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Er führt Beispiele der Bühnenliteratur an, verweilt bei Wedekinds »Lulu«, demonstriert und vertieft seine Erläuterungen mit einem Video von Peter Zadeks weithin gerühmter Hamburger Aufführung (1988) mit Ulrich Wildgruber, Susanne Lothar, Jutta Hoffmann. Ich beneide die Studenten um den fundierten, reichen Anschauungsunterricht, vergleiche ihn mit dem vor 50 Jahren, staune, wie wenig sie das Angebot zu schätzen wissen. Ihre Körpersprache verrät sie. Völker praktizierte als Schauspieler, Dramaturg und Regisseur, er ist Autor zahlreicher Publikationen über Brecht, Wedekind, Yeats, Synge, O´Casey, die Päpstin Johanna, Vampire und künstliche Menschen. Er arbeitete über die Geschichte der Prostitution, die Geschichte des Wahnsinns und empfiehlt Schauspielern Kenntnisse der Psychoanalyse. Ein ungewöhnliches Spektrum von Wissensgebieten, jedoch schlüssig für sein Lehramt. Man wird neugierig auf den Mann, der das und mehr repräsentiert. Ich warte in seinem Arbeitszimmer auf ihn. Ein kleiner, prosaischer Raum. Gestapelte Arbeit: Manuskripte, Briefe, Zettel. Kein Design. Eine Pinwand mit geistreichen, witzigen Notaten jeglicher Art. »Wir sind in die Welt gevögelt und können nicht fliegen.« Werner Schwab. Wer sonst. Und: Theater muß sein. Was sonst? Das gefällt mir. Es gibt dem Manne Sinnlichkeit und Opulenz, der eher sanft-gelassen und asiatisch-gelehrt wirkt. Seine Mitarbeiter erzählen ungefragt, daß es Völker dank vielfältiger Verbindungen und diplomatischer Fähigkeit bisher gelungen ist, das permanent gefährdete Überleben der Hochschule zu sichern. Ihr internationaler Ruf trägt dazu bei. Nirgends sonst gibt es eine solche Vielfalt der Ausbildung. Talent muß da sein, Sprache wird als Quelle des Berufs gelehrt, Körpersprache gefordert und gefördert. Seine Im- und Exmatrikulationsreden sind Fundgruben für Jedermann und junge Talente, die zum Theater streben. Sich bilden, die Meister des Fachs studieren, sich die Bühnenliteratur aneignen, Geist und Körper trainieren, die Forscherlust ausweiten auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – sind Völkers verbale Herausforderungen. Es ist ein Vergnügen, ihm bei seinen Analysen des Zustandes der Berliner Bühnen, ihrer Intendanten und Regisseure zuzuhören. Ein genauer, kluger Beobachter, der um die Notwendigkeiten eines spezifischen gesellschaftlichen Klimas, in dem Kunst gedeihen kann, weiß und das ausspricht, aber auch Freiräume zu zeigen vermag, die es zu erschließen gilt, um utopische Gegenentwürfe auf die Bretter, die die Welt bedeuten, zu bringen im Sinne Brechts: »Ändere die Welt, sie braucht es.« Völker beklagt den Bildungsnotstand im Land, den Mangel an wissenschaftlicher Intelligenz, den Analphabetismus derer, die das Sagen haben, die verheerende Macht der Medien, die fehlenden Vorbilder für die Jugend. Und er flucht auf die Verantwortlichen für Kultur und Wissenschaft. Wird er gehört? In diesem Jahr, 2004, wird Professor Klaus Völker sein Amt niederlegen. Otto Dierichs, Lore Espey, Wolfgang Heinz, Rudolf Penka, Hans-Peter Minetti, Kurt Veth – so die Reihe der wechselnden Rektoren dieser Schule vor ihm. Bis heute wird die »Penka-Methode« (s. Weltbühne vom 6.1.1981 ) praktiziert, deren Kernsatz ist: »Bei Beginn des Unterrichts ist der Pädagoge darum besorgt, das unwiederholbare Wesen eines zukünftigen Schauspielers nicht auszulöschen, ihm nicht fremde Arbeitstechniken an sich und an einer Rolle aufzuzwingen, die seine individuelle Eigenart und natürliche Begabung hemmen ... gründliches Training des noch ungefestigten ›Apparates‹ ist wichtigster Teil des ›Fundamentes‹ der Schule.