnen aus Geldvermögen – also auf Kosten anderer – seinen Besitz hat vermehren können, scheint verloren an die falsche Weltsicht, auch wenn sie ihn selber mit ins Unglück reißt. Und ob Kleinbürger und Mittelschichten aus ihrer Anfälligkeit für faschistisches Gedankengut am Ende der Weimarer Republik Lehren gezogen haben, wird man bezweifeln müssen. Damit eine andere Welt nicht nur möglich, sondern wirklich wird, müßten endlich jene aufwachen und aufstehen, die als abhängig Beschäftigte den Reichtum einer Volkswirtschaft erarbeiten. Nicht Geldvermögen und Kapitalbesitz müssen weiter wachsen und wuchern – die menschliche Kreativität wird deren Fesseln zerreißen und endlich die Fähigkeit erlangen, ein gutes und freies Leben für alle zu schaffen.
Erschienen in Ossietzky 3/2004 |
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