« Tanzunterricht bei Professor Eva-Maria Otte. Sie studierte Germanistik und Kunsterziehung, danach Bewegungslehre bei der legendären Hildegard Buchwald-Wegeleben, arbeitete als Darstellerin und Dramaturgin im Pantomimen-Ensemble des Deutschen Theaters, wirkte als Choreographin im Berliner Ensemble. An diesem Tag arbeitet sie mit dem 2. Studienjahr, ich begegne Margarita und Alexander alias »Romeo« und »Julia« wieder. Ein Dutzend junger Frauen und Männer spielt »Flieger«. Mal müssen sie als Fünfjährige durch den Saal düsen, dann als erfahrene Flugkapitäne. Tragflächen sollen abgeklappt und crashs vermieden werden. Alle Übungen dienen dazu, den Partner zu spüren, seine Bewegungen ab- und aufzunehmen. Es folgt die Hohe Schule des Staffelfliegens. Überaufgabe ist: das Ensemblespiel. Sichtbar lustvoll, sehr konzentriert agieren die jungen Menschen. Sie »wollen« das und wollen es gut machen. Das ist schön zu sehen. Am Flügel begleitet sie Korrepetitor Beyer. Weitere Übungen: Schlüsselsuchen, Streiten mit dem Partner, Panik, spanisch tanzen, schwindelfreies Drehen, Ängste, gefühlvoll entfesselter Körper. Jede Übung ist übertragbar auf Rollen- und Ensemblespiel, fördert die Bühnenpräsenz des Einzelnen, der Truppe. Wie bewege ich mich in einer Figur auf der Bühne, im Bühnenraum? Bewußtes und unbewußtes Verhalten, Reagieren der Körper – die Körpersprache. Das wird an diesem Vormittag exemplarisch trainiert. Fitneß ist erforderlich. Zwei Stunden Training decken gnadenlos auf, wer ungenügend Schlaf hatte, sich mangelhaft ernährt, lustlos ist. Die Professorin korrigiert nicht während des Unterrichts, nicht in Gegenwart der anderen, doch sieht sie sehr genau, wer welche Schwächen zeigt und grundsätzliche Mängel per Körpersprache signalisiert. Dann gibt es Einzelunterricht. Es ist verblüffend, wie deutlich Charakter und Talente ablesbar werden in dieser Disziplin. Margarita/Julia bewegt sich frei und locker wie auf der Bühne, ihre Mitte ist noch instabil. Alexander/Romeo ist tänzerisch vorgebildet. Man schaut ihm gern zu. Der für das Ballett trainierte Körper steht jedoch einer individuellen Figurensprache im Wege. Mirco (ihm werden wir im Szenenstudium »Zement« von Heiner Müller wiederbegegnen) kommt gleichfalls vom Tanz. Er arbeitet mit Übermut und Ausgelassenheit. Dann gibt es die »Ordentlichen«, die nichts falsch machen, aber deren Individualität schwindet in der Ausübung der Pflicht, es mangelt an der Kür. Mitzuverfolgen, wie die Körpersprache sich wandelt, den Studenten ihre Körperhaltung bewußt wird, das Wissen wieder absinken kann ins Unterbewußtsein, um dort abrufbar zu bleiben, bis die nächste Aufgabe es verlangt, das sind wunderschöne Momente, schöpferische Augenblicke, stimuliert durch Arbeit. Schwitzend, pustend, vergnügt trudeln die jungen Menschen aus dem Raum. Duschen. Der nächste Unterricht steht bevor. Alles auf Anfang.
Erschienen in Ossietzky 2/2004 |
